Elektroautos mit 800 Volt: Mehr Effizienz durch höhere Spannung

Immer mehr Elektroautos kommen mit 800 statt 400 Volt Spannungsebene auf den Markt. Was sind die GrĂĽnde fĂĽr diese Entwicklung?

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Ladekurve

Das plakativste Merkmal ist die potenziell höhere Ladeleistung

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 8 Min.
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  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Die Hyundai Motor Group hat mit der Plattform e-GMP Überzeugungsarbeit geleistet: Elektroautos mit 800 Volt Spannungsebene in der Traktionsbatterie sind die Messlatte. Hyundai Ioniq 6, Kia EV9 und Genesis GV70 (Test) sind plakative Beispiele für das Potenzial der e-GMP. Aber was soll das eigentlich – warum gibt es immer mehr Elektroautos mit 800 Volt? Ist die Ladeleistung tatsächlich das wichtigste Unterscheidungsmerkmal? Wenn Hyundai im Kona oder Tesla im Model Y weiter auf 400 Volt setzen, sind diese Elektroautos in der Folge automatisch minderwertig? Wie so oft kommt es eher darauf an, was die Hersteller daraus machen.

Hyundai hat mit der Plattform e-GMP Überzeugungsarbeit geleistet: Kein 800-Volt-System ist so weit verbreitet. Eine höhere Spannung ermöglicht geringere Leitungsquerschnitte, weniger Wärmeverluste, höhere Effizienz und weniger Gewicht durch weniger Kupfer.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Zuerst ist offensichtlich, dass die Industrie zunehmend Elektroautos mit 800 Volt Spannungsebene anbietet. Den Anfang hatte 2019 der Porsche Taycan (Test) gemacht. Der Audi e-tron GT teilt die technische Basis namens J1. Es war und ist beeindruckend, wenn an der Ladesäule 270 kW Peakleistung ablesbar sind. Die wohlhabenden Kunden von Porsche und Audi warten allerdings bis heute auf die Weiterentwicklung der Plattform J1. Die Premium Platform Electric (PPE) wird im Macan zum Einsatz kommen, im Audi Q6 e-tron und e-tron Sportback sowie im Audi A6 e-tron und e-tron Avant. Die Vorstellung hat sich mehrfach verzögert. Warum genau, ist nicht transparent.

BMW kündigt die Einführung eines 800-Volt-Systems für die Elektroautomodelle der "Neuen Klasse" an. Rundzellen mit 46 Millimeter Durchmesser und in zwei unterschiedlichen Höhen vom Zulieferer EVE werden ab 2025 ausgeliefert: Zuerst kommt der iX3 (NA05) mit 120 Millimeter hohen Zellen. Anschließend folgt die Limousine i3 (NA0) mit 95 Millimeter Höhe. BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic meint, dass Tesla mit Erscheinen der Modelle der Neuen Klasse dadurch ins Hintertreffen gerät.

Tesla hat unterdessen mit dem Cybertruck erstmals ein Elektroauto mit 800 Volt Spannungsebene für die Traktionsbatterie eingeführt. Für Model Y und Model 3 bleibt es zumindest vorerst bei 400 Volt. Einen Zuwachs gibt es an anderer Stelle: Alle Teslas profitieren demnächst von einer von 12 auf 48 Volt gewachsenen Spannung im traditionellen Bordnetz – eine bemerkenswerte Veränderung. Das Bordnetz versorgt zum Beispiel die Scheinwerfer oder die Geräte für das Infotainment.

Das plakativste Merkmal ist die potenziell höhere Ladeleistung: Die e-GMP aus der Hyundai Motor Group kommt in 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent, und die nominale Spitze liegt bei über 240 kW.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Mercedes führt die 800-Volt-Traktionsbatterie mit dem nächsten CLA ein, dessen Konzeptstudie auf der IAA 2023 in München für Aufsehen gesorgt hatte. Mercedes verspricht eine Zeitspanne von unter 20 Minuten für den typischen Ladehub von zehn auf 80 Prozent. Das ist ungefähr so schnell wie bei der e-GMP von Hyundai, für den die Werksangabe 18 Minuten beträgt.

