Nachruf Carl Hahn: Abtritt eines großen Autodenkers

Carl H. Hahn hat Volkswagen in den 1980er- und 1990er-Jahren den Konzern entscheidend geprägt und wichtige technische Weichenstellungen vorgenommen.

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Carl H. Hahn

Carl H. Hahn hat maßgeblich dazu beigetragen, Volkswagen in den 1980er-Jahren technologisch voranzubringen.

(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Carl Horst Hahn war von 1982 bis 1993 Vorstandsvorsitzender von Volkswagen, nachdem er bereits von 1958 bis 1965 als Chef von Volkswagen of America Käfer und Bulli als Kultautos in den USA etabliert hatte. Carl Hahn war einer der einflussreichsten Automänner weit über Europa hinaus. Nun ist er im Alter von 96 Jahren gestorben.

Das Auto wurde ihm gewissermaßen bereits in die Wiege gelegt. Er wurde am 1. Juni 1926 in Chemnitz geboren. Sein Vater gehörte zur Führungsriege von DKW und war Mitbegründer der Auto Union. Schon früh zog es Carl Hahn junior in die weite Welt. Auch intellektuell wollte er große Räder drehen. Zunächst absolvierte er ein Studium der Betriebswirtschaft in Köln und Zürich. Mit Fleiß und Anspruch sattelte er noch Volkswirtschaft in Bristol und an der Sorbonne in Paris darauf. In VWL promovierte er auch an der Universität Bern. Es war also immer klar, dass sich der junge Carl Hahn als Wirtschaftslenker par excellence innerhalb des familiären Leidenschaftsfeldes des Automobilismus qualifizieren wollte. 1953 ging er nach Wolfsburg und wurde Assistent des legendären VW-Lenkers Heinrich Nordhoff, der den Käfer zum Welterfolg machte, sich aber zuletzt zu schwer von diesem Bestseller trennen konnte.

Wegen seiner Weltläufigkeit, internationalen Ausbildung und Sprachkenntnisse wurde Hahn folgerichtig bald berufen, die Exportabteilung von Volkswagen maßgeblich mit aufzubauen. 1958 wurde er Chef von Volkswagen of America. Dort initiierte er mit humorvollen Werbekampagnen, die bei den US-Amerikanern ins Schwarze trafen. Käfer und Bulli wurden zu automobilen Ikonen in den USA und verkauften sich hervorragend.

Carl Hahn blieb bis 1965 in den USA und lernte dort auch seine spätere Ehefrau kennen. Die vier gemeinsamen Kinder wurden alle in Amerika geboren. Er baute als Vertriebsvorstand Audi zur Premiummarke auf und gilt als einer der Väter des Golfs. 1972 verließ Hahn Volkswagen, aber nicht die Automobilwirtschaft. Er ging als Vorstandsvorsitzender der Continental AG nach Hannover. Zehn Jahre später kehrte er als mächtigster Mann zu Volkswagen zurück und wurde dort Vorstand.

Mit damals 56 Jahren startete Hahn, den Volkswagen-Konzern auf- und umzubauen. Er steuerte die Übernahme von Seat und Skoda. Zu seinen visionärsten Schachzügen gehörte es, das Werk für den im Westen erfolglosen Stufenheck-Passat "Santana" nach China zu verlegen. Das gelang dem smart und konziliant auftretenden Hahn durch enge Kontakte zur kommunistischen Parteiführung in China. Bis heute gehören Fahrzeuge von VW und Audi zu den beliebtesten Importfahrzeugen im Reich der Mitte. Carl Hahn legte mit seinem vorausschauenden und visionären Führungsstil dafür die Grundlage. Er machte Volkswagen zum Weltkonzern. Dieses frische, pionierhafte Agieren auf neuen Wegen war Hahns Markenzeichen und prägte seinen wachen, teils kühnen Geist bis ins hohe Alter.

Einer von Hahns augenfälligsten technischen Abdrücken als Konzernleiter war im VW-Programm der Übergang von Längs- zu Quermotoren im Passat B3 (vulgo "Nasenbär"). Als Symbol für sein mutiges Denken und seinen Spaß an fast verrückten Ideen kann der Golf II Country gelten. Der war zwar zu Produktionszeiten kein wirtschaftlicher Erfolg, Hahn hatte an ihm aber spitzbübische Freude. Er liebte das Unkonventionelle. Unter seiner Führung wurde der TDI, der Direkteinspritzer-Diesel, zum Rückgrat von VW als Dieselmarke. Auch der VR6-Motor trägt die Handschrift von Hahn, der innovative Lösungen forderte und förderte. Darunter waren auch Kuriositäten wie der G-Lader in Polo G40 und Golf G60.

Nicht in den Griff bekam Carl Hahn anfangs der 1990er-Jahre allerdings die im Vergleich zu den Konkurrenten hohen Produktions- und Entwicklungskosten bei Volkswagen. Deshalb wurde 1993 Ferdinand Piëch als sein Nachfolger in den Vorstand berufen. Hahn wechselte in den Aufsichtsrat von Volkswagen. Er gehörte ihm bis 1997 an. Der große Wirtschaftslenker Hahn zog sich in der Folge aus dem Tagesgeschäft zurück.

Seine Expertise wurde aber weiterhin geschätzt. Unter anderem war er als Berater für Investmentfirmen tätig und lehrte als Honorarprofessor an mehreren Universitäten. Als Publizist fiel er unter anderem dadurch auf, dass er schon vor Jahren den konsequenten Umstieg auf Elektro-Mobilität propagierte, als Elektroautos in der breiten Öffentlichkeit noch gar kein Thema waren. Bis zuletzt war er ein großer Denker, der profunde Kenntnis mit kreativer Neugierde verband. Seine Meinung zu Fragen insbesondere der Automobilwirtschaft war gefragt und befruchtend.

(chlo)