Der Ruck, der nicht durch Deutschland ging: MZ 1000 S

Deutschland hatte lange Zeit einen großen Motorradhersteller neben BMW: MZ in Sachsen. Er überlebte die Treuhand knapp und produzierte ein letztes großes Krad.

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Die MZ 1000 S gewann den Sächsischen Staatspreis für Design 2003. Das ist das Siegerfoto von der Veranstaltung damals. Gebracht hat es ihr nüscht.

(Bild: SMWA Sachsen)

Stand:
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Bevor das Auto kam, gab es in Deutschland weit über 100 kleine Motorradhersteller, von denen man heute kaum noch einen kennt, und wenn, dann baut der eigentliche Hersteller unter dem alten Markennamen in China. Doch einen großen Namen der deutschen Motorrad-Neuzeit kennt der Kradist außer BMW: MZ, das "Motorradwerk Zschopau" (mit kleinen Namensdetailänderungen über die Jahrzehnte). Eine Zeitlang war MZ der größte Motorradhersteller der Welt. Doch nach der Wende lag der Betrieb am Boden.

MZ 1000 S in silber, so hatten wir sie im Fuhrpark.

(Bild: MZ)

Das Bundesland Sachsen setzte nach dem Mauerfall zwei große Prioritäten: Bildung und Wirtschaft. Beides hat Sachsen besser hinbekommen als Außenstehende das meist vermuten, doch als MZ 1990 privatisiert wurde, musste die Firma schon ein Jahr später Konkurs anmelden. Es war eine der typischen Treuhand-Mauscheleien. Das Land Sachsen zeigte viel guten Willen, die Investoren zeigten viel Geschick darin, den auszunutzen, kurz: Es war eine Geschichte, bei dem jedem Zuhörer das Herz blutete, während Sachsen der Geldbeutel blutete. Im Laufe dieser Wirren, von denen ich zur Schonung etwaiger sächsischer Mitleser nicht noch einmal den Grind der Gewöhnung abziepeln möchte, entstand nach langer, zäher Geburt 2003 ein 1000er-Zweizylinder-Sporttourer. Diesen bin ich wahrscheinlich so ausgiebig gefahren wie sonst nur Besitzer, denn wir hatten eine Emme im Dauertest beim Motorradmagazin MO.

Im Fuhrpark landete die erste und häufigste Version, die MZ 1000 S, ein klassischer Sporttourer: Vollverkleidung, Stummellenker, über 240 km/h Topspeed, 234 kg vollgetankt mit großzügigen 20 Litern im Fass. Dazu montierten gewissenhafte Ingenieure im neuen Werk Hohndorf ein erstklassiges Fahrwerk, das die Emme selbst am Sachsenring oder in Oschersleben nie in Verlegenheit brachte, denn ja: Wir quetschten sie dort aus. Auch wartungstechnisch sah es gut aus. Es gab sogar ein serienmäßiges Kassettengetriebe, das weniger für den Rennsport gedacht war als vielmehr für mehr Flexibilität bei Modellvarianten.

Für MZ war die 1000er ein All-In. Da sollte nichts schiefgehen. Wie Toyota im ersten Prius dimensionierten sie deshalb alles eine Konfektionsgröße über. Der Motor etwa war auf die Gegend 140 PS Spitzenleistung ausgelegt, beschränkte sich in der jedoch auf 117. Folglich waren die 1000er-Emmen zwar schwer, liefen jedoch bemerkenswert zuverlässig. Selbst meine gesalzenen Winterfahrten steckte sie weg wie nichts. Ich erinnere mich, wie einmal ein Trabant 601 an einem der Edelstahl-Auspuffe zerbarst. Am nächsten Morgen wischte ich Lack und Plaste ab und fand darunter: nicht einmal eine Schramme. Diese 1000er war ein sehr vertrauenerweckendes Kraftrad. Sie ließ mich nie im Stich. Das war die eine, gleißende Seite der Medaille. Es gab noch eine andere.