Viele Hersteller haben Elektroautos mit 800 Volt Spannungsebene in der Traktionsbatterie, oder sie kündigen sie konkret an: Bei Mercedes beginnt die Einführung mit dem CLA (2025). Außerdem hält sich das Gerücht, EQE und EQS könnten im Rahmen einer Modellpflege auf 800 Volt umstellen.

(Bild: Mercedes-Benz)

Es gilt außerdem als nicht ausgeschlossen, dass Mercedes bereits bei einer Überarbeitung – im Markenjargon "Mopf" (für Modellpflege) genannt – für EQE und EQS von 400 auf 800 Volt umstellt. Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Einführung in hochpreisigen Fahrzeugklassen beginnt und schrittweise nach unten fortgesetzt wird. Die Grenze liegt derzeit zwischen C- und D-Segment, also vereinfacht gesagt zwischen Hyundai Kona (Test) und Ioniq.

Die ganze Sache muss also etwas mit Geld zu tun haben. Die Kosten entstehen zum einen, weil eine höhere Spannung besser isoliert werden muss. Zum anderen, und das ist der relevantere Anteil, gab es zu Beginn keine standardisierten 400-Volt-Komponenten wie etwa Klimakompressoren. Die Leistungselektronik für 800-Volt-Systeme musste neu entwickelt werden. Die Hyundai Motor Group hat die Investitionen getätigt und kann nun bequem zusehen, wie sie sich bezahlt machen. Einen anderen Energieinhalt haben Batteriesysteme mit unterschiedlichen Spannungslevels nicht. Ein Hyundai Ioniq 5 beginnt mit 58 kWh. Genau so viel hat ein VW ID.3, wobei aus Wolfsburg keine Andeutungen zu hören sind, dass der Modulare Elektrifizierungsbaukasten (MEB) von 400 auf 800 Volt geändert wird.

Was dagegen anders ist, ist die Verschaltung der Zellen im System. Wechselt man von 4p3s (also je vier Zellen in Parallel- und je drei solcher Pakete in Reihenschaltung) auf 2p6s (entsprechend je zwei Zellen parallel und sechs dieser Einheiten in Reihe), verdoppelt sich bei identischer Anzahl von Zellen die Spannung. Gleichzeitig halbiert sich die Stromstärke nach dem physikalischen Zusammenhang "Leistung gleich Spannung mal Stromstärke", kurz P=U*I. Die Verlustleistung an den Verbindungskabeln wächst quadratisch mit der Stromstärke. Mit der Anhebung der Spannung von 400 auf 800 Volt würde sie bei unverändertem Leitungsquerschnitt auf ein Viertel sinken. Wird der Leitungsquerschnitt verkleinert, wächst die Verlustleistung lediglich im linearen Verhältnis dieser Reduktion. Der Leitungsquerschnitt der Kupferkabel kann demnach verkleinert werden. Der Kern der Sache ist also innere Effizienz.

Ein zusätzlicher positiver Effekt ist, dass Kupferkabel mit geringerem Querschnitt einen kleineren Biegeradius haben. In einer Batterie mit 800 statt 400 Volt können die Zellen enger zusammengefügt werden. Zugleich sinkt das Gewicht leicht, weil weniger Kupfer benötigt wird. Die Energiedichte steigt. Am bekanntesten ist die Auswirkung an der Gleichstrom-Ladesäule: Elektroautos mit 400 Volt sind hier auf eine maximale Leistung von 200 kW begrenzt, wenn das Kabel 500 Ampere überträgt. Bei 800 Volt sind es theoretisch 400 kW. Praktisch aber nicht.

