Elektromotorrad FF-C6 von Royal Enfield Flying Flea: Unter Strom

Der indische Motorrad-Gigant Royal Enfield hat seine E-Krad-Marke und ihr erstes Bike FF-C6 nach historischem Vorbild "Flying Flea" auf der Eicma vorgestellt.

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Royal Enfield Flying Flea

(Bild: Royal Enfield)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Die indische Marke Royal Enfield hat in den vergangenen zehn Jahren einen erstaunlichen Aufschwung hingelegt. Vom konservativen Image mit uralten Modellen hin zu einem modernen Erscheinungsbild mit angesagten Motorrädern. Noch dazu eilt Royal Enfield von einem Rekord zum nächsten, den jüngsten erzielten sie im Oktober mit 110.574 verkauften Motorrädern innerhalb von vier Wochen. Deshalb darf sich die Marke mit Recht "größter Motorradhersteller in der Mittelklasse" (250 bis 750 cm3 Hubraum) nennen. Einen unschlagbaren Rekord hält Royal Enfield schon seit langem, denn sie ist die älteste, ununterbrochen produzierende Motorradmarke der Welt, 1901 entstand in England das erste Modell, inzwischen gehört die Firma zur indischen Eicher Group und produziert im Chennai.

Jetzt will Royal Enfield auch den Markt der Elektromotorräder aufmischen und präsentierte auf der Motorradmesse Eicma (7. bis 10. November 2024) in Mailand ihr neues Label "Flying Flea". Die indische Regierung subventioniert Elektroroller und -motorräder kräftig, weil die Luftverschmutzung in den Städten des Subkontinents ein massives Problem darstellt. Die Hauptstadt Neu Delhi gilt diesbezüglich sogar als dreckigste Stadt der Welt, weil die Spitzenwerte oft jenseits von 1000 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft liegen. In der EU gilt ein Grenzwert von 40 Mikrogramm Feinstaub als gesundheitsgefährdend.

Elektromotorrad Royal Enfield Flying Flea I (7 Bilder)

Royal Enfield grĂĽndet ein Elektro-Label namens "Flying Flea". Das erste Elektro-Motorrad der Marke nennt sich FF-C6. (Bild:

Royal Enfield

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Der Name des elektrischen Tochterunternehmens Flying Flea geht auf eine berühmte Royal Enfield aus dem Jahr 1938 zurück. Sie hieß offiziell RE 125 und leistet gerade mal 3,5 PS. Im Zweiten Weltkrieg wurde das nur 59 kg leichte Motorrad an Fallschirmen abgeworfen, damit die Soldaten auf den geländegängigen Bikes schnell vorankommen konnten. Später wurden die "Fliegenden Flöhe" auch für den zivilen Einsatz gebaut. Die vorgestellte Flying Flea hört auf die Modellbezeichnung FF-C6, deren Ähnlichkeit mit der Urahnin aber begrenzt ist. Ihr soll bald noch einen Scrambler mit dem Namen FF-S6 zur Seite gestellt werden. Es ist für Royal Enfield, das seine Firmenidentität aus dem Bau von nostalgisch anmutenden Motorrädern zieht, nur konsequent, wenn sie ihre Elektromotorräder auch dem historischen Design unterwerfen.

Siddhartha Lal, Besitzer der Eicher Group und bekennender Motorrad-Enthusiast, verkündete bei der Präsentation, dass das Flying-Flea-Bike für "eine superspaßige, großartige und genussvolle urbane Mobilität steht." Er wollte damit vermutlich darauf hinweisen, dass die Elektromotorräder von Flying Flea relativ leicht geraten sind. Noch hat Royal Enfield keine technischen Daten bekannt gegeben, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie mit A1-Führerschein bzw. B196 gefahren werden darf und deshalb 11 kW Dauerleistung produzieren wird.

Elektro-Leichtkrafträder

Für die Entwicklung hat Royal Enfield in den vergangenen Jahren ein Team von über 200 Fachleuten in Indien und Großbritannien aufgebaut und eine eigene Fabrik in Chennai hochgezogen. Ein Teil des Know-hows haben sie sich durch die Beteiligung bei Stark Varg eingekauft. Das Start-up in Barcelona sorgte vor zwei Jahren mit einem beeindruckenden Elektro-Motocrosser für Aufsehen. Das blieb auch Royal Enfield nicht verborgen und klopfte bald mit ein paar Millionen in der Tasche bei Stark Vark an, wobei es ihnen letztlich um den Technologie-Transfer ging. Trotzdem betont B Govindarajan, CEO von Royal Enfield, dass die Produkt-Strategie, Entwicklung und technischen Komponenten wie Motor, Batterie und Software aus dem eigenen Haus stammen.