MZ 1000 S in blau (3 Bilder)

Besonders schön, besonders selten: 1000 S in blaumetallic.
(Bild: Gunnar Maiberg)

Der Reihenzweizylinder war ein sogenannter "Gegenläufer": Mit einem Kurbelzapfenversatz von 180° läuft der eine Kolben immer in die Gegenrichtung des anderen. Daraus resultiert ein Ausgleich der Massenkräfte erster Ordnung. Kawasaki liebt diese Bauform, denn sie ist schlicht und sehr zuverlässig. Kawasaki hört jedoch bei aktuell knapp 650 cm3 auf in Z 650 (Test) und Co., denn das Laufverhalten eines Gegenläufers bei niedrigen Drehzahlen nenne ich zum optimalen Verständnis "erstickend stolpernd", weil es sich im Vergleich zum hohen Drehzahlbereich so anfühlt, als verschlucke der Motor gerade seine sich lösenden Drosselklappen, während er über die eigene Gassäulendynamik stolpert.

Bei einem kleinen Motor fällt das weniger auf, beim Litermotor wurde das so arg, dass es einer DER Gründe war, die Emme abzulehnen. Sie lief im unteren Drehzahlbereich wie ein Sack Ratten mit Keuchhusten. Dazu kommen beim Gegenläufer Massenmomente aus dem Abstand der Zylinder. Die können sehr dominant werden, wie Laverda-Fans wissen. MZ wirkte den Massenmomenten mit einer Ausgleichswelle entgegen, rau blieb der Motor dennoch. "Noise, Vibration, Harshness" (NVH), alles üppig vorhanden, nicht auszutreiben.

Im oberen Drehzahlbereich lief sie recht freudig. Da der Kontrast zu untenherum so groß war, erfreute das den Fahrer zudem mehr als ein überall toller Motor. Man konnte die hohen Drehzahlen in Flucht vor den Ratten im Kellergemäuer also aufsuchen, doch dort vibrierte der Motor dann auf Dauer Hände und Füße taub, was sich lustig anhört, aber stellen Sie sich gern eine Vollbremsung mit gefühlstoter Bremshand vor – ohne ABS, denn das hatte die MZ nicht. Auf langen Fahrten wie etwa von Stuttgart nach Oschersleben (rund 500 km) tendierte ich daher zum zweiten Tankstopp unterwegs.

Das war sowieso eine gute Idee, weil MZ den Twin etwas fetter abgestimmt hatte, um die Laufkultur zu verbessern. Verbräuche über 7 Liter waren eher die Regel als die Ausnahme. Das alles bot MZ zu einem Tarif an, der als teuer empfunden wurde: Knapp 12.000 Euro wollte Zschopau, und 2004 war der Euro noch mehr wert. Da ihre inneren Werte im Mainstream keine Sau interessierten (das Schicksal aller inneren Werte), blieb ihr nur die Nische der Exoten.

Wenn Sie an ein exotisches Fahrzeug denken, dann doch wahrscheinlich etwas Beknieenswertes aus Bella Italia oder einen Viertelmeilenkracher aus dem Land der grenzenlosen Pickup-Liebe. Sie denken an einen seltenen, alten BMW oder Benz. Sie denken wohl kaum an ein von den Eckdaten eher nutzwertig klingendes neues Produkt eines einstigen DDR-Massenherstellers. Die Kombination von solide-ungeilen Eckdaten und nötiger Rücksichtnahme auf Kleinhersteller-Eigenheiten funktionierte bei MZ überhaupt nicht. Das versehentlich retrofuturistische Design war zwar gelungen und alterte gut, es hatte jedoch nicht das Zwingende eines Tamburini-Projekts. Es verkaufte keine Motorräder per se.

