Führende US-Demokraten sagen "Ja, aber..." zur Netzneutralität

Der US-Abgeordnete Rick Boucher will nach einem Kompromiss bei der gesetzlichen Festschreibung des Prinzips eines offenen Internet suchen, den Aufbau von Mautstellen im Breitband-Netz dabei aber möglichst verhindern.

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Der US-Abgeordnete Rick Boucher will nach einem Kompromiss bei der gesetzlichen Festschreibung des Prinzips eines offenen Internet suchen. "Netzneutralität ist eine große, ungelöste Angelegenheit", erklärte der Demokrat aus Virgina am gestrigen Mittwoch bei der "State of the 'Net"-Konferenz des US-Kongresses in Washington. Der Datenhighway sei gerade durch seine Offenheit und allgemeine Zugänglichkeit zu einer Innovationsplattform geworden. Sollte es den Providern erlaubt werden, eine Art Breitband-Maut zu verlangen, hätten erfolgsversprechende Internet-Startups keine Chance mehr. Zugleich zeigte sich das Mitglied des Repräsentantenhauses als Ko-Vorsitzender eines dort angesiedelten Internet-Ausschusses aber auch gegenüber den Belangen der Telcos und Kabelnetzbetreiber aufgeschlossener als früher. Diesen müssten es über Gebühren möglich sein, ihre enormen Investitionen in Breitbandnetze wieder hereinzubekommen.

Boucher erteilte einem Gesetz zur Netzneutralität mit "ungewollten Konsequenzen" eine Absage. Er sei auch gegen eine Regelung, mit der Innovationen innerhalb eines Netzwerks behindert würden. Man brauche eine Lösung, die beiden Seiten gerecht würde. Im Mai vergangenen Jahres hatte Boucher mit seinen demokratischen Kollegen Ed Markey, Anna Eshoo und Jay Inslee noch den Network Neutrality Act of 2006 ins Rennen gebracht. Der Gesetzesentwurf sollte Breitbandanbieter davon abhalten, konkurrierende Unternehmen wie Inhalteanbieter und Webdienstleister zu benachteiligen. Es sollte ihnen auch untersagt werden, Möglichkeiten zur Unterscheidung des Netzwerkverkehrs nach speziellen Kriterien wie der Zugangsgeschwindigkeit zu implementieren. Von einer Wiedereinführung dieser Vorlage sprach Boucher nicht. Vielmehr sprach er sich vordringlicher für die Einführung einer Steuer auf Internetzugänge aus, um Breitbandanschlüsse auch in ländlichen Regionen zu subventionieren.

Insgesamt waren bei der Tagung Vertreter des "Keine Regulierung"-Lagers in der Mehrzahl, das sich vehement gegen eine Festschreibung der Netzneutralität ausspricht. "Wir sollten Zurückhaltung beweisen", meinte etwa George Ford, Chefökomist des Phoenix Center for Advanced Legal and Economic Public Policy Studies, einer neoliberalen Denkfabrik. Andererseits würden die Optionen der Breitbandbetreiber eingeschränkt, neue Dienste anzubieten.

Es gebe zudem keine konkreten Hinweise darauf, dass die Provider Anstalten zur Behinderung des Wettbewerbs zum Schaden der Verbraucher unternehmen würden, sekundierte ihm Christopher Yoo, Rechtsprofessor an der Vanderbilt University. Um etwa Video- oder Sprachübertragungen mit Qualitätsgarantie übers Netz anbieten zu können, bräuchten die Provider Möglichkeiten, entsprechende Datenflüsse privilegiert durch ihre Leitungen zu jagen. Die Betreiber müssten ferner in der Lage sein, Spam und Bandbreiten verschlingende Web-Applikationen zu blockieren. Tim Wu, Rechtsprofessor an der Columbia University Law School, hielt dagegen, dass Filter nur vom Nutzer selbst angebracht werden dürften. Andererseits käme man in die Bredouille, zwischen "gutem und schlechtem Blockieren" unterscheiden zu müssen und hätte damit chinesische Verhältnisse. Auch dort würden entsprechende Distinktionen im Zentrum des Netzwerks getroffen.

Allgemein scheint es der neue, unter der Führung der Demokraten stehende US-Kongress mit der Lösung der Netzneutralitätsfrage doch nicht sonderlich eilig zu haben. Der Demokrat Byron Dorgan und die Republikanerin Olympia Snowe haben zwar inzwischen ihren Entwurf für einen Internet Freedom Preservation Act neu in den US-Senat eingebracht. Mit dem Entwurf wollen die Senatoren es Breitbandanbietern untersagen, den Zugang zu bestimmten Inhalten zu blockieren. Es gilt in Washington aber als fraglich, ob sich für diesen Vorschlag Mehrheiten organisieren lassen. Blair Levin, der ehemalige Chef der US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC), hält "Netzneutralität" daher für einen von "Free Speech"-Verfechtern auf der einen und Regulierungsgegnern auf der anderen Seite viel beschworenen Kampfbegriff. Der durchschnittliche Abgeordnete könne damit aber wenig anfangen und würde sich daher nach wie vor kaum auf die Verabschiedung eines entsprechendes Gesetzes einlassen.

Der Lobbystreit um die Zukunft der Netzregulierung dürfte sich daher in den kommenden Monaten weiter verschärfen. Großen US-Breitbandanbietern und einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom geht es seit längerem darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten. Verfechter strenger gesetzlicher Netzneutralitätsregeln wie Amazon.com, eBay, Google, Microsoft oder Yahoo fürchten dagegen, dass neue Geschäftsmodelle durch ein Mehrklassennetz behindert und innovativen jungen Netzfirmen Steine in den Weg gelegt werden sollen.

Zum Thema Netzneutralität siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)