Ampel-Koalitionsvertrag zum Thema Mobilität: Signale für eine Verkehrswende

SPD, Grüne und FDP haben einen Koalitionsvertrag vorgelegt, der die Mobilität in Deutschland spürbar verändern soll. Die Ziele sind im Detail ambitioniert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 143 Kommentare lesen

(Bild: BMW)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

Es mag Menschen geben, die bis zum 24. November hofften, die potenziellen Partner auf Bundesebene verheddern sich in Details, die ein solches Bündnis noch verhindern. Ganz ausgeschlossen war das nicht, trotz aller vorgetragenen Euphorie bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags, wie Christian Lindner es süffisant ausdrückte: "Die Gespräche waren genauso kontrovers wie sie diskret waren."

Da im Vorfeld so gut wie nichts nach außen drang, muss es demnach hinter den Kulissen ordentlich gescheppert haben. Doch der Vertrag steht, und er unternimmt gerade im Bereich Mobilität den ernsthaften Versuch, drei zum Teil ziemlich unterschiedliche Vorstellungen zusammenzuführen.

Dass sich die FDP nicht nur beim Thema Tempolimit durchgesetzt hat, sondern sich auch in der Personalie Wissing als künftigem Verkehrsminister in diesem Bereich verankert sieht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf den Verkehrssektor gewaltige Veränderungen zukommen. An denen werden die Koalitionäre gemeinsam arbeiten wollen und müssen.

In solchen Verhandlungen hat die Durchsetzung einzelner Vorstellungen – Stichwort "Kein Tempolimit" – einen Preis. Wer sich den Koalitionsvertrag (Download) zum Thema Mobilität (ab Seite 48) genauer ansieht, wird rasch feststellen, dass die FDP bereit war, für die Übernahme dieses Ministeriums Punkte hinzunehmen, die eher nicht den eigenen Idealen entsprochen haben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Schon in der Einleitung des Kapitels Mobilität kann man sich problemlos vorstellen, wie hart um jeden Satz gerungen und von wem er durchgesetzt wurde: "Die erforderlichen Entscheidungen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit dem Ziel der Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches werden wir treffen und die praktische Umsetzung deutlich beschleunigen. Mobilität ist für uns ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen."

Die Autoindustrie befindet sich schon einem tiefgreifenden Wandel, dessen vor Jahren begonnene Vorbereitungen langsam auch in den Verkaufsräumen vor Ort sichtbar werden. Die Hersteller sind in der Politik hervorragend vernetzt und haben eine üppig ausgestattete Lobby. Es ist also nicht davon auszugehen, dass künftig eine Politik gegen ihre Interessen ausgerichtet wird. Zwischen den Zeilen des Koalitionsvertrags wird das überdeutlich. Zwar will man sich für eine "ambitionierte" Abgasnorm Euro 7 einsetzen, bei deren Umsetzung allerdings "Wertschöpfung und Arbeitsplätze zu berücksichtigen" seien.

Die Autoindustrie sei bei Digitalisierung und Dekarbonisierung zu unterstützen. Ein verbindliches Ende des Verbrennungsmotors ist nicht festgeschrieben, alle ab 2035 neu zugelassenen Autos aber sollen nur noch mit E-Fuels betankt werden können. Schaut man sich die aktuelle Entwicklung in der Industrie an, wird klar, warum die Grünen bei diesem Punkt leichten Herzens nachgeben konnten. Das Angebot an Neuwagen mit Verbrennungsmotor dürfte in 14 Jahren ziemlich übersichtlich sein.

Das Angebot an Neuwagen mit Verbrennungsmotoren wird bis 2035 vermutlich ziemlich gering sein.

(Bild: Pillau)

Dafür muss an der Ladeinfrastruktur gearbeitet werden, was auch ausführlich festgehalten ist. Hemmnisse in Genehmigungsprozessen, bei der Netzinfrastruktur und den Netzanschlussbedingungen sollen abgebaut, Kommunen bei der Planung unterstützt werden. Ganz interessant: Nur in einem Nebensatz wird das bidirektionale Laden erwähnt. Auch hier wollen die Koalitionäre auf gesetzlicher Ebene einwirken, um die Batterie in E-Autos als Speicher nutzen zu können. Das dürfte Auswirkungen auf die Kosten von entsprechenden Speichern daheim haben. Dort werden zum Teil noch immer abenteuerliche Preise aufgerufen, obwohl zumindest in einigen Fällen die Zellen aus der Zweitverwertung kommen.

