Elektrische Lkw: Megawatt-Lader könnten das Geschäft verändern

Die Entwicklung bei den Zugmaschinen und der Ladeinfrastruktur legt nahe, dass sich batterieelektrische Lkw gegen konkurrierende Antriebe durchsetzen werden.

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E-Lkw

Mercedes ist mit dem e-Actros 600 auf Europatour. Die Zugmaschine mit 621 Kilowattstunden fassender Traktionsbatterie darf mit Auflieger insgesamt 42 statt der üblichen 40 Tonnen wiegen.

(Bild: Daimler Truck)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
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1000 Kilowatt bzw. ein Megawatt leistet die Ladesäule, die von der Technischen Universität München (TUM) und MAN Truck & Bus im Forschungsprojekt NEFTON errichtet wurde. Das Ziel: Der Schwerlastverkehr soll elektrisch fahren. Nicht mit Oberleitungen, wo eine Versuchsstrecke zwischen Hamburg und Lübeck zum Jahresende eingestellt wird. Nicht mit Wasserstoff-betriebenen Brennstoffzellen, wie es der bei der NEFTON-Vorstellung im bayrischen Plattling anwesende Landeswirtschaftsminister Hubert Aiwanger gerne mag. Stattdessen sollen sich die von 40 auf 42 Tonnen aufgelasteten schweren Lkw batterieelektrisch fortbewegen. Es spricht alles dafür, dass sich diese Lösung durchsetzt. Der Hebel für die Umsetzung ist das standardisierte Megawatt Charging System (MCS).

Die Welt der Lkw tickt etwas anders als die der Pkw. Dass batterieelektrische Nutzfahrzeuge auf kurzen Strecken im Verteilerverkehr funktionieren, ist bekannt. Was aber ist, wenn es von Granada nach Essen oder von Hannover nach Kattowitz gehen soll? Hier bestimmen die gesetzlichen Lenkzeiten den Alltag: Der Fahrer darf am Stück nur 4,5 Stunden am Steuer sitzen. Anschließend muss er 45 Minuten Pause machen. Ohnehin sind die Lenkzeiten nichts für Zartbesaitete, wie ein Blick in die EU-Vorschriften für Berufskraftfahrer zeigt.

In der Theorie sollen diese 45 Minuten ausreichen, um die Traktionsbatterie in der Zugmaschine ausreichend aufzuladen. Ein Beispiel ist der Mercedes e-Actros 600, dessen Serienproduktion Ende des Jahres anläuft: Die LFP-Zellen im e-Actros fassen bis zu 621 kWh. Erste Praxistests von solchen und ähnlichen Fahrzeugen inklusive beladenem Sattelauflieger zeigen Verbrauchswerte zwischen 90 und 120 kWh/100 km.

Was viele Elektroautofahrer von zu Hause kennen, ist auf den Betriebshöfen der großen Speditionen ohnehin üblich: die eigene Tankstelle. Wenn diese in Zukunft elektrisch ist, könnte ein schweres Gespann mit voller Batterie starten. Bei einem pessimistisch angenommenen Stromverbrauch von 120 kWh/100 km wären bei Tempo 80 in 4,5 Stunden Lenkzeit 360 km zurückgelegt, und die Traktionsbatterie im e-Actros wäre beim Ladestopp noch rund 30 Prozent geladen.

Wie viele Kilowattstunden die Zugmaschinen von MAN und Mercedes, von Volvo oder Scania tatsächlich in der vorgeschriebenen Pause laden können, wird demnächst die Praxis zeigen. Mercedes jedenfalls kommuniziert für den e-Actros 600 vorerst 400 kW Ladeleistung; später soll das Megawatt machbar sein, das im Pilotprojekt NEFTON erforscht wird. Ähnlich ist es bei Milence, einem Joint Venture von Daimler Truck, der Volvo Group und Traton mit MAN und Scania: Das Basisnetz leistet 400 kW, woraus später fast 1,5 Megawatt werden sollen.

