Elektroauto Mercedes-Benz EQXX: Effizienz sticht

Mercedes hat im Prototypen EQXX über 1000 km von Sindelfingen an die Côte d'Azur nur 87 kWh verbraucht. Interessant sind die Implikationen für die Serie.

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Mercedes EQXX

Die Zutaten für ein sparsames Auto sind alle lange bekannt, nur populär sind sie derzeit nicht.

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

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"Liegenzubleiben oder nachzuladen war keine Option", erzählt Markus Schäfer, Mercedes' Chief Technology Officer, nach der über 1000 km langen Fahrt des Mercedes EQXX ans Mittelmeer ohne Nachladen. Deshalb versiegelte der TÜV die Ladeklappe. "Reichweitenfahrten gibt es viele", sagt Schäfer. "Die meisten finden bei 30 km/h auf einem Rundkurs statt. Wir wollten aber eine Fahrt unter Realbedingungen zeigen." Da bietet sich eine Alpenüberquerung natürlich an. Vor allem: Zum Mittelmeer geht es von Sindelfingen aus 449 m abwärts, immer gut für Verbrauchsmessfahrten. Doch ansonsten wurde nicht getrödelt: Das Auto fuhr bis zu 140 km/h schnell und die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 87,4 km/h. Der Verbrauchsschnitt netto laut Tacho am Ende: 8,7 kWh/100 km. Bedeutet: selbst inklusive Ladeverluste unter 10 kWh/100 km, durch Regen, über Alpenpässe, lange Autobahnetappen. Wie geht das?

Mercedes kommuniziert groß den hervorragenden cW-Wert von 0,17, der durch die Tropfenform mit langgezogenem Heck zustande kommt, das sich ab 60 km/h per Servo noch verlängert. Dazu kommen clevere Effizienzsysteme, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen. Doch die größten Batzen Ersparnis liegen in Dingen, die Mercedes-Kunden am Ende wahrscheinlich gar nicht kaufen wollen. Betrachten Sie Bilder des Fahrzeugs von vorne, im Kontext der anderen Autos. Das ist schlicht ein (für heutige Verhältnisse) schmales Auto, es hat eine geringe Stirnfläche von 2,12 m². Der EQS dagegen schiebt 2,51 m² gegen den Wind. Betrachten Sie weiterhin die gut versteckte Reifendimension: 185/65 R20 – deutlich schmaler als in den meisten modernen Serienfahrzeugen üblich. Bridgestone erreichte so bei der EQXX-Bereifung einen Rollwiderstand von nur 4,7 Promille. Die Hinterachse bauten die Ingenieure zudem 5 cm schmaler als die Vorderachse, damit die problematischen Verwirbelungen im Windschatten der Front liegen. Eine solche schlanke Hüfte sieht aber nicht nach dem aus, was in Designersprache gern "kraftvoll" genannt wird.

Beim Gewicht spricht Mercedes viel von "konsequentem Leichtbau", vergleicht den EQXX im Pressetext mit einem "drahtigen" Radrennfahrer, der bergauf Zeit gutmacht. Es steckt ja einiger Aufwand drin, bis hin zu Bremsscheiben aus Aluminium. Der Wagen wiegt allerdings 1755 kg. Die 100 kWh fassende Batterie wiegt laut Hersteller 495 kg. Bleiben 1260 kg für Chassis, E-Antrieb und vier Sitze. Vergleich: Volkswagen hat beim Kleinserienfahrzeug XL1 Batterie, E-Motor, Dieselmotor, Dieseltank, zwei Sitze und eine Karosserie mit Scherentüren in 870 kg untergebracht. Kein Prototyp, sondern Kleinserie, und wahrscheinlich der beste VW aller Zeiten. Apteras "Solar Electric Vehicle" bringt in 800 kg Fahrzeug statt VWs Dieselmotor eine 60 kWh große Batterie unter, mit der Option auf 100 kWh. Trotz der mit zwei Sitzen ja kleineren Fahrzeuge: Da kann sich Mercedes noch für mindestens eine halbe Tonne Scheiben abschneiden, bis das mit "konsequentem Leichtbau" in die Nähe einer argumentierbaren Realität kommt.

