Amnesty kritisiert chinesische Internet-Zensur als "Verrat an olympischen Werten"

Das IOC will inzwischen weiter auf freien Internet-Zugang während der Olympischen Spiele in Peking bestehen, während der CCC Tipps zur Umgehung von Sperren gibt. Proteste in offiziell ausgewiesenen "Protestzonen" scheinen dagegen unmöglich.

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Von
  • Jürgen Kuri

In der Kontroverse um Chinas Internetzensur hat Amnesty International dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) schwere Versäumnisse vorgeworfen. In einem Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung nannte Amnesty-Generalsekretärin Barbara Lochbihler es "höchst bedauerlich", dass das IOC eingeknickt sei. "Zensur ist ein Verrat an den olympischen Werten." In den sieben Jahren seit Vergabe der Spiele an Peking hätte das IOC auch "viel früher nachfragen müssen", ob das Versprechen von Chinas Führung, für eine Verbesserung der Menschenrechte zu sorgen, eingehalten werde, sagte Lochbihler. Auch hätte man "auf Veränderungen pochen müssen".

Künftig müssten bei der Vergabe der Spiele bestimmte Forderungen zur Einhaltung der Menschenrechte zur Bedingung gemacht werden, sagte Lochbihler. Und gegenüber der hannoverschen Neuen Presse klagte sie , dass eine freie Berichterstattung durch die Internetzensur nicht möglich sei. Es werde "eine neue Mauer" um die Spiele errichtet. Ob Zensur, Todesurteile oder Arbeitslager – China habe das Versprechen auf Verbesserungen der Menschenrechtslage gebrochen, betonte Lochbihler.

Derweil rät der Chaos Computer Club (CCC) den Journalisten, die über die Olympischen Spiele aus China berichten wollen, sich mit technischen Maßnahmen auf die Situation vor Ort vorzubereiten: "Es gibt eigentlich eine ganze Reihe von Möglichkeiten und wir haben auch immer wieder Berichte bekommen, gerade von jungen Chinesen, dass die technisch fitten Chinesen sich durchaus da gewitzt versuchen, dieser Zensur zu entziehen", erklärte Constanze Kurz vom CCC in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. So rät der CCC etwa dazu, Anonymisierungsdienste zu benutzen. Der Rückgriff auf Proxies in westlichen Ländern könne zudem zeitweise helfen, die Internetsperren zu umgehen – das sei aber ein Katz-und-Mausspiel mit den chinesischen Behörden, daher sollte man ganze Proxy-Listen bereithalten. Der CCC sei gerade dabei, einige Hilfen anzubieten, da sehr viele Anfragen eingingen, wie denn die Internet-Sperren in China funktionierten und wie man sie umgehen könne. "Wir versuchen, einige Informationen zusammenzustellen und dann anzubieten." Bis diese Hilfestellungen fertig seien, könne es aber noch ein bisschen dauern. [Update:Mittlerweile hat der CCC eine Internet-Seite mit Hinweisen zur Funktion der "Great Chinese Firewall" und Tipps zu ihrer Umgehung freigeschaltet – derzeit noch in deutscher Sprache, eine englische Version soll in Kürze folgen.]

Das IOC scheint allerdings langsam zu begreifen, dass es sich mit der bisherigen Haltung und den Einknicken vor der chinesischen Regierung sich selbst keinen Gefallen macht: Laut dpa pocht das Komitee mittlerweile auf stärkere Lockerung der Web-Zensur. Die bisher nur begrenzte Aufhebung von Sperren chinakritischer Webseiten gehe dem IOC nicht weit genug.

In Gesprächen mit den Pekinger Olympia-Organisatoren will sich das höchste Sportorgan für eine weiter gehende Aufhebung der Internet- Zensur einsetzen. "Wir müssen die Situation verbessern", sagte IOC-Präsident Jacques Rogge am heutigen Samstag gegenüber dpa in Peking. Er wies die Unterstellung des Chefs der IOC-Pressekommission, Kevan Gosper, zurück, dass es eine geheime Übereinkunft über den Internet-Zugang gegeben habe. "Es hat absolut keinen Deal gegeben, keine Vereinbarung mit den Chinesen."

