Fahrbericht Aprilia Tuareg 660: Mit Leichtigkeit

Seite 2: Verblüffend auf Asphalt

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Der Motor ist ein Quell steter Freude und der schlagende Beweis, dass eine Reiseenduro nicht mehr als 660 cm3 braucht. Sie zieht blitzschnell an der Ampel los, beschleunigt in 4,4 Sekunden auf Tempo 100 und erreicht 190 km/h. Damit schlägt sie sich auch auf dem Asphalt mehr als wacker. Es ist verblüffend, mit welcher Schräglage die Tuareg 660 durch Kurven eilt, der Pirelli Scorpion Rally STR hält eine Traktion bereit, die man den groben Stollen kaum zutraut. Dabei erweist sich die Aprilia als spielerisch handlich, was bei einem Radstand von 1550 mm und einem Nachlauf von 113 mm nicht unbedingt zu erwarten wäre.

Auch im Kapitel Bremsen lässt die Tuareg 660 kaum Wünsche offen, die beiden Brembo-Bremszangen am Vorderrad beißen vehement zu und können dennoch gefühlvoll dosiert werden, was wiederum für den Geländeeinsatz wichtig ist. Die Hinterradbremse leitet auf Schotter problemlos Bremsdrifts ein, vorausgesetzt der Offroad-Modus wurde angewählt, der die Möglichkeit bietet, das ABS auszuschalten. Für italienische Motorräder eher unüblich erweist sich die Tuareg 660 mit 90 dB(A) als erfreulich leise, ohne dabei hohl zu tönen.

Fahrbericht Aprilia Tuareg 660 (8 Bilder)

Das verwegene Design der Tuareg 660 erinnert an ihre Einzylinder-Vorfahrin Tuareg600Wind von 1989. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Tuareg660 top-modern ist.
(Bild: Ingo Gach)

Damit kämen wir zum Thema Elektronik und davon hat die Tuareg 660 reichlich. Im Cockpit erfreut ein fünf Zoll großes TFT-Display. Geschwindigkeit, Drehzahl und eingelegter Gang lassen sich gut ablesen, selbst bei Hektik im Gelände reicht ein kurzer Blick, um sie zu registrieren. Bei der kleinen Tankanzeige und Kühlflüssigkeitstemperatur muss der Fahrer allerdings schon genauer hinsehen. Clever gelöst ist die Anzeige in der linken Display-Hälfte, wo sich per Drucktasten am linken Lenkerende einzelne Infos scrollen lassen. Die Aprilia hält vier Fahrmodi bereit: Urban, Explore, Offroad und Individuell. Die letzten beiden kann der Fahrer nach Belieben einstellen: Motorbremsmoment und Gasannahme in drei Stufen, die Schlupfregelung in vier Stufen, ABS in zwei Stufen oder ganz aus. Das TFT-Display ist zwar Bluetooth-fähig, jedoch nur gegen 171 Euro Aufpreis.

Die Tuareg 660 bietet serienmäßig einen Tempomaten, der am Test-Motorrad installierte Quickshifter für kupplungsfreies Hoch- und Runterschalten kostet hingegen 225 Euro extra. Er arbeitet auf der Straße einwandfrei, im Gelände bei ausgeschalteter Schlupfregelung verweigert er unter Last jedoch schon mal die Arbeit.

Der flache LED-Sheinwerfer integriert eine schmale Tagfahrleuchte. Der Windschild ist zwar nicht einstellbar, schützt aber erstaunlich gut vor dem Fahrtwind. Handprotektoren und Motorschutz sind serienmäßig an Bord, für einen Hauptständer, Sturzbügel, Gepäckträger oder Alu-Koffer mit Halterungen müssen allerdings satte Aufpreise berappt werden. Die gute Nachricht für Reisende: Die Tuareg 660 gestattet eine Zuladung von 206 kg und schafft mit ihrem 18-Liter-Tank eine Reichweite von rund 370 Kilometer, im Schnitt flossen 4,9 Liter auf 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen.

Einige Punkte gibt es aber doch zu kritisieren: Der Heckrahmen ist angeschweißt und nicht angeschraubt, wie es Geländefahrer schätzen. Wenn er bei einem Sturz verbiegt, kann er nicht kostengünstig ausgetauscht werden. Die Spitze des Fußbremshebels ist nicht klappbar und kann bei hartem Bodenkontakt verbiegen oder brechen. An den Felgen sitzen die Drahtspeichen am Rand und nicht in der Mitte, was zwar das Aufziehen von Schlauchlosreifen ermöglicht, bei einem durchbohrten Reifenmantel ist dann aber im wahrsten Sinne des Wortes Ende Gelände. Einen stilistischen Fehlgriff leistete sich Aprilia beim Kunststoff-Schraub-Tankdeckel, der wie ein Relikt aus den 1980er-Jahren wirkt.

Das soll aber nicht unser Fazit verwässern, dass Aprilia mit der Tuareg 660 ein ganz großer Wurf gelungen ist. Sie erfreut mit einem spritzigen Motor und superbem Handling. Dabei beherrscht die Italienerin das Geländefahren genauso gut wie den Asphaltritt. Aprilia erwartet für seine Enduro 11.990 Euro. Das klingt in Anbetracht der Gegenleistung erst einmal fair, jedoch bietet Yamaha die schärfste Konkurrentin Ténéré 700 schon ab 10.774 Euro an. Für viele Interessenten könnte das den entscheidenden Unterschied ausmachen.