Royal Enfield bezeichnet das Design der FF-C6 als "authentischen retro-futuristischen Stil". Auffallend ist zunächst einmal der Doppelschleifenrahmen aus Aluminium (der nichts mit dem Stahl-Zentralrohrrahmen der originalen Flying Flea aus den 30er-Jahren zu tun hat), der die Tankattrappe offen umschlingt. Das wirkt sehr elegant und dynamisch. Die Batterie dient als tragendes Element und das Gehäuse aus Magnesium wird von wellenförmigen Lamellen geziert, die wohl auch zur Kühlung dienen. Darunter befindet sich der Elektromotor, dessen rechte Gehäuseseite Designanleihen bei einem Verbrennungsmotor nimmt. Sehr originell ist die Idee des Fahrrad-Sattels, der auf einem kleinen Dreieck-Ausleger befestigt ist. So kommt eine weitere nostalgische Note ins Spiel, ebenso wie mit dem kleinen, schwarz lackierten Rundscheinwerfer, auch wenn er mit LEDs leuchtet. Der Antrieb des schmalen Hinterrads erfolgt über einen wartungsarmen, leichten Zahnriemen.

Einen mutigen Schritt gingen die Entwickler bei der Frontfederung. Eine Trapez-Gabel (auch Parallelogramm-Gabel genannt), wie sie von vielen Motorrädern in den 20er- und 30er-Jahren bekannt war, bevor die Teleskopgabel sich durchsetzte, kommt bei der FF-C6 zum Einsatz. Sie hat zwei Ausleger aus geschmiedetem Aluminium, die je ein Federbein aufnehmen.

Elektromotorrad Royal Enfield Flying Flea II (5 Bilder)

Der geschwungene Aluminiumrahmen wirkt sehr elegant, besonders in Verbindung mit der Trapez-Gabel. (Bild:

Royal Enfield

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Die historische Flying Flea besaß tatsächlich ein ähnliches Konstrukt, wenn auch aus Stahl. Es ist dennoch erstaunlich, dass Royal Enfield diese aufwendige und teure Lösung einer Teleskopgabel vorzieht, auch wenn der Show-Effekt natürlich hoch ist. Das Heck wird konventionell von einer dreieckigen Aluminiumschwinge mit direkt angelenktem Federbein gedämpft, deren Optik den Starrrahmen der Flying Flea nachahmt. Die Kotflügel vorne und hinten erinnern ebenfalls an alte Zeiten. Das LED-Rücklicht ist kunstvoll in den hinteren Kotflügel integriert.

Der Transport eines Sozius (in Indien sehr wichtig) ist auch möglich, dafür wird an dem Ausleger-Dreieck des Fahrersitzes noch ein weiterer Ausleger befestigt, der den recht klein geratenen Soziussitz aufnimmt. Die beiden Soziusfußrasten werden an die Schwinge geschraubt, was für den Passagier wegen der ständigen Bewegung eine unkomfortable, auf schlechter Straße sogar gefährliche Lösung ist. Richtig modern wird es dann im Cockpit, wo ein runder TFT-Touchscreen nicht nur die wichtigsten Informationen über das Motorrad bereitstellt, sondern auch mit dem Smartphone kompatibel ist. Upgrades erhält die Flying-Flea-Software per Handy und hat fünf Modi hinterlegt, die personalisiert werden können. Insgesamt sind laut Royal Enfield über 200.000 Kombinationen für die eigenen Rider-Modi möglich. Das Motorrad wird permanent überwacht und meldet es an das Smartphone, wenn es unerlaubt bewegt wird.

Royal Enfield begeht nicht den Fehler, die FF-C6 als Ersatz für ein Motorrad mit Verbrennungsmotor zu bewerben, das für die Landstraße oder gar für Touren geeignet wäre, sondern betont ihren Einsatz für Urban+. Die FF-C6 ist als Stadt-Vehikel gedacht, mit nur gelegentlichen Ausflügen in das nahe Umland. Zwar verrät der Hersteller noch nicht die Kapazität der Batterie, verspricht aber einfaches und schnelles Aufladen an einer Haushaltssteckdose und eine große Reichweite. Wie weit das wirklich zutrifft, wird die Zukunft zeigen. Ein paar technische Details sind dennoch schon bekannt, so wird die Flying Flea über ein Kurven-ABS verfügen, einen Rückwärtsgang und einen Tempomat.

Die FF-C6 soll als erste Flying Flea ab nächstem Frühling in den Verkauf gehen. Ob sie auch nach Deutschland importiert wird, ist noch offen, genauso wie ihr Preis. Ihr werden neben dem Scrambler FF-S6 noch etliche Modelle folgen, denn Royal Enfield sieht in Indien, dem größten Motorradmarkt der Welt, noch viel Potenzial für Elektromobilität.

(fpi)