Brennstoffzelle: Forscher zeigen "emissionsfreies" autonomes Langstreckenauto

Das DLR hat mit dem Interurban Vehicle (IUV) ein Modell für ein Fahrzeug entwickelt, das als Brennstoffzellen-Hybrid eine Reichweite bis 1000 km haben soll.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 641 Kommentare lesen

Die drei Fahrzeug-Demonstratoren des NGC-Projekts.

(Bild: DLR (CC BY-NC-ND 3.0))

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit dem Interurban Vehicle (IUV) will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Mobilitätswende auch im Langstreckenbereich voranbringen. Es handelt sich um ein Konzept im Rahmen des Projekts Next Generation Car (NGC) für "emissionsfreie" Fahrzeuge der Mittel- und Oberklasse, das Brennstoffzelle, Wasserstofftank, Batterie und neue Ansätze für das Energiemanagement kombiniert. Der Plug-in-Hybrid-Ansatz soll so Reichweiten bis zu 1000 Kilometer ermöglichen.

Das entwickelte Modell ist fünf Meter lang, zwei Meter breit und bietet Platz für fünf Personen. Autonome Fahrfunktionen sollen die Person am Steuer entlasten und neue Freiheiten bei der Gestaltung des Innenraums bieten. Durch die Kombination unterschiedlicher Leichtbau-Ansätze wiegt das IUV mit Energiespeichern im leeren Zustand momentan weniger als 1600 Kilogramm. Die Sicherheit der Insassen etwa bei einem Unfall soll darunter aber nicht leiden.

Ziel sei es, den Individualverkehr auf der Langstrecke "nachhaltig und lokal emissionsfrei" zu gestalten, erläutert Projektleiter Sebastian Vohrer vom DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart. Stichworte seien "Elektrifizierung und Automatisierung". Mit dem Brennstoffzellen-Plug-in-Hybrid sei es möglich, die viele rein batteriebetriebene E-Autos plagende Reichweitengrenze zu "durchbrechen".

Das IUV verfügt über eine Brennstoffzelle mit einer Leistung von 45 Kilowatt, einen Wasserstoff-Drucktank mit 700 Bar und eine Batterie mit einer Kapazität von 48 Kilowattstunden (kWh). Die Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 136 Kilowatt beschleunigen das Fahrzeug auf bis zu 180 km/h. Der Tankvorgang an einer Wasserstofftankstelle dauert "wenige Minuten", also ungefähr so lang wie bei konventionellen Antrieben.

Auch die Batterie kann separat geladen werden. Die Brennstoffzelle befindet sich im Vorderwagen, der Akku im Heck. Der Tank ist im Unterboden verbaut und fasst rund 7,5 Kilogramm Wasserstoff.

Als Schlüssel, um den Energieverbrauch niedrig und die Reichweite hochzuhalten, bezeichnet das DLR eine leichte Fahrzeugstruktur. "Die Rohkarosserie des IUV wiegt nur 250 Kilogramm und damit rund ein Viertel weniger als aktuell in diesem Fahrzeugsegment üblich", erläutert Vohrer. Die Wissenschaftler haben dafür unterschiedliche Leichtbauweisen umgesetzt. Zudem besteht die Karosserie des IUV zu einem hohen Anteil aus faserverstärkten Kunststoffen.

Teilweise kommen auch Strukturen aus Aluminium oder "Sandwich"-Materialien zum Einsatz – vor allem dort, wo die Bauteile bei einem Crash eine hohe Steifigkeit aufweisen und viel Energie absorbieren müssen. Solche Baustoffe kombinieren etwa eine Decklage aus Faserverbundmaterial mit einem leichten Kern aus Kunststoffschaum oder auch nachhaltigen Werkstoffen wie Balsaholz.

Viele Strukturen würden per "additiver Fertigung" – also im Prinzip per 3D-Druck – erstellt, berichtet der DLR-Forscher Christoph David. Sie würden "Schicht für Schicht aufgebaut". So bleibe man "sehr flexibel" und in der Lage, schnell neue Prototypen-Teile darzustellen und auszutesten. Zudem ließen sich etwa metallische Leiterbahnen in Laminat integrieren sowie mit einer optischen Sensorfaser frühzeitig Schäden detektieren.

Ausgewählte Bauteile des IUV hat das Team bereits in Crash-Versuchen getestet, um die zuvor am Computer durchgeführten Berechnungen und Simulationen zu überprüfen. Dazu zählte der Seitenschweller unterhalb der Seitentüren. Er ist eine besonders wichtige Struktur und soll den Wasserstofftank im Fahrzeugboden und die Insassen bei einem seitlichen Aufprall schützen.