Die technischen Vorzüge waren unsichtbar, und um sie schätzen zu können, war ein Maß an Fachwissen erforderlich, das bei Endkunden selten vorhanden ist. Und Zuverlässigkeit ist nun wirklich nicht die Tugend, die Exoten verkauft. Ich meine: Für wen schwärmt der Mensch? Für jemand wie Brigitte Bardot, jemand wie Idris Elba, jemand mit Glanz, jemand außerhalb des Gewöhnlichen. Der Mensch schwärmt eher nicht für die Fachverkaufskraft hinter dem Tresen der Metzgerei, all ihrer aus Überdimensionierung rührenden Zuverlässigkeit zum Trotz.

MZ 1000 SF (5 Bilder)

Kollege Mathias posiert neben der MZ 1000 SF ("Super Fighter"). Damit versuchte MZ, den Antrieb ins Segment der Aprilia Tuono zu diversifizieren. Auch die SF blieb superselten.
(Bild: Archiv ZWEIRAD, MZ)

Doch der Mensch heiratet am Ende doch eher hinter den Metzgereitresen als nach Hollywood, und das ist für alle am besten so. Wer heute eine MZ 1000 S besitzt, behält sie. Er weiß, was er hat – Kassettengetriebe, bombenfester Motor, taube Extremitäten und alles. Es gibt kaum welche am Gebrauchtmarkt, und wenn, dann zu nahezu Neupreisen. Es gab einfach nie besonders viele MZ 1000, aus den benannten Gründen. MZ legte später eine tourigere Variante MZ 1000 ST nach, mit etwas anderer Motorabstimmung, höherem Lenker und mehr Gummilagerung für Hände und Füße. MZ stemmte sogar in einem Kraftakt noch die 1000 SF ("Super Fighter"), eine halbnackte Variante à la Aprilia Tuono.

"Durch Deutschland muss ein Ruck gehen!", texteten die hauseigenen PR-Leute in Hohndorf in Anlehnung an Roman Herzogs Rede zur Wiedereröffnung des Adlon in Berlin – vergeblich. Dieser Ruck ging nie durchs Land, nur durch eine Handvoll Motorradfahrer. Sie genießen heute ein Leben mit ihrer stillen, brutalen Metzgerin, auf die niemand ein neidisches Auge wirft, der nicht sehr viel weiß über die inneren Werte eines Kraftrads und einen gehörigen Batzen deutscher Fahrzeuggeschichte.

Die 1000er war MZs letztes technisches Aufbäumen. 2008 schloss der malaiische Besitzer Hong Leong den Betrieb. Das Land Sachsen stand wieder mit vertrauensvollen Wirtschaftszuschüssen bereit, und die neuen Eigner Martin Wimmer und Ralf Waldmann stellten unter Beweis, dass man keine Treuhand braucht, um es genauso zu verderben. Ihr Management verschwendete wertvolle Ingenieurszeit in ebenso sinn- wie aussichtslosen Rennstreckenprojekten, während im Werk die dringendsten Aufgaben liegen blieben.

MZ war wie eine Kuh, die im qualvollen Sterben noch gemolken wurde. Es zerriss mir das Herz, und ich bin nicht einmal Zschopauer. Wie die Menschen das dort erlebt haben, kann ich anhand ihrer Erzählungen nur erahnen. Wenn also einmal eine seltene MZ an uns vorbeirasselt, lasst sie uns als Mahnmal fehlgeleiteter Finanzierung sehen, aber auch als den Hoffnungsträger, der sie damals war. Und falls jemand wieder eine tolle Idee hat, mithilfe vom geschmähten, betrogenen Freistaat Sachsen einen Ruck durch die Rennstrecken dieser Welt gehen zu lassen: nein. Einfach ... nein. Bitte lasst MZ in Frieden ruhen.

Sächsische Ingenieure bauen ein Moto2-Rennmotorrad (Mannschaft oben). Der letzte Chef Martin Wimmer (Person unten) hält den Mittelfinger dagegen. Kurz nach solchen abstrusen Rennstreckenprojekten ging alles in die Brüche.

(Bild: MZ)

(cgl)