Motorradhersteller Norton plant Neustart​

Hoffnung für den in Insolvenz getriebenen Motorradhersteller Norton: Ein Käufer aus Indien verspricht einen Neuanfang für die große englische Traditionsmarke.

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Stuart Garner in Pose vor dem 100-Zimmer-Schloss Donington Hall.

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Der altehrwürdige Motorradhersteller Norton ist seit Anfang 2020 zahlungsunfähig. Nach und nach kommt ans Licht, wie der 2008 als Retter gefeierte Stuart Garner das Unternehmen zugrunde richtete. Nun wagt ein indischer Käufer einen Neustart für die englische Marke und verspricht bessere Motorräder als je zuvor.

Der Name Norton Motorcycles hat in der Motorradwelt einen Klang wie Donnerhall. Seit 1902 baute die englische Marke Motorräder, gewann zahllose Rennen und gehörte zeitweise zu den größten Motorradherstellern der Welt, bis sie aufgrund von Missmanagement 1974 Pleite machte. Danach gingen die Markenrechte durch diverse Hände und landete schließlich bei dem Amerikaner Kenny Dreer, der in Oregon die legendäre Norton Commando weiterbaute.

Im Vereinigten Königreich saß die Schmach tief, ihre ur-englische Marke Norton ausgerechnet an die USA verloren zu haben. Umso euphorischer war man in Großbritannien, als ein gewisser Stuart Garner 2008 verkündete, dass er die Rechte an Norton Motorcycles für 1,6 Millionen Pfund erworben habe und in Donington wieder Motorräder bauen würde. Das hörte sich zunächst gut an – zu gut, wie man heute weiß. Die Wahrheit war ein Wirtschaftskrimi.

Stuart Garner stellte sich bis Januar 2020 als der strahlende Retter einer englischen Ikone dar, in Wirklichkeit besaß er eine erschreckend kriminelle Ader. Er hatte über Jahre fremdes Geld veruntreut und völlig über seine Verhältnisse gelebt. Schon die Beschaffung der Kaufsumme für Norton war ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte: Garner, der bis dahin mit Feuerwerk aus China handelte, hatte sich 2006 in die für den Bau exzellenter Motorradrahmen bekannte Firma Spondon Engineering eingekauft. Doch statt der versprochenen 380.000 Pfund erhielt der Verkäufer durch einen Trick Garners nur 90.000 Pfund.

Wirtschaftskrimi um Norton Motorcyles I (7 Bilder)

Norton baut seit 1902 Motorräder und genießt einen entsprechend hohen Bekanntheitsgrad. Seit 2008 werden Nortons wieder in England gefertigt, die letzte Neuvorstellung war 2018 die Atlas, die es jedoch nur zum Prototypenstadium geschafft hat.

Stuart belehnte dann die Firma Spondon mit 1,2 Millionen Pfund und kaufte dafür Norton von Kenny Dreer, inklusive der Konstruktionspläne und Prototypen der Commando 961. Garner bezog 2008 nahe der englischen Rennstrecke Donington eine Werkshalle, wo zwei Jahre später die ersten Commando 961 vom Band rollten. Sie zeichneten sich durch schickes Retro-Design und notorische Unzuverlässigkeit aus – die Motoren gingen reihenweise fest. Eine Neukonstruktion des Motorgehäuses linderte die Pannenhäufigkeit der Commando 961 kaum.

Garner kaufte 2013 das dem Werk benachbarte 100-Zimmer-Schloss Donington Hall inklusive 32 Hektar Park und residierte dort mit seiner Familie fürstlich. Zu seinem Fuhrpark zählten unter anderem sechs Aston Martin. Gleichzeitig ließ er eine neue Fabrik von 5000 Quadratmetern neben der alten Werkshalle errichten. Norton entwickelte auf Basis des 1000-cm3-Motors der Aprilia RSV4 ein Rennmotorrad mit 1200 cm3, die Norton V4 SS, und nahm ab 2012 werbewirksam an der TT Isle of Man teil. Daraus leitete sich dann 2016 das straßenzugelassene Superbike Norton V4 RR mit 200 PS für 28.000 Pfund (rund 31.000 Euro) ab. Garner verkündete stets hochfliegende Pläne, gab die Entwicklung der 650er-Zweizylinder-Modelle "Nomad" und "Atlas" – beides Namen historischer Norton-Motorräder – bekannt und sprach sogar von Kompressormotoren. Eines der schnellsten Motorräder ist die 300 PS leistende Kawasaki H2R mit Kompressor.

In Wahrheit diente das alles dazu, Geldgeber in Sicherheit zu wiegen. Garner trat stets als seriöser Geschäftsmann und Gentleman mit tadellosen Manieren auf und gründete 2012 drei Pensionskassen, was im Vereinigten Königreich jedem Privatmann erlaubt ist. Er beauftragte den wegen Betrugs vorbestraften Simon Colfer mit der Geschäftsführung und warb mit sagenhaften 25 Prozent Rendite. 228 gutgläubige Menschen investierten ihre Altersvorsorge in die Pensionskassen von Garner, insgesamt kamen 14 Millionen Pfund zusammen (ungefähr 17 Millionen Euro). Doch statt das Geld wie versprochen gewinnbringend anzulegen, floss es direkt in die Motorradfabrik, um den Betrieb aufrecht zu erhalten.

Die Zahlen von Norton Motorcycles wurden von Garner stets geschönt, so erklärte er zum Beispiel, dass alleine von der V4 jedes Jahr rund 250 Stück gebaut würden. In Wahrheit entstanden von 2008 bis 2019 laut Angestellten bestenfalls 2500 Motorräder (Commando 961, Dominator und V4) und selbst das erscheint Experten zu hoch gegriffen, denn in dem Zeitraum wurden im Hauptabsatzmarkt Großbritannien nur 802 neue Nortons registriert. Dabei hatte Norton zeitweise rund 100 Angestellte zu bezahlen und immense Entwicklungskosten für die V4.

Doch Garner gelang es immer wieder, an Geld zu kommen: Im August 2011 übernahm der Staat eine Bankbürgschaft über 7,5 Millionen Pfund für Norton und Garner erklärte, so könnte er die Produktionszahl von 500 auf 1000 Motorräder pro Jahr hochfahren. Als 2015 der britische Finanzminister das Werk in Donington besuchte, gewährte er Norton weitere vier Millionen Pfund Wirtschaftshilfe.

Garner wusste mit geschickten PR-Aktionen Misstrauen gegenüber seiner Liquidität zu zerstreuen, so stellte er persönlich in Bonneville 2009 einen Geschwindigkeitsrekord von 278 km/h auf einer Norton-Rennmaschine mit Wankelmotor auf, dabei wurde der Motor seit den frühen 1990er Jahren nicht mehr gebaut. Doch der Coup fand weltweit in den Medien sein Echo. 2011 holte er den bekannten Designer Pierre Terblanche, der sich zuvor bei Ducati einen Namen gemacht hatte, doch der verließ Norton bereits Anfang 2013 wieder. Garner setzte ab 2012 auf den Rennsport, um Publicity für Norton zu machen. 2018 engagiert er unter großem Medienrummel den erfolgreichsten Roadracer überhaupt: John McGuiness. Der 23facher Sieger der TT Isle of Man trat 2019 auf der Norton V4 SS bei dem legendären Rennen an – und wartet bis heute auf sein Gehalt.