Siemens-Korruptionsskandal: Schwere Vorwürfe gegen Führungszirkel

Heinrich von Pierer, Siemens-Vorstandsvorsitzender zu der Zeit, in der das System der schwarzen Kassen bei Siemens installiert worden sein soll, und heutiger Aufsichtsratschef des Konzerns, schloss einen Rücktritt aus. Er habe sich nichts vorzuwerfen.

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  • dpa

In der Siemens-Korruptionsaffäre sind schwere Vorwürfe gegen Mitglieder des engsten Führungszirkels beim Münchner Elektroriesen laut geworden. Der Anwalt des Chefbuchhalters der Kommunikationssparte Com, Steffen Ufer, sagte dem Berliner Tagesspiegel, neben einem früheren Com-Bereichsvorstand habe auch der Zentralvorstand die Praktiken gebilligt, darunter auch der damalige Vorstands- und heutige Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer.

Erst am Dienstag war der frühere Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt verhaftet worden. Damit hatte die Schmiergeldaffäre erstmals die Ebene der Konzernspitze erreicht. Ein ehemaliger Vorstandskollege soll in Vernehmungen gesagt haben, dass Ganswindt schon seit 2004 von dem Schmiergeldsystem gewusst habe.

"Ab einem gewissen Level wusste jeder was da läuft", sagte Ufer dem Tagesspiegel. "Man hat von meinem Mandanten ausdrücklich gewünscht, beide Augen zuzudrücken. Es hat keinen Zweifel daran gegeben, dass in diesem Konzern fast jeder – außer vielleicht die Putzfrau – wusste, dass illegale Provisionen gezahlt werden." Dem Anwalt zufolge hat sich der zur Zeit inhaftierte Chefbuchhalter aber nicht der Untreue schuldig gemacht. "Das ist Schwachsinn, das war doch alles im Interesse der Firma", sagte er. Eher werde es möglicherweise um Bestechung und Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe dazu gehen. Deutlich sei aber auch, dass Siemens sich nicht anders als andere Konzerne verhalten habe, um Großaufträge in Afrika, Asien und Osteuropa zu gewinnen.

Von Pierer wies die Vorwürfe zurück und schloss einen Rücktritt aus. "Ich trete nicht zurück", sagte er der Welt am Sonntag. "Die Frage stellt sich mir nicht." Er habe sich nichts vorzuwerfen. "Wir haben nichts billigend in Kauf genommen. Wir haben viel gegen Korruption getan und unseren Leuten immer klar gesagt: Lasst lieber ein Geschäft sausen." Der Konzern habe bei der Aufklärung alles getan, was man tun könne, meinte von Pierer gegenüber der Zeitung. "Eine unabhängige und umfassende Aufklärung ist in die Wege geleitet. Jetzt muss man uns mal Zeit geben."

Dem Nachrichtenmagazin Focus zufolge sollen auch der frühere Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger sowie der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Karl-Hermann Baumann frühzeitig von dubiosen Geldströmen erfahren haben. Unter Berufung auf Firmen-Insider schreibt das Magazin, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG habe beiden spätestens 2004 in einem internen Bericht über fragwürdige Vorgänge informiert.

Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ein Dutzend Verdächtige etwa 200 Millionen Euro von Siemens veruntreut und im Ausland als Schmiergeld eingesetzt hat. Überprüfungen bei Siemens ergaben zweifelhafte Zahlungen von 420 Millionen Euro in den vergangenen sieben Jahren. Das Geld muss Finanzvorstand Joe Kaeser zufolge nicht komplett in schwarze Kassen geflossen sein. Es handle sich aber um verdächtige Zahlungen für Beraterverträge, bei denen der weitere Geldfluss untersucht werden müsse. Als Folge hat Siemens für die vergangenen sieben Jahre zusätzliche Steuerbelastungen von 168 Millionen Euro veranschlagt. Der Gewinn des Geschäftsjahres 2005/06 (30. September) wurde von 3,106 auf 3,033 Milliarden Euro nach unten korrigiert.

Erste Hinweise auf dubiose Beraterverträge soll es dem Spiegel zufolge bereits vom Frühjahr 2001 an im Rahmen eines Kostensparprogramms in der Netztechnik- und der Mobilfunksparte (ICN beziehungsweise ICM) gegeben haben. Kaeser, damals im Vorstand des ICM-Bereichs, habe dem Spiegel gesagt, ihm hätten damals keine Hinweise auf fragwürdige Beraterverträge vorgelegen. Siehe dazu auch:

(dpa) / (jk)