Mercedes-Benz EQXX (8 Bilder)

Abfahrt in 3° C kaltem Regen. Deshalb diese Fahrt: Realität enthält die unschönen Dinge des Fahrens.
(Bild: Mercedes-Benz)

Ein Fahrzeug schmaler, kleiner, leichter und mit dünnen Reifen zu bauen, ist das lange bekannte Grundrezept zur Sparsamkeit. Dem Rezept stehen aktuelle Dynamiken entgegen: Die Hersteller wollen größere, schwerere, breitere Fahrzeuge verkaufen, weil die mehr Marge bringen. Die Kunden werden entsprechend umworben und kaufen sich Autos eben auch aus Gründen des sozialen Ansehens. Eine schwer zu durchbrechende Spirale entsteht. Ein großes Auto wird jedoch selbst mit gutem cW-Wert viel Energie verbrauchen, siehe BMW iX mit seinen guten 0,25, die in unserem Test dank einer Stirnfläche von 2,82 m² trotzdem nur für Autobahnverbräuche jenseits der 30 kWh taugten. Dennoch gibt es aus dem EQXX natürlich Ansätze, die auch größere Autos ein Stück weiter bringen.

Kommen wir zu den Dingen, die für den Serienbau relevant werden könnten. In den "niedrig zweistelligen Bereich" bei den Verbräuchen möchte Markus Schäfer im Serienbau mittelfristig kommen, also nahe 10 kWh/100 km statt wie heute üblich um die 20. Um das Akkugewicht zu reduzieren, montierte Mercedes im EQXX die Zellen direkt ins Batteriepack ("cell to pack") statt in Module. Die Modulrahmen fehlen, Batteriegewicht und Volumen sinken. Siehe auch: Tesla Model 3.

Die Kehrseite: Ein nicht modularer Akku lässt sich kaum reparieren. Cell-to-pack ist also eine Technik, die erst zusammen mit eigenen Recycling-Kapazitäten sinnvoll wird. Tesla etwa kommunizierte, so etwas aufbauen zu wollen, um mittelfristig an den nach allen Prognosen noch über Jahrzehnte hohen Lithium-Rohstoffpreisen vorbeizukommen. So etwas könnte bei Mercedes-Modellen unterhalb der Mittelklasse ebenfalls funktionieren. Oberhalb könnte es schlau sein, bei den Modulen zu bleiben, weil deren einfache Reparierbarkeit entsprechend lange Batteriegarantien ermöglicht und eine prestigeträchtige lange Lebenszeit der Autos.

Ein großer Vorteil höherer Effizienz: Es fällt weniger Abwärme an. Der EQXX kühlt seine Systeme über eine Platte im vorderen Unterbodenbereich. Sie leistet fast keinen Luftwiderstand. Erst, wenn durch hohe Leistungsanforderung oder (wohl häufiger) durch erhöhten Luftbedarf der Luft-Wärmepumpe zur Kabinenheizung mehr Volumenstrom nötig wird, öffnet ein Servo die Klappe zum großen Radiator in der Fahrzeugfront. Bei der Abfahrt in Sindelfingen zeigte das Thermometer zum Beispiel nur 3 °C an. Die Luft strömt dabei unten ein, durch den schrägen Radiator und aus den zwei Schächten der Fronthaube wieder aus.

Die Technik des EQXX (4 Bilder)

Die meiste Zeit reicht dem EQXX die Kühlung über die Bodenplatte, an der Fahrtwind vorbeiströmt.
(Bild: Mercedes-Benz)

Ein Optimierungspunkt, der in allen Fahrzeuggrößen etwas bringt: Verluste minimieren. Hier half die Konzernmarke "Mercedes AMG High Performance Powertrains" (HPP) mit Formel-1-Technik-Know-how. Heraus kam eine Effizienz des Antriebsstrangs inklusive Umrichter von 95 Prozent. Das ist ein Wert, den sonst gute Motoren OHNE Umrichter erreichen. HPP verarbeitete hierbei auch Erfahrungen aus dem (auslaufenden) Einsatz in der Formel E, bei dem Mercedes' "EQ"-Rennmotoren mittlerweile 98 Prozent Effizienz überschreiten.