Allerdings hatte das IOC niemals eine chinesische Zusage gehabt, dass das Internet tatsächlich frei zugänglich sein wird, wie der IOC-Koordinierungschef für die Spiele, Hein Verbruggen, einräumen musste. Gegenüber Sport Intern sagte Verbruggen, China habe nie "vollständig freien Internetzugang", sondern nur "ausreichenden" Zugang garantiert. Dagegen hat das IOC, allen voran Präsident Rogge selbst, den 25.000 Olympia-Journalisten immer wieder "unzensierten" Zugang ins Internet in Peking zugesichert. Viele Journalisten, Sportfunktionäre und Menschenrechtsgruppen sahen einen "Wortbruch" und übten scharfe Kritik an IOC und dem Organisationskomitee BOCOG.

Erst nach einem Krisengipfel zwischen Verbruggen, Olympia-Direktor Gilbert Felli und dem BOCOG lockerten die chinesischen Gastgeber die Web-Blockaden. So war zum Beispiel am Samstag Amnesty International frei zugänglich, nicht aber die in den USA ansässige Menschenrechtsgruppe Human Rights in China (HRiC). Der US-Sender Radio Free Asia (RFA) konnte erreicht werden, aber nicht die Katholische Nachrichtenagentur Asianews, die sich mit Chinas Untergrundkirche befasst. Die Seiten der exiltibetischen Regierung und Organisationen waren ebenfalls weiter blockiert.

Die Aufhebung der Sperren muss nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, weiter gehen. Die Gespräche mit BOCOG "haben Fortschritte gebracht – und wir hoffen, dass es weitere Fortschritte gibt", sagte der IOC-Vize der dpa. "Nachkarten bringt nichts. Beide Seiten arbeiten lösungsorientiert und wollen gute Spiele organisieren", sagte Bach. "Es geht darum, Meinungsverschiedenheiten auszuräumen." Dafür wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich auch mit den Klagen der Journalisten auseinandersetzen soll.

Der DOSB-Präsident wusste nach eigenen Angaben nicht, dass viele Portale etwa von Menschenrechtsorganisationen oder exiltibetischen Gruppen für die Journalisten gesperrt sein werden. "Für mich war es überraschend – und für den Präsidenten auch", sagte Bach unter Hinweis auf Rogge. Der IOC-Präsident habe in der Sitzung der Exekutive gesagt, es habe keine Vereinbarung mit BOCOG über die Zensur gegeben. "Und ich glaube ihm", sagte der DOSB-Präsident zu den Vermutungen des Chefs der IOC-Pressekommission, Gosper, dass es – an ihm vorbei – eine Übereinkunft gegeben haben müsse.

Der Australier Gosper zeigte sich aber optimistisch, dass das Problem noch gelöst werden kann. Die chinesische Behörden hätten mit einigen Webseiten aber ein "beträchtliches Trauma". "Am Ende wird BOCOG dem IOC folgen", gab sich Gosper zuversichtlich. "Es war eine ziemlich schwierige Woche. Wir sind auf dem richtigen Weg."

Derweil wurde bekannt, dass Proteste während der Olympischen Spiele auch in den eigens ausgewiesenen "Protestzonen" in Peking unmöglich zu sein scheinen. Eine pensionierte chinesische Ärztin wurde im Pekinger Polizeipräsidium bei dem Versuch festgenommen, eine Kundgebung in einer der drei Zonen anzumelden, berichtete die South China Morning Post. Die aus der ostchinesischen Stadt Suzhou angereiste Frau plante keine politische Kundgebung, sondern wollte eine Demonstration von 100 Wohnungseigentümern gegen einen Baukonzern anmelden, heißt es in einem dpa-Bericht. Auch mehrere taiwanische Geschäftsleute sind der Hongkonger Zeitung zufolge mit dem Versuch gescheitert, eine Demonstration anzumelden. Ebenfalls abgelehnt worden sei der Plan einer Gruppe chinesischer Nationalisten, mit einer Demonstration den chinesischen Anspruch auf die von Japan kontrollierten Senkaku-Inseln zu untermauern.

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(jk)