Atomausstieg: Ein Endlager fehlt – auch für manche Debatten

Die angeblich saubere Technik hat strahlende Altlasten. Wo bleibt nun das nötige Endlager? Ein Kommentar von Kristina Beer.

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(Bild: mrlenis1983 / Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Die Nutzung der Atomkraft zur Stromgewinnung findet zum 15. April 2023 in Deutschland ein vorläufiges Ende. Aufgrund der anhaltenden Sicherheitsprobleme und der Ewigkeitskosten dieser Technik dürfte das für strikte Gegnerinnen und Gegner allerdings nur ein kleiner Sieg sein.

Endet die Zeit der Atomkraftwerke nun erst einmal in Deutschland, so ist dieses Land doch umringt von Ländern, die weiterhin auf die Atomkraft setzen. Wer sich also vor einem GAU wie in Tschernobyl oder einer Nuklearkatastrophe wie der von Fukushima sicher fühlen will, muss weiterhin auch international für das Ende der (bisher bekannten) Atomkraft kämpfen und sehr genau auf die maroden Atomkraftwerke in der Nachbarschaft achten, wie etwa die französischen. Im europäischen Stromnetz wird ohnehin weiterhin Atomstrom zirkulieren.

Zudem ist das Thema bei Weitem noch nicht ausdiskutiert, allerdings nicht an jener Stelle, die die meisten Menschen vermuten. Zwar wird gerne darüber philosophiert, was sich mit noch weiter laufenden Atomkraftwerken, also einem erneuten Wiedereinstieg, alles machen ließe. Ein wichtiges Problem wird aber gerne vergessen: die sichere Verwahrung des angefallenen Atommülls.

Für Atomkraftgegner oder -befürworter dürfte der 15. April 2023 also wohl nur eine kleine Verschnaufpause in den anhaltenden Debatten bringen. Das Atomkraftthema ist seit Langem ein Dauerbrenner für Bundestagswahlkämpfe. Und selbst noch in der aktuellen Ampelkoalition wurde und wird über den Weiterbetrieb der gerade noch so funktionsfähigen Atomkraftwerke gestritten. Grüne und FDP stehen sich auch bei diesem Thema diametral gegenüber. Bundeskanzler Scholz von der SPD mischte sich nur insofern ein, als er den Betrieb der Kraftwerke nach medial befeuertem Gerangel noch bis zum 15. April erlaubte.

Sicher können wir uns vor allem einer Sache sein: Selbst wenn kein deutsches Atomkraftwerk mehr Energie einspeist, wird es auf jeden Fall noch Politikerinnen und Politiker geben, die mögliche Atomkraft-Szenarien weiterspinnen werden – und sei es nur, um anders orientierte Energiepolitiken weiter infrage stellen zu können.

Dabei passt die Atomkraft nicht gut in unseren aktuellen Energiemix. Schon seit einiger Zeit sorgte die übriggebliebene Atomkraft dafür, dass Windräder zum Stillstand gezwungen wurden. Besonders agil ist sie nämlich nicht einzusetzen, im Gegensatz etwa zu vergleichsweise schnell hoch- und runterfahrbaren Gaskraftwerken. Das neue Energiesystem soll wesentlich volatiler sein, das wurde beschlossen. Wollte Deutschland die Atomkraft wirklich erhalten, müssten schleunigst neue Pläne her. Diese alternativen und belastbaren Pläne zeichnen sich aber nicht ab – weder wirtschaftlich noch klimapolitisch. So müssen Kohlekraftwerke temporär wieder mehr arbeiten, was mit Blick auf das Klima auch Schmerzen bereiten kann.

Bis auf die Endlagerfrage ist der Ausstieg aus der Stromerzeugung mit Kernkraft tatsächlich realpolitisch abgeräumt. Die Betreiber der Atomkraftwerke haben die Stilllegung lange geplant, dafür auch hohe Entschädigungszahlungen erhalten, Personal wurde abgebaut, für weitere Zyklen nötige Wartungsarbeiten unterlassen. Es wurden auch keine weiteren Brennstäbe bestellt – und diese würden wir immer in einer Abhängigkeit zu Russland oder seinen Verbündeten einkaufen müssen. Wer jetzt also noch nach dem Wiedereinstieg ruft, ruft nach einem schon lange zu Tode gerittenem Pferd. Ein Wiedereinstieg würde sehr schwierig, sehr teuer; und wer mag dieses Unterfangen noch versichern?

Dem Ausstieg aus der Atomkraft ist in den vergangenen Jahren ein energiepolitischer Schlingerkurs vorausgegangen. Die Impulse für die Entscheidungen kamen oft eher von außen, denn von innen. Das zeigte zuletzt die Schwarz-Gelbe Regierung unter Angela Merkel, die 2011 rund um die Vorfälle in Fukushima ein Atomkraft-Doch-Bitte-Nein-Danke-Manöver vollführte.

Ein Beispiel für solch ein Vor-und-Zurück-Drama in der deutschen Energiepolitik ist auch der Umgang mit den Erneuerbaren Energien in den vergangenen 20 Jahren: Rot-Grün schob die Erneuerbaren Energien an und Schwarz-Gelbe- und Schwarz-Rote-Regierungen ließen danach die Pioniere der Solar- und Windenergie wieder fallen. Die Folgen der sich widerstreitenden energiepolitischen Ideen baden wir momentan gemeinschaftlich aus. Für die Atomkraft wird es mit den alten Kraftwerken aber keine Rück-Schritte mehr geben.

Bleibt die Frage: Wohin mit dem Atommüll? Dieser hässliche Fleck der sonst als sauber propagierten Technik bleibt uns für Tausende von Jahren erhalten. Bisher konnte die deutsche Politik nicht klären, wo der strahlende Müll nun sicher verwahrt werden kann. Manch einer hofft noch auf die zukünftige "Verbrütung" bzw. langfristige Entschärfung des Mülls durch Atomkraftwerke oder Forschungsreaktoren neuerer Art. Aber wann ist damit zu rechnen? Ist damit wirklich zu rechnen?

Bis 2050 soll ein Endlager gebaut sein, bis dahin will Deutschland aber auch längst klimaneutral sein. Die Klimaziele drohen wir zu reißen und in Sachen Endlager bis 2050 hat Umweltbundesministerin Lemke auch schon Zweifel geäußert.

Der Müll lagert nun in Zwischenlagern, in den Nachrichten kommt er kaum vor. Wie auch schon andere Probleme wird auch dieses jüngeren und kommenden Generationen vor die Füße geworfen.

Ein Land, das sich in dieser Form um Fragen der Verantwortlichkeit und Nachsorge drückt, das Entscheidungen und Überzeugungen mit der Stimmungslage reflexartig ändert und schwierige Entscheidungen auch lieber verdrängt denn erklärt, scheint zu unreif, weiter den Einsatz einer Technik zu erwägen, die so weitreichende Folgen für Menschen und Umwelt haben kann.

Wer Atomkraft immer noch betreiben will, aber es nicht einmal schafft, ein möglichst sicheres Endlager zu bauen, sollte lieber mit wesentlich weniger risikobehafteten Techniken vorliebnehmen. Da lässt sich dann auch bei einem erneuten Richtungswechsel nicht so viel kaputtmachen.

Ein Kommentar von Kristina Beer

Kristina Beer schreibt und moderiert für heise online. Sie beschäftigt sich gerne mit der Frage, wie sich technischer Fortschritt auf Gesellschaft, Wirtschaft und politische Entscheidungen auswirkt.

(kbe)