E-Fuel-Punk 2045: Pkw-Technologiewechsel in der Zukunft

Seite 2: Rührkuchenprognose

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Verrühren wir beide Gedanken (Infrastruktur und Technologie) mit realistischen Einschätzungen zur Energiewirtschaft für 2030. In diesem Jahr will Deutschland den Treibhausgas-Ausstoß (THG) auf unter 65 Prozent des Niveaus von 1990 senken. Das wird physikalisch nicht passieren, weil es mit unfassbar hohen Kosten verbunden wäre. Es könnte sein, dass epochale Levels von Greenwashing, Zertifikatdruckerei und gen Asien externalisierten Ausstößen das Ziel formal politisch erreicht aussehen lassen, obwohl schwer vorstellbar ist, wie sich so eine Verbiegung öffentlich noch verkaufen ließe.

2030 wird die globale Durchschnittstemperatur nach allen realistischen Prognosen wahrscheinlich um mehr als 1,5° C über dem vorindustriellen Durchschnitt liegen. So oder so werden 2030 mehr E-Autos herumfahren als heute, anteilig wie absolut. Eine Mehrheit werden sie jedoch zu diesem Zeitpunkt selbst in der EU nicht erreichen können. An der Mehrheit kann ab 2035 gearbeitet werden, wenn die THG-Emissionen am Fahrzeug abgestellt werden sollen. Für die nächsten zehn Jahre würde ich mir also noch keine Gedanken über das Tanken machen, denn es wird noch genug Geschäft für ein dichtes Tankstellennetz geben.

Das Bild könnte auch aus dem Jahr 2030 stammen, denn es wird noch viele Tankstellen geben. Aber die Reichweite könnte ein Thema für Verbrenner werden, wenn das Tankstellennetz sich lichtet. Ich bin schon öfter mit dem Motorrad liegengeblieben und noch nie mit dem E-Auto.

(Bild: Clemens Gleich)

2045 will Deutschland klimaneutral sein. Das wird physikalisch nicht passieren, wir können aber wieder spekulieren, wie man rhetorisch um die Physik herumeiern könnte, um zu sagen: "geschafft!" Wenn ab 2035 wirklich keine Verbrenner mehr zugelassen würden, wäre die letzte zugelassene Kohorte dann 10 Jahre alt. Das Verschrottungsalter von PKW in Deutschland liegt schon heute bei über 18 Jahren, Tendenz analog zu den steigenden Kosten des PKW-Besitzes steigend. 2045 werden also noch sehr viele Verbrenner herumfahren, genug für ein Geschäft, wenn auch wahrscheinlich nicht mehr genug für ein Tankstellennetz in heutiger Dichte. Manche Tankstellenstandorte werden sich nicht mehr lohnen.

Ich kann mir aber vorstellen, dass gerade in Stadtlagen an einer Tankstelle Aufladen und Einkaufen und/oder Bistro noch besser funktioniert als dasselbe mit Tanken – einfach, weil die Leute länger da sein müssen. Vielleicht verkauft die Ladestelle dann nebenher Benzin in Kanistern, wie Alkylatbenzin heute im Baumarkt? Auch da werden die meisten Menschen ihr Auto zu Ende fahren können, bevor sie nachkaufen – tendenziell eher elektrisch.

Klimaneutralität ist eine Sache, die politisch sehr billig und schnell versprochen ist. Neuseelands Premier Helen Clark versprach 2007, dass die Nation 2020 klimaneutral sein werde. Als 2020 kam und ging, lagen die Emissionen jedoch höher als zum Versprechenszeitpunkt. Das Projekt scheiterte krachend, aber konsequenzlos. Jetzt hat Neuseelands Politik einfach das Versprechen für 2050 neu formuliert, denn das ist weit genug weg, dass die Versprecher dann aus der Politik raus sind und behaupten können "Haja, ICH hätte das geschafft". Versprechen sind billig. Liefern ist teuer. Ein neuseeländischer Think Tank hat die Kosten der NZ-Klimaneutralität bis 2050 auf 16 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts JÄHRLICH geschätzt, also mehr, als die Nation für fast alles andere kombiniert ausgibt (Staatshaushalt 2021: knapp 22 Prozent BIP).

Vor diesem Hintergrund müssen wir auch die Versprechen unserer Regierung betrachten. Wenn die EU ihre selbstgesteckten Klimaziele für 2050 erreichen will, kostet das rund 10 Prozent des gesamteuropäischen BIP – jedes Jahr. Das ist mehr als der gesamte aktuelle EU-Haushalt inklusive seines oft beklagten bürokratischen Wasserkopfes, bei frustrierend geringen Effekten. Ist das demokratisch mehrheitsfähig? Denken Sie an Berlins Abstimmung. Doch gehen wir einmal davon aus, deutsche Mehrheiten bleiben dabei, dass wir alles Staatsgeld nur dafür ausgeben möchten. Dann dürften 2045 bei uns keine fossilen Brennstoffe mehr ohne CCS-Kosten verkauft werden. Die Stunde der eFuels! Oder?

Interessanterweise wäre 2045 bis 2050 die Zeit, in der es tatsächlich nennenswerte Mengen von synthetischen Treibstoffen aller Art geben könnte, von eFuels bis Thermolysetreibstoff – genug, um mit etwas Anstrengung auch den dann gesunkenen Teil von Verbrennungs-PKW zu versorgen. Der ganze aktuelle Tanz um eFuels-Extrawürste wäre folglich vollkommen egal, wenn die CO₂-Neutralität 2045 ernst gemeint wäre. Die dann aufgebauten Verfügbarkeiten ändern jedoch nichts am zweiten Nachteil von eFuels und Co., nämlich deren Kosten.