Es wäre nämlich ein Trugschluss anzunehmen, dass Elektroautos mit 400 Volt zwangsläufig langsam laden. Der Vergleichsmaßstab ist die C-Rate, die sich in die gebräuchliche Minutenzeit für den Hub von zehn auf 80 Prozent übersetzt. Die e-GMP von Hyundai ist wie erwähnt mit 18 Minuten die Benchmark. In einem Vergleichstest stellt der norwegische Youtuber Björn Nyland nüchtern fest, dass ein Tesla Model Y mit LFP-Zellen von BYD genauso schnell auf 80 Prozent kommt wie ein Hyundai Ioniq 6. Zugleich dominiert das Model Y den BYD Atto 3, obwohl mutmaßlich sehr ähnliche Zellen eingebaut sind: Als der Tesla auf 80 Prozent ist, liegen im Atto 3 erst gut 50 Prozent an.

Mehr Spannung bedeutet nicht zwingend schnelleres Laden: In einem Direktvergleich ist das 400 Voltsystem von Tesla genauso schnell auf 80 Prozent wie die e-GMP von Hyundai. Auffällig ist, dass das Model Y mit BYD-Zellen viel schneller lädt als ein BYD Atto 3 mit technisch ähnlichen Zellen. Gewusst, wie.

(Bild: Screenshot Björn Nyland / Youtube)

Übersetzt: Das Tesla Model Y (Test) hat zwar eine faktische Begrenzung der Ladeleistung auf 200 kW. Der Hyundai Ioniq 6 kann das Potenzial des 800-Volt-Systems aber nicht ausspielen. Die Ursache dafür liegt mit größter Wahrscheinlichkeit in der Steuerung der Zellen selbst. Für die einzelne Zelle ist es gleichgültig, wie sie verschaltet ist. Wichtiger sind die Eigenschaften der Zellchemie, die Managementsoftware und das Heiz- bzw. Kühlsystem. Vielleicht prügelt Tesla die LFP-Zellen auch schlicht etwas intensiver, weil sie grundsätzlich unempfindlicher sind als NMC-Zellen. Klar ist: Das Know-how von Tesla bei der Zellsteuerung ist sehr groß.

Der Cybertruck ist der erste Tesla mit 800 Volt-Traktionsbatterie. Für alle Teslas wird bald das Bordnetz von 12 auf 48 Volt umgestellt. Die Ziele sind identisch: Höhere Spannung führt zu höherer innerer Effizienz, geringerem Kupferbedarf und weniger Gewicht.

(Bild: Tesla )

Wenn die Autoindustrie also für die zweite Hälfte des Jahrzehnts Elektroautos mit 4C oder 5C ankündigt – also mit einer Wartezeit von gut zehn und noch weniger Minuten, um von zehn auf 80 Prozent zu kommen – ist eine höhere Spannungsebene nicht die zwangsläufige oder ausschließliche Voraussetzung dafür. Wichtiger sind die Zellchemie, die Batteriemanagementsoftware und das Heiz- und Kühlsystem der Traktionsbatterie.

Es ist auch nicht so, dass Elektroautos mit 800 statt 400 Volt Spannungsebene in jedem Fall sparsamer sind. Ein Hyundai Ioniq 5 (Test) etwa hat eine relativ ungünstige Aerodynamik und verbraucht vergleichsweise viel Strom. Wie es viel besser geht, zeigt der technisch weitgehend identische Ioniq 6 (Test). Das Gesamtpaket zählt, nicht einzelne Komponenten. Mittelfristig wird die Zahl der Elektroautos mit 800 Volt-Traktionsbatterie deutlich zunehmen. Die Zulieferer werden ihre Teile immer häufiger darauf auslegen, und die Kosten sinken. Dass zugleich der Kupferbedarf geringer ist, wird angesichts des massenhaften Hochlaufs relevant. Vor diesem Hintergrund ist auch die Einführung des 48- statt 12-Volt Bordnetzes von Tesla äußerst interessant – nicht alle neuen Pkw sind elektrisch, aber alle haben ein Bordnetz.

(fpi)