Angesichts der steigenden Laderaten bei Pkw spricht nichts dagegen, dass auch Traktionsbatterien in Lkw in einem bestimmten Zeitfenster immer mehr elektrische Energie aufnehmen können. Wie viele Fahrprofile können hierdurch nicht abgedeckt werden? Das lässt sich mangels ausreichender Feldtests nicht genau sagen, aber es ist wahrscheinlich, dass weniger die elektrischen Zugmaschinen und die Auflieger – die mit Kühlfunktion brauchen etwas mehr Energie –, sondern die Infrastruktur der Flaschenhals sein werden.

E-Lkw (4 Bilder)

Nach 4,5 Stunden Lenkzeit müssen die Fahrer 45 Minuten Pause machen. In dieser Pause soll die Traktionsbatterie so weit wie möglich geladen werden. Zu Beginn passiert das mit den gängigen 400 kW. Hier im Bild ist zu sehen, dass die Zugmaschine abgekoppelt wurde; perspektivisch sind bessere Lösungen möglich, die das überflüssig machen. (Bild: Daimler Truck)

Hiermit hat sich die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur, eine bundeseigene GmbH im Besitz des Verkehrsministeriums, ausführlich befasst. So wurden zum Beispiel Mautdaten ausgewertet, um ideale Standorte zu identifizieren. Zur Errichtung eines Lkw-Schnellladenetzes in Deutschland sind nach Berechnungen der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur 350 Standorte notwendig. 130 davon sollen an sogenannten unbewirtschafteten Raststätten liegen. Das sind die schlichten Parkplätze, wo die Lkw heute stehen, um die Ruhezeiten einzuhalten. In Summe müssen an den 350 Standorten 1800 bis 2400 Ladepunkte installiert sein. Die brauchen viel, viel Leistung. Geht man davon aus, dass sich der batterieelektrische Schwerlast-Lkw auch auf der Fernstrecke durchsetzt, dürfte selbst der Anschluss ans Mittelspannungsnetz in vielen Fällen zu mager sein; die Hochspannung wird bevorzugt. Dass es funktionieren kann, sehr viel elektrische Leistung zum Fahren bereitzustellen, zeigt seit Jahrzehnten übrigens die Bahn.

Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur hat noch einen weiteren Aspekt identifiziert, der für die Funktion sehr wichtig ist: Das Abrechnungssystem. Man ist in Berlin nämlich nicht amüsiert über die derzeitige Gemengelage an den Pkw-Ladesäulen, wo eine Oligopolbildung zu überhöhten Preisen führt. Um ein ähnliches Desaster bei Lkw zu verhindern, will die Nationale Leitstelle von Beginn einen funktionierenden Wettbewerb beim Ladestrom etablieren. Das basiert auf drei unterschiedlichen Abrechnungsmöglichkeiten: Zum einen dem Ad-hoc-Laden, wo ohne Vertrag direkt über einen Payment-Terminal bezahlt wird. Dieses Modell ist für die Betreiber (Charge Point Operator oder CPO) besonders interessant, weil der Strom direkt vermarktet wird und es keine Zwischenverdiener gibt. Außerdem soll es, ähnlich wie bei den Pkws, die E-Mobility Provider (EMP) geben. Die Trucker haben einen Vertrag, mit dem sie überall bezahlen können.

Das dritte Modell ist das neue Durchleitungsmodell. Der Spediteur hat einen Vertrag mit einem Stromlieferanten. Der CPO wiederum bekommt ein Infrastrukturentgelt für den Betrieb und die Durchleitung. Der Bund legt die Höhe dieses Infrastrukturentgelts fest. Das kann funktionieren, weil sehr viele Flächen an den Autobahnen dem Staat gehören. Der Bund kann die Vergabe dieser Standorte an die Bedingung der Durchleitung koppeln. Bis Ende 2025 sind schwere, elektrische Nutzfahrzeuge von der Maut befreit. Wird die Speditionsbranche sich auf das elektrische Fahren einlassen? Das wird eine Kostenfrage: Sollte es eine realistische Perspektive geben, dass der Betrieb mit Strom preisgünstiger ist als mit Dieselkraftstoff, ist der Selbstzünder am Ende. Es gibt Anzeichen dafür, dass genau das passiert.

(mfz)