Erste Ausfahrt im Volvo EX90​: E-SUV mit Spannungsdefizit

Zwei Jahre nach der Vorstellung kommt der Volvo EX90 nun tatsächlich auf den Markt. Er ist gelungen, doch eine Entscheidung könnte sich noch rächen.

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Volvo EX90

(Bild: Volvo)

Lesezeit: 5 Min.
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Volvo hat sich wirklich Zeit gelassen: Im November 2022 wurde der EX90 erstmals gezeigt, im Juni 2024 vermeldeten die Schweden den Serienstart, nun endlich soll die ersten Auslieferungen beginnen. Das große E-SUV wendet sich an Interessenten, die ein Fahrzeug der gehobenen Klasse suchen. Die Kundschaft ist anspruchsvoll. Eine erste kurze Ausfahrt sollte klären, ob der Volvo EX90 dem gerecht werden kann.

Eines ist der EX90 ganz unzweifelhaft nicht: zierlich. Das E-SUV misst in der Länge 5,04 m, in der Breite sind es 1,96 m. Schon das Basismodell bringt leer knapp 2,6 Tonnen auf die Waage, im Falle des Topmodells, mit dem wir ein paar Kilometer fahren konnten, sind es rund 2,8 Tonnen. Allein der Materialaufwand ist demnach gigantisch. Der Kunde kann wählen, ob er das SUV als Fünf-, Sechs- oder Siebensitzer haben möchte, wobei nicht alle Konfigurationen mit allen Motoren angeboten werden. In den ersten beiden Sitzreihen haben auch große Menschen reichlich Platz, in der dritten wird es etwas enger.

E-SUVs im Test

Die Gestaltung des Armaturenbretts hat mit dem eher wuchtigen Design des XC90 nichts mehr gemein. Vielmehr wirkt die Landschaft vor dem Fahrer sehr entschlackt. Ein kleines Display als Kombiinstrument liefert nur die nötigsten Informationen. Nahezu alle Funktionen werden über den großen Bildschirm oder per Sprachbefehl bedient. Das ist gewöhnungsbedürftig, auch wenn die Sprachsteuerung bei unserem Ausflug insgesamt einen ordentlichen Eindruck machte. Als Basis dient, wie in anderen Modellen der Marke, Android Automotive OS. Die Entscheidung, in dieser Hinsicht keinen eigenen Weg mehr zu beschreiten, war richtig.

Typisch Volvo sind die sehr bequemen Sitze und ein hochwertiger Materialeindruck. Dass die Sessel nicht mehr mit einem Lederbezug zu haben sind, stört nicht. Zusätzlich verwöhnt der EX90 die Ohren in doppelter Hinsicht: Einerseits ist die Geräuschdämmung hervorragend, andererseits das optionale Soundsystem von Bowers & Wilkins herausragend. Volvo hat mit diesen Zutaten viel dafür getan, den Aufenthalt in diesem teuren Auto angenehm zu gestalten. Bei der Abstimmung des Fahrwerks hat sich Volvo für eine straffe Auslegung entschieden, die allerdings feinfühlig anspricht und kleine Unebenheiten gekonnt filtert. Hier ist gegenüber dem XC90 ein deutlicher Fortschritt zu spüren.

Volvo EX90 Innenraum (4 Bilder)

Fast alles wird per Sprache oder ĂĽber den Bildschirm in der Mitte bedient.
(Bild: Volvo)

Volvo bietet den EX90 zum Start in drei verschiedenen Antriebskonfigurationen an. Das Basismodell mit Hinterradantrieb hat nur einen Motor. Der leistet 205 kW und wird von einer Batterie mit 101 kWh (netto) mit Strom versorgt. Die beiden Allradmodelle mit 300 und 380 kW bekommen eine Batterie mit nutzbaren 107 kWh. Die DC-Ladeleistung soll bei maximal 250 kW liegen. Volvo setzt auf eine 400-Volt-Basis, die Ladesäule müsste demnach 625 Ampere liefern. Das ist nicht überall der Fall, vielerorts ist bei 500 A Schluss. Schade auch, dass es zumindest vorerst keine Option auf einen 22-kW-AC-Lader gibt. Hier bleibt Volvo bei 11 kW. Die maximale Reichweite im WLTP bei bis zu 614 km. Im WLTP nennt Volvo 20,8 bis 22 kWh.

Der EX90 hinterlässt bei der ersten Ausfahrt einen ausgezeichneten Eindruck. Was die Angabe von 250 kW Ladeleistung wert ist, muss ein Test zeigen.

(Bild: Volvo)

Für diese erste kurze Ausfahrt stand uns das Topmodell zur Verfügung. Wie erwartet, setzt sich der EX90 damit souverän in Bewegung und beschleunigt kraftvoll. Der Aufpreis gegenüber dem Modell mit 300 kW liegt bei 5000 Euro, was in dieser Preisklasse normalerweise kaum den Ausschlag geben dürfte. Allerdings rutscht die stärkste Ausführung damit über die Grenze von 95.000 Euro. Damit sind für die private Nutzung eines Dienstwagens nicht mehr 0,25, sondern ein Prozent des Listenpreises zu versteuern.

Korrektur: Hier ist uns ein Fehler unterlaufen. Für die private Nutzung batterieelektrischer Dienstwagen, deren Bruttolistenpreis bei mehr als 95.000 Euro liegt, müssen 0,5 Prozent des Listenpreises als geldwerter Vorteil versteuert werden.

Volvo offeriert drei Ausstattungslinien. Das Basismodell kostet 83.700 Euro, das Spitzenmodell mit 107.400 Euro rund 24.000 Euro mehr. Frei wählbare Extras gibt es kaum, und die wenigen, die Volvo anbietet, sind durchaus kostspielig. Einpark- und Spurhalteassistent kosten zusammen 2400 Euro, das Luftfahrwerk 2700 Euro. Das feine Soundsystem ist nicht für das Basismodell zu haben und kostet 3050 Euro.

Volvo hat mit dem EX90 ein feines E-SUV ins Programm genommen. Es ist sauber verarbeitet, sehr leise und beschleunigt gerade mit dem 380-kW-Antrieb bei Bedarf heftig. Wie bei der Konkurrenz stehen dem ein enormer Materialaufwand entgegen. Dazu kommt, dass Volvo sich als Nobelmarke versteht und dementsprechend selbstbewusst kalkuliert. Auch die Entscheidung, es bei einer 400-Volt-Spannungsebene zu belassen, könnte sich noch rächen. Denn potenziell ist Volvo damit perspektivisch gegenüber der Konkurrenz im Nachteil.

(mfz)