Bei den niedrigen Verbräuchen des EQXX wird der Verbrauch des 12-V-Niedervoltnetzes interessant für Optimierungen. Hier tut der EQXX im Prinzip das, was schon der erste Nissan Leaf tat: Er speist das 12-V-Netz über ein Solarpanel auf dem Dach. Das winzige Teil des Leafs hielt nur die Starterbatterie auf Spannung, die 117 Zellen des EQXX versorgen dagegen das Niedervolt-Bordnetz selbst in Fahrt mit Strom, der schon einmal nicht aus der Hochvoltbatterie kommen muss. Über 1000 km Fahrt beim gemessenen Verbrauch kommen so immerhin 25 Extrakilometer heraus. Im Serienbau könnte ein Solarpanel zusätzlich im Stand über einen bidirektionalen DC-DC-Wandler die Traktionsbatterie laden, siehe Hyundai Ioniq 5.

Zu den 12-V-Verbrauchern zählen die zahlreichen leistungsfähigen Steuergeräte, die viele Dinge automatisch erledigen, die früher Reichweitenerfahrung auf dem Fahrersitz verlangten. Der EQXX war über lange Strecken mit dem adaptiven Tempomat unterwegs, der außer auf den Verkehr auch auf Verbrauchs-Parameter achtet. Zusätzlich zu den Automatismen geben die Systeme dem Menschen Tipps zu besseren Verbräuchen. Wir kennen das aus EQA bis EQS, wo es gut funktioniert. Auch das wird ein wichtiger Teil der Serienstrategie bleiben, weil es herstellungstechnisch günstig mehr Effizienz in die Flotte bringt.

Interessantes Detail: Der EQXX hat normale Spiegel, wenn auch etwas kleinere als üblich. Obwohl eine rückwärts schauende Kamera mit weniger Frontfläche auskommt, ist die Gesamtersparnis im Pkw-Bereich klein, weil die Kamerabildschirme Strom benötigen. Zusammen mit in vielen Bereichen eher fragwürdiger Performance von Kameraspiegeln lässt Mercedes sie dann gleich weg, selbst bei diesem Prototypen, bei dem fragwürdige Performance im Hinblick auf potenziell mehr PR durch Kameras ja durchaus eine Option gewesen wäre.

Der EQXX wurde im Hinblick auf Mercedes' Serienstrategie großer Autos gebaut. Deshalb kann er mit XL1 oder gar Aptera nicht mithalten. Ob überhaupt auch nur etwas in die Richtung Lightyear One von Mercedes kommt, ist angesichts der zu erwartenden Verkaufszahlen fraglich. Eher geht es darum, mehr Effizienz in grundsätzlich ineffiziente (aber lukrative) große Autos zu bauen. Der EQS SUV wurde gerade vorgestellt und zeigt, wohin die Reise geht: dahin, wo sie überall hingeht. Vielleicht gibt es irgendwann Raum für ein Serien-Effizienzfahrzeug unter dem Markennamen "Smart". Aktuell geht es dort jedoch mit 1820 kg Gewicht und SUV-Form des Smart #1 in die diametrale Richtung.

Bei der Demonstrationsfahrt des EQXX kam die Crew nach 12 Stunden und zwei Minuten (inklusive 30 Minuten Pause mit Fahrerwechsel und Nachladen der Begleitfahrzeuge) und 1008 Kilometern in Cassis an. Die Batterie zeigte noch 15 Prozent Ladung an. Das Team wäre damit noch etwa 140 Kilometer weit gekommen. Für mich zeigt der EQXX weniger, was in Sachen Verbrauch möglich wäre, denn das zeigen Volkswagen oder Aptera besser. Sondern welches Sparpotenzial selbst in größeren Autos noch liegt, was ja Mercedes' Anliegen war. Denn intelligente Optimierung kostet nur einmal Geld, nämlich beim Erdenken. Danach kann sie sowohl die Schwellenkosten als auch die Energiekosten signifikant senken. Da diese Kosten beim Kunden liegen, liegt es an uns, energiesparende Fahrzeuge zu bevorzugen. Die aktuelle Spirale großer Prestige-Fahrzeuge bedeutet: Es gibt leider wenig zum Bevorzugen. Große Chance für die nächste Generation des EQA, Mercedes ...

(cgl)