Reise mit X: Elektromotorrad Zero DSR/X​ im Test

Seite 2: Zero DSR/X im Test: Für wen?

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Zero-Besitzer Jürgen Theiner gab mir den Tipp, für lange Reichweiten konsequent unter 120 km/h zu bleiben. Ich stellte zusätzlich von "Sport" auf "Standard". Ich fuhr zunächst 10 km innerorts, weil Zero für diese Betriebsart den geringsten Verbrauch angibt. Ich fuhr kein einziges Mal Volllast. Ich fuhr nie über 120. Ich ließ immer schön zum Ortsschild hin ausrekuperieren, statt zu bremsen. Nach 98 km stellte ich wieder in der Garage ab, 22 Prozent SoC Rest, Restreichweitenschätzung Tacho: 33 km. Messung: 10,9 kWh/100 km. Der ganze Aufriss hatte also zu MEHR Verbrauch geführt, beziehungsweise: Das andere, etwas offenere Streckenprofil kostete durch höheren Schnitt etwas mehr Energie und die ganzen Spartipps sind eben Marginalien. Misst Jürgen falsch?

Nein. Dort, wo er wohnt, sind die Streckenprofile schlicht wesentlich langsamer. Ich verbrauche dort auch weniger, als wenn ich über viele Kilometer mit 100 km/h durchs Taubertal rollen kann. Heißt alles für die DSR/X: Strecke machen auf der Autobahn, mit breit im Wind hängenden Koffern, kann man eigentlich gleich vergessen. Die Zero ist eher für Leute, die ihre Motorräder in die Alpen transportieren, um dort zu fahren.

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(Bild: Clemens Gleich)

Der Tester hatte jedoch ein weiteres Problem, das ihn fürs Reisen disqualifizierte. Die X lädt im Standardtrimm mit nur 6 kW AC. Man kann den Stauraum hinter der Ladeklappe außer für einen Klumpen zusätzliche Akkukapazität auch für zusätzliche Ladegerät-Module opfern, mit denen das Krad dann bei immerhin 12 kW AC lädt. Da im Hinterland in der Vorzeit des Infrastrukturausbaus lauter AC-Lader aufgestellt wurden, hat Zero das Alleinstellungsmerkmal, dort einigermaßen schnell laden zu können, wo es oft nicht einmal Tankstellen gibt.

Eine so ausgestattete Maschine wird leider frühestens nächstes Jahr im Pressefuhrpark stehen, sodass der echte Reisetest wie die Sitzbankprobe auf einen späteren Termin verschoben werden musste. Wer sich für eine X interessiert: Der "Charge Pack" ist die mit Abstand wichtigste Aufpreisoption. Ohne die kannst du dir das Gepäcksystem gleich mit sparen. Nachteil des Konzepts: Man muss immer ein Typ-2-Kabel mitschleppen, und wer das nicht kennt: Am Motorrad ist das supersperrig und riesig. Zeros eigenes Kabel etwa passt nicht ins Staufach und wird auch in viele Koffer nicht passen.

Ich schreibe das so klar, weil viele Tourenfahrer unrealