Kanadisches Verbrenner-Aus lockt Investitionen und Konkurrenten

Das rohstoffreiche Kanada soll uns helfen, unabhängiger von China zu werden. Das beschlossene Verbrenner-Aus könnte aber auch chinesische Automarken stärken.  

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 193 Kommentare lesen
Honda Acura ZDX Type S

Honda ist die beliebteste Automarke in Kanada. Das Elektroauto Acura ZDX Type S soll noch 2024 auf den Markt kommen.

(Bild: Honda)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

Kanada sieht sich als Zugpferd der E-Mobilität. Das Land möchte eine starke Industrie aufbauen und die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Europäische Länder und Autohersteller sehen das als Chance, unabhängiger von China zu werden und hoffen auf Rohstoffe aus dem nordamerikanischen Land. Um ihren Anspruch zu untermauern, hat die kanadische Regierung ein Aus des Verbrennungsmotors im Jahr 2035 beschlossen. Dann sollen keine Neuwagen mehr mit Verbrenner zugelassen werden dürfen. Allerdings tut sich damit eine Marktlücke auf, die von chinesischen Herstellern besetzt werden könnte.

Ab dem Jahr 2035 dürfen in Kanada keine Neuwagen mehr mit Benzin- oder Dieselmotor verkauft werden. Es ist die letzte Stufe des Electric Vehicle Availability Standard. Das ist eine Art Fahrplan, der den Herstellern für den kanadischen Markt Quoten zur Orientierung vorgibt. Darin heißt es beispielsweise, dass ab dem Jahr 2026 der Anteil der verkauften Elektrofahrzeuge 20 Prozent betragen soll. Die Hürden wachsen dann jährlich. Im Jahr 2027 sind es 23 Prozent, im Jahr 2030 dann 60 Prozent und ab 2035 eben 100 Prozent. Im Jahr 2023 waren rund 12,5 Prozent aller Neuwagen in Kanada Elektroautos. Wobei es regionale Unterschiede gibt. In Quebec und British Columbia beispielsweise waren es rund 20 Prozent.

Viele Experten halten die Ziele für zu ambitioniert. Zu den schärfsten Kritikern der neuen Regelung gehört Flavio Volpe, Vorstand der kanadischen Automotive Parts Manufacturers’ Association. Er glaubt, dass das Ziel schlicht unerreichbar sei. Das liegt primär daran, dass Kanada enorm vom amerikanischen Automarkt abhängt. Etwa 75 Prozent der 1,8 Millionen verkauften Neuwagen im Jahr 2023 stammen aus dem Nachbarland. Der Autogeschmack ist ähnlich. SUV (711.000) und Pick-ups (387.000) führen die Zulassungsstatistik an.

Im Januar 2023 war Japans Premier Fumio Kishida zu Besuch beim kanadischen Premierminister Justin Trudeau. Es ging vor allem um wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Risiko einer Abhängigkeit von China.

(Bild: Homepage des Premierministeramtes Creative Commons Attribution License 4.0 International )

Zu den beliebtesten Marken gehören Honda, Toyota, Ford, Hyundai und Chevrolet. Hersteller also, die auch in den USA sehr stark sind, aber weniger ambitionierte Ziele bei der Elektromobilität haben. Honda möchte im Jahr 2030 beispielsweise einen Anteil von 40 Prozent an Zero-Emission-Vehicles in Nordamerika erreichen. Den Verbrenner-Ausstieg planen die Japaner für das Jahr 2040. Ford möchte im Jahr 2030 eine E-Auto-Quote von 50 Prozent erreichen – ein Ziel, das auch Präsident Joe Biden ausgerufen hat. All das ist ein gutes Stück entfernt von den Zielen der kanadischen Regierung.

Die kanadische Regierung kennt diese Herausforderung, sieht darin aber in erster Linie eine Chance, verstärkt in diesen Sektor zu investieren. "Die Herstellung von lokal emissionsfreien Fahrzeugen und deren Komponenten, einschließlich Batterien, sowie der Erwerb und die Veredelung der dafür benötigten wichtigen Mineralien bieten enorme Möglichkeiten, die sich für die kanadische Wirtschaft bereits auszahlen", heißt es in einer Aussendung des Umweltministeriums, die sich direkt der Kritik an den ambitionierten Zielen annahm.

Steven Guilbeault, kanadischer Umweltminister, glaubt nicht, dass die Industrie Probleme haben wird, die Ziele zu erreichen. Schon jetzt gäbe es rasche und umfangreiche Umstellungen bei den Autoherstellern und Zulieferern. Tatsächlich gab es in jüngster Vergangenheit Milliardeninvestitionen. Schon im Jahr 2022 reisten der damalige Volkswagen-Chef Herbert Diess und Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer gemeinsam mit Kanzler Olaf Scholz nach Montreal. Scholz ging es um LNG und Wasserstoff. "Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist", bewertete er damals die Zusammenarbeit.

Den Autoherstellern ging es darum, die E-Mobilität zu fördern und Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der kanadischen Automobil- und Batterielieferkette zu prüfen. In Kanada lagern große Bestände an Lithium, Kobalt, Nickel und Grafit. Alles Rohstoffe, die in der Batterieproduktion benötigt werden. Diess und Schäfer unterschrieben bei dem Besuch ein "Memorandum of Understanding". Es sollte geprüft werden, welche Möglichkeiten bei der Entwicklung, Rohstoffgewinnung, Produktion und beim Recycling von Batterien und E-Autos bestehen. Es geht um nicht weniger als eine komplette Wertschöpfungskette.

Große Party in Kanada. VW und PowerCo eröffnen ihre erste Gigafabrik außerhalb Europas. Mittendrin: François-Philippe Champagne, Kanadas Minister für Innovation, Wissenschaft und Industrie (4. v.l.).

(Bild: Volkswagen)

Es ist eine Forschungsarbeit, die bereits Früchte trägt. Im Jahr 2027 soll Produktionsbeginn in St. Thomas in Ontario sein – die erste Gigafabrik der Volkswagen-Marke PowerCo außerhalb Europas. "Mit der Expansion nach Nordamerika erschließen wir einen Schlüsselmarkt für die Elektromobilität und die Zellproduktion und treiben unsere globale Batteriestrategie mit voller Kraft voran", kommentiert Thomas Schmall den Schritt. Er ist Konzernvorstand Technik und Vorsitzender des PowerCo Aufsichtsrats.

Auch andere Marken sehen in Kanada einen Zukunftsmarkt. Anfang des Jahres stattete Honda der kanadischen Regierung einen Besuch ab. Der japanische Hersteller möchte insgesamt 18,4 Milliarden kanadische Dollar in ein Produktionswerk investieren. Es geht dabei sowohl um Elektroautos als auch Batterien. Auch andere Unternehmen haben bereits größere Investitionen angekündigt. Die kanadische Regierung schätzt, dass Northvolt, Volkswagen und Stellantis in den kommenden zehn Jahren etwa 37,7 Milliarden kanadische Dollar in die Elektroauto- und Batterieproduktion investieren werden.

Selbst Volpe, Kritiker des ambitionierten 2035-Ziels, zeigte sich im Gespräch mit der Canadian Broadcasting Corporation (CBC) von den Fortschritten beeindruckt. Die Pläne hätten dazu geführt, dass namhafte Unternehmen in Kanada investieren würden. "Es gibt keine Gewissheit, aber ich bin begeistert von der Idee, dass Honda das, was sie hier haben, verdoppeln würden."

Mehr Investitionen und neue Produkte – die auch eine Ladeinfrastruktur umfassen müssen – sind in Kanada dringend notwendig. Denn die Kunden sind bisher nicht restlos vom batterieelektrischen Auto überzeugt, auch wenn es in einigen Provinzen durchaus verbreitet ist. Im vierten Quartal 2023 lag der Anteil der Elektroautos an den Neuzulassungen bei 12,1 Prozent. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es noch 8,7 Prozent. Doch das Wachstum habe sich abgeschwächt, so Niel Hiscox gegenüber CBC. Er ist Präsident der kanadischen Clarify Group, einem Forschungs- und Beratungsunternehmen für die Automobilindustrie.