Ich tanke 2045 meinen Oldtimer-Dschääägg im Schwarzwald, für nur 48 Euro pro Liter Saudi-Aramco-fossiles-CCS-Benzin (Inflation).

(Bild: Clemens Gleich)

Die deutschen Pläne zur CO₂-neutralen Stromversorgung kombinieren einen Überbaufaktor von Erneuerbaren mit weiteren Gaskraftwerken, die zu den Minderertragszeiten anspringen (siehe die Skizzen der Agora Energiewende). Das ist erstens ab circa 80 Prozent eine extrem teure Stromversorgung (Details können Sie u. a. in dieser Studie nachlesen). Zweitens soll in den Gaskraftwerken Wasserstoff verbrannt werden, denn Wasserstoff soll der primäre Speicher-Energieträger sein, weil das trotz der immensen Verluste billiger ist als Akkus. Würden wir da eFuels in Deutschland herstellen? Tröpfchenweise vielleicht. Wahrscheinlicher: Saudi Aramco liefert die Mengen aus Wüstensonnenstrom. Noch wahrscheinlicher: Saudi Aramco liefert dann fossiles Erdöl mit CCS-Versprechen billiger als eFuels, mit dem Deutschland pro forma auf Ziel bliebe.

Dass das billiger würde als elektrisch PKW fahren, ist sehr unwahrscheinlich. Der zur Speicher-Kostensenkung nötige Überbaufaktor der Erneuerbaren bedeutet: Es gibt an über 80 Prozent der Tage zu viel Strom. Aus dem wird hauptsächlich Wasserstoff gemacht, aber wer da im Sommer mittags lädt, wird vielleicht bis 2045 von den dann kurz günstigen Strompreisen profitieren können. Angesichts der bisherigen Bemühungen kann es natürlich auch sein, dass bis 2045 noch nichts an Bedarfssteuerung fertig ist (Bundescancelerin Kevin Fedjuschkin wird von "Neuland" sprechen), aber gehen wir wieder von Erfolg aus. Dann wird die durchschnittliche Fahrenergie für die meisten E-Auto-Fahrer so viel billiger sein, dass eFuels nur für die elektrisch schwer machbaren Dinge und Spaß verkauft wird, zum Beispiel Porsche 911 fahren (um den Powersports-Bogen zum Anfang zu spannen) oder aus Reichtumsgründen mit dem AMG GT pendeln.

*Palim-Palim!* Guten Tag, Herr Meyer, hier ist Ihr prekär angestellter Amazon-Fahrer und bringt Ihnen Ihr Benzin! Darf ich Sie für unsere Heizöl-Aktion an Ostern interessieren?

(Bild: Clemens Gleich)

Chinesische Entwicklungen wie die Natrium-Ionen-Batterie werden die Schwellenkosten elektrischer Neuwagen gesenkt haben, gestrichene Förderprogramme und die Zeit den E-Gebrauchtmarkt normalisiert haben. Ein altes Verbrenner-Auto fahren wird nur bei sehr geringen Kilometerleistungen billiger sein, und das ist auch gut so, denn dann können Rentner mit geringen Mobilitätsbedarfen ihre alten Autos auffahren. Amazon oder Otto (oder Eismann?) werden bis dahin sicherlich Benzin ausliefern können, damit der Nachteil "ich kann daheim keine Energie nachtanken" wegfällt.

Zurück ins Heute: Meine Szenarien sind natürlich Optionen in einer Menge möglicher Realitäten. Ich habe aber absichtlich wahrscheinliche Szenarien genommen statt "morgen biegen wir die Emissionskurve doch noch auf +1,5° C in 2100 hin". Alle wahrscheinlichen Szenarien bedeuten: Wenn Sie Ihr Auto auffahren möchten, können Sie sich alles in Ruhe angucken. Wenn Sie Ihr Auto zum besten Preis verkaufen möchten, müssen Sie täglich den speichelbenetzten Finger in den Wind halten. Aber wann war das je anders?

Das ist am Schluss noch die Botschaft eines älteren Menschen an jüngere Menschen: Fast alles, über das wir uns heute aufregen, ist in ein paar Jahrzehnten egal. Der ältere Mensch hat das erfahren, der jüngere Mensch kann es in den Geschichtsbüchern nachlesen (und natürlich trotzdem nicht glauben, bis er es erfahren hat). Dort steht auch zwischen den Zeilen: Dinge geschehen aus der Massendynamik und sortieren sich evolutionär. Dass Dinge geschehen, die Ihnen "dumm" vorkommen, gehört dazu und heißt nicht, dass Sie recht haben, denn wir finden oft Dinge dumm, die wir nur zu Teilen verstehen (die Herren Dunning und Kruger grüßen). Selbstverständlich können sich auch Dummheiten zumindest eine Zeitlang durchsetzen, die Geschichte ist voll davon. Welche Ideen sich durchsetzen, lesen wir 2050 in einem Geschichtsbuch. Wir können jedoch sehr sicher davon ausgehen, dass die Idee "Auto" sich bis dahin hält.

Ruhe bewahren. Ideen sind billig und meistens kacke. Die Zeit trennt die Spreu vom Weizen.

(Bild: Clemens Gleich)

(cgl)