Aufladen von Elektroautos

Heftig gerungen wurde auch um die Neuausrichtung der Innovationsprämie. Hier wird ersichtlich, dass die FDP, die sich in diesem Trio als Anwalt von Industrieinteressen sehen dürfte, nachgegeben hat. Sie tat es mit einem gewissen Augenmaß, denn auch in diesen Kreisen war klar, dass die bisherigen Subventionen von Plug-in-Hybriden nicht unverändert bleiben konnten. Ab Januar 2023 wird die Prämie nur für Fahrzeuge ausgezahlt, die nachweislich einen "positiven Klimaeffekt" haben, den die Koalitionäre über einen elektrischen Fahranteil und eine elektrische Mindestreichweite definieren. Der ist damit allein zwar noch nicht gegeben, weil er den Stromverbrauch ebenso ausblendet wie viele Plug-in-Hybrid-Fahrer es ebenso tun. Dennoch ist der Schritt richtig.

Die Verschärfung, nach der Plug-in-Hybride nur dann gefördert werden, wenn sie mindestens 80 km rein elektrisch am Stück fahren können, wird auf den 1. August 2023 vorgezogen. Ob diese Reichweite im veralteten NEFZ oder im aktuellen WLTP geschafft werden muss, ist nicht festgehalten. Die Verschärfung dürfte hier und da eventuell eine gewisse Betriebsamkeit bei den Herstellern auslösen, doch sicher ist das keineswegs. Denn der Koalitionsvertrag schweigt zu einem bisherigen, riesigen Schlupfloch: Förderfähig ist ein Modell auch, wenn der CO2-Ausstoß bei unter 50 Gramm je Kilometer liegt. Damit ist das Thema noch nicht erledigt, doch eine präzise Klarstellung fehlt.

Die Förderbedingungen für Plug-in-Hybride werden verschärft - zumindest auf den ersten Blick. Im Bild: Skoda Octavia iV (Test)

(Bild: Pillau)

Für reichlich Diskussionsstoff dürfte auch eine Reform der Besteuerung von Dienstwagen gesorgt haben, die sich zumindest teilweise auch elektrisch betreiben lassen. Bislang muss die private Nutzung eines PHEV-Dienstwagens mit einem halben Prozent des Bruttolistenpreises als geldwerter Vorteil versteuert werden. Bei einem Fahrzeugpreis von 50.000 Euro steigt also das zu versteuernde Einkommen monatlich um 250, und nicht um 500 Euro wie bei Dienstwagen mit konventionellem Antrieb. Bisher galt diese Ermäßigung vollkommen unabhängig davon, ob der Fahrer von der Möglichkeit, elektrisch zu fahren, Gebrauch macht oder eben nicht.

Künftig sollen sie nur dann in den Genuss der Steuererleichterung kommen, wenn sie mindestens 50 Prozent der Strecke elektrisch zurückgelegt haben. Das muss nachgewiesen werden – wie, lässt der Vertrag vermutlich ganz bewusst offen. Eine Möglichkeit ist mit der Abgasnorm Euro 6d-ISC-FCM theoretisch geschaffen worden, denn FCM steht für "Fuel Consumption Monitoring". Im Auto wird also der Verbrauch erfasst und gespeichert. Wer diese Daten auslesen und wie verarbeiten darf, ist bislang noch Gegenstand von Diskussionen. Schließlich hat sich herumgesprochen, dass sich aus Daten unter Umständen Geld machen lässt, was bekanntlich Begehrlichkeiten auf unterschiedlichsten Ebenen weckt.

Angesichts der aktuellen Spritpreise an den Tankstellen werden Pendler, die auf einen Diesel zur Kostenreduktion gesetzt haben, einen Abschnitt auf der Seite 162 mit einer gewissen Sorge lesen. Denn in dem knappen Dreizeiler, der die Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie beschreibt, steckt ein Abbau der Dieselsubventionen drin. Das könnte bedeuten: Der Preisunterschied von Diesel- und Ottokraftstoff an der Tankstelle wird noch kleiner, die Differenz in der Kfz-Steuer allerdings auch. Einstellen darf man sich darauf, dass der Betrieb eines Autos mit konventionellem Antrieb nie wieder so billig wird wie aktuell.

Dieselkraftstoff könnte teurer, die Kfz-Steuer dafür etwas weniger teuer werden. Im Bild: BMW 118d (Test)

(Bild: Pillau)

Fest steht, dass die schon längst laufende, tiefgreifende Veränderung im Mobilitätssektor eine heftige Beschleunigung erfahren soll. Damit ist nicht nur die Verschiebung von Investitionsmitteln gemeint, die sich schon viele Koalitionen in ihre Verträge geschrieben hatten. Stets wollten sie beim Straßenbau den Erhalt des Bestandes vor den Neubau stellen und die Schiene stärken. In der Umsetzung waren jedoch offenkundig die Termine, bei denen in trister Baustellen-Atmosphäre neue Straßenabschnitte feierlich eröffnet wurden, dann aber wohl doch zu verlockend. Dennoch fehlt das Ansinnen, Straßen vorrangig zu erhalten und nicht neu zu bauen und den Schienenverkehr zu stärken, auch in der 2021er-Ausgabe eines Bundes-Koalitionsvertrages nicht. Bis 2025 soll das Budget für eine Sanierung der Straßen jährlich erhöht werden.