Das belegen auch andere Daten. So kommt eine Analyse der Plattform AutoTrader zu dem Ergebnis, dass sich nur noch 56 Prozent aller Besitzer von Autos mit Verbrenner vorstellen können, als Nächstes ein Elektroauto zu fahren. Im Vorjahr waren es noch 68 Prozent. Suchanfragen nach E-Autos auf ihrer Plattform hätten gerade einmal drei Prozent ausgemacht. Wobei diese Statistik irreführend ist. Zum einen ist der Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos naturgemäß bislang nicht in Schwung gekommen. Zum anderen gibt es auf der Seite eine eigene Rubrik für Elektroautos. Viele User dürften direkt über sie nach E-Autos suchen.

Zentrales Hindernis ist der Kostenfaktor. Ein Neuwagen in Kanada kostet durchschnittlich 66.000 kanadische Dollar, was derzeit rund 45.000 Euro entspricht. Ein Elektroauto kostet in Kanada im Schnitt 73.000 Dollar. In einem Report der Scotiabank heißt es, dass der Preis zwischen 33 und 50 Prozent fallen müsste, damit E-Autos den Siegeszug hinlegen, den sich die kanadische Regierung erhofft. Der hohe Durchschnittspreis kommt vor allem daher, dass die Hersteller bislang hauptsächlich Fahrzeuge der oberen Mittelklasse elektrifizieren.

Die chinesischen Hersteller haben auch im günstigen Preissegment Fahrzeuge, mit denen sie profitabel sind. Für sie tut sich in Kanada eine enorme Marktlücke auf, die gleich doppelt rentabel sein kann. Einerseits können die Hersteller ihren Absatz in Kanada erhöhen. Andererseits hätten sie damit bereits ein Bein im ganzen nordamerikanischen Markt. Die USA erheben aktuell noch einen Strafzoll in Höhe von 25 Prozent auf Autos aus China, Kanada nicht. Ein erfolgreicher Markteintritt mit günstigen und hochwertigen Autos in Kanada, könnte den wirtschaftspolitischen Druck auf das Nachbarland erhöhen, diesen Strafzoll abzuschaffen.

BYD geht seinen Marktstart in Kanada eher pragmatisch an. Ende 2023 konnte der chinesische Allrounder seine ersten Elektrobusse in Kanada ausliefern.

(Bild: BYD)

"Die Hauptsorge der globalen Autohersteller ist der Zustrom billiger chinesischer E-Fahrzeuge in ihre Heimatmärkte und andere wichtige Märkte, bevor sie E-Fahrzeuge zu niedrigeren Kosten produzieren können", sagte Jing Yang gegenüber The Associated Press. Sie ist die Leiterin der China-Unternehmensforschung bei der US-amerikanischen Unternehmensberatung Fitch Ratings. Gerade im unteren Preissegment haben die Firmen aus der Volksrepublik einen Vorsprung, den westliche Marken auch mit hohen Investitionen nicht so schnell aufholen können.

Tatsächlich erhöhen die Hersteller ihre Aktivitäten in Kanada. BYD hat im Jahr 2023 eine Fabrik für Elektrobusse in Ontario eröffnet und die ersten Fahrzeuge bereits an kanadische Kunden ausgeliefert. "Wir sind stolz darauf, dass wir uns in Kanada niedergelassen haben; es bekräftigt unser Engagement als Unternehmen, in diesem Land und in dieser Provinz verwurzelt zu sein", verkündete Ted Dowling, Vizepräsident von BYD Canada, bei der Eröffnung.

Andere Marken – wie die FAW Group, SAIC oder Chery – die ebenfalls im günstigen Preissegment Elektroautos haben, geben sich bezüglich konkreter Expansionspläne in Richtung Kanada verschlossen. Sie betonen aber stets, sich als globale Autokonzerne zu verstehen und den Export steigern zu wollen. NIO sagt auf Anfrage: "Als globales Smart EV-Unternehmen prüft NIO kontinuierlich seine Expansion in andere Märkte, was natürlich auch Nordamerika einschließt."

(mfz)