Die Entwickler haben laut Vohrer einen besonderen Fokus auf "flexibles Interieur" gelegt, um unterschiedliche Automatisierungsgrade auch für mobiles Arbeiten zu ermöglichen. Sitzanordnungen seien so variabel auf den Fahrzustand anpassbar. Dafür sei der Wegfall traditioneller Strukturen wie der Mittelsäule nötig gewesen. Diese verbindet bei herkömmlichen Karosserien Boden und Dach des Fahrzeugs und dient als "Crash-Element".

Andererseits entstehen so große Türöffnungen. Diese könnten etwa zusammen mit gegeneinander öffnenden Schiebetüren das Ein- und Aussteigen besonders einfach machen.

Wo immer möglich, haben die Wissenschaftler nach eigenen Angaben auch mit Funktionsintegration gearbeitet – einem weiteren Leichtbauansatz. "Strukturen erfüllen dabei mehrere Funktionen, zum Beispiel trägt die Bodenstruktur nicht nur sämtliche Aufbauten des Fahrzeugs, sondern leitet gleichzeitig Strom oder Daten", führt Vohrer aus. "Man kann also teilweise auf zusätzliche Kabelleitungen verzichten und so insgesamt weiter Gewicht einsparen."

Bei der Konzeption hat das Team ferner untersucht, wie sich autonomes Fahren auf das Fahrzeugkonzept und die Architektur auswirken. Dafür gingen sie von einem hohen Automatisierungsgrad aus (SAE-Level 4). Das Auto fährt dabei dauerhaft selbst. Nur wenn es eine Aufgabe nicht mehr bewältigen kann, fordert es den Menschen auf, die Steuerung zu übernehmen.

Ein Ergebnis ist eine Sitzanordnung, die sich variabel an den Fahrmodus anpassen lässt: Die beiden Vordersitze sind drehbar. Beim autonomen Fahren können die Insassen auch mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen. Die strikte Trennung der Sitzreihen ist so aufgehoben und es entsteht ein gemeinsamer Kommunikationsraum. Jeder Mitfahrer kann die Klimatisierung zudem individuell über Schnittstellen im Dachhimmel regeln – ähnlich wie in Flugzeugen.

Da neben dem Antrieb sowie Informations- und Unterhaltungssystemen die Klimatisierung reichweitenrelevant ist, haben sich die Forscher auch dafür ein energiesparendes Konzept ausgedacht: Sie setzen für das Energiemanagement unter anderem auf Metallhydrid-Speicher. Mit ihrer Hilfe lässt sich ein Teil des Druckunterschieds zwischen dem Wasserstofftank und der Brennstoffzelle (fünf Bar) nutzen, um zusätzliche Kälte für die Klimatisierung des Fahrzeugs zu erzeugen und die konventionelle Kältemaschine zu unterstützen.

Momentan sei das IUV als rollfähiger "Karosserie-Demonstrator" aufgebaut, gibt Vohrer einen Ausblick auf die nächsten Schritte. Dieser vermittele einen ersten Eindruck, "wie das Fahrzeug in der Praxis aussehen könnte". Er zeige aber auch, "welche Aspekte wir in Zukunft mit Partnern aus Industrie und Forschung weiterentwickeln und realisieren können". Einen Zeithorizont nennt das DLR dazu noch nicht.

In­ter­ur­ban Ve­hic­le (IUV) (4 Bilder)

Die drei Fahrzeug-Demonstratoren des NGC-Projekts

Im Pro­jekt Next Ge­ne­ra­ti­on Car (NGC) hat das DLR drei De­mons­tra­to­ren ge­baut: das Ur­ban Mo­du­lar Ve­hic­le (UMV) als mo­du­lar auf­ge­bau­tes Stadt­au­to (links), das Sa­fe Light Re­gio­nal Ve­hic­le (SL­RV) für Pen­del­stre­cken, Cars­ha­ring und als Zu­brin­ge­rau­to (Mit­te) und das In­ter­ur­ban Ve­hic­le (IUV) für lan­ge Stre­cken (rechts).
(Bild: DLR (CC BY-NC-ND 3.0))

In der übergeordneten NGC-Initiative werkeln insgesamt 20 DLR-Institute an Technologien für Straßenfahrzeuge der "übernächsten Generation": Dazu gehören auch das ebenfalls als Hybrid angelegte Safe Light Regional Vehicle (SLRV) für Pendelstrecken, Carsharing und als Zubringerauto sowie das Urban Modular Vehicle (UMV) als modular aufgebautes Stadtauto für private wie kommerzielle Anwender.

(bme)