Zeitsprung: Das Rennmotorrad Britten V1000

Seite 3: Unkonventionelle Lösungen

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Britten vergrößerte den Hubraum des V2-Motors von 1000 auf 1100 Kubikzentimeter mit einem Bohrungs-Hub-Verhältnis 98,9 x 65 Millimeter. Ventile und Pleuel bestanden aus Titan und die Verdichtung setzte er auf 11,3:1 hoch. Die beiden Zylinder wurden über eine Einspritzung mit je zwei Einspritzdüsen versorgt, das Steuergerät hatte Britten selbst programmiert. Den Kühler positionierte Britten nicht wie üblich vor den Motorblock, sondern waagerecht unter dem Sitz. Dorthin gelenkter Fahrtwind reichte aus, um die Motortemperatur niedrig zu halten.

Beim Fahrwerk griff er ebenfalls zu unkonventionellen Lösungen: Er baute die Hinterradfederung vor den Motorblock, das hielt den Öhlins-Dämpfer kühl und schaffte Platz für die mächtige Hinterradschwinge aus Kohlefaserlaminat, ohne dass der Radstand zu lang wurde. Das Vorderrad wurde von einer Hossack-Gabel geführt, die der Engländer Norman Hossack bereits 1980 als Patent angemeldet hatte. Dabei wird eine starre Gabel über Kugelgelenke und zwei übereinanderliegende Dreieckslenker beweglich mit dem Motorrad verbunden. So können die ungefederten Massen minimal gehalten werden und die Front sackt beim Bremsen kaum noch ein, was wiederum die Fahrstabilität besonders in Kurven begünstigt.

Um Gewicht zu sparen, baute Britten so viele Teile wie möglich aus Kohlefaser- und Kevlarlaminat: das komplette Monocoque-Chassis, Schwinge, Abdeckungen, einige Motorenteile und sogar die Räder – alles in eigener Handarbeit. Die V1000 wog trocken nur 138 Kilogramm. Motorblock, Zylinder und Köpfe goss Britten mit Hilfe seines Freiwilligen-Teams selbst. Allein das atemberaubende Geschlängel der beiden Auspuffkrümmer war ein echtes Kunstwerk. Es dient der Aufladung der Zylinder durch gezielt eingesetzte Resonanzen. Dafür sind Abgaswege definierter Längen (und Durchmesser) nötig, die in Form gerader Rohre nicht unterzubringen waren.

Der Motor leistete schließlich 170 PS und drehte bis 12.500/min. Damit übertraf die neue V1000 Leistung und Drehvermögen der bis dahin dominierenden Werks-Ducati 888 mit der Doug Polen 1991 Superbike-Weltmeister geworden war. Außerdem baute der Britten-V2 schon früh viel Drehmoment und bot damit ein breites nutzbares Drehzahlband. Bei den Bremsen setzte Britten auf zwei 320 Millimeter große Scheiben und Vier-Kolben-Bremszangen des italienischen Spezialisten Brembo. Sie gehörten zu den wenigen Teilen an der V1000, die Britten nicht selbst gebaut hatte.

Von der Britten V1000 entstanden nur zehn Exemplare: Es gibt drei "Factory-Racer" mit je 1100 Kubikzentimeter Hubraum und sieben "Customer-Racer" mit 999 Kubikzentimeter. Vier stehen heute in Museen: im Guggenheim Museum in New York, im Barber Museum in Alabama, im Solvang Vintage Motorcycle Museum in Kalifornien und im neuseeländischen Nationalmuseum "Te Papa" in Wellington. Die anderen sechs werden gelegentlich von ihren Besitzern auf der Rennstrecke zu Show-Zwecken eingesetzt.

Der neuseeländische Road Racer und zehnfache TT-Isle-of-Man-Sieger Bruce Anstey fuhr 2013 im Rahmen der Classic TT Isle of Man eine Demo-Runde mit einer Britten V1000. Der "Flying Kiwi" war tief ergriffen, dass er das legendäre Rennmotorrad fahren durfte und begeistert über die gewaltige Kraft des Motors. Natürlich ging Anstey nicht an das Limit, denn eine Britten V1000 ist heute mehrere hunderttausend Euro wert.

Doch das alles erlebte John Britten nicht mehr. Der sympathische Tüftler aus Neuseeland starb 1995 mit nur 45 Jahren nach kurzer Krankheit. Ein ungeheurer Verlust – was hätte dieses Genie noch alles erfinden und erreichen können? Er arbeitete an vielen Projekten, wie einem Einzylinder-Rennbike, das unter 100 Kilogramm wog, an einem Jet-Boot, einem Carbon-Fahrrad, einem Auto mit Elektromotoren in den Rädern und sogar an einem fliegenden Auto. Keines davon sollt je vollendet werden. Seine Firma existierte noch einige Jahre und baute bis 1998 die von John Britten versprochenen zehn V1000. Vergessen ist John Britten bis heute nicht, in Neuseeland wird sein Andenken hochgehalten und weltweit sorgen seine legendären Motorräder immer noch für Aufsehen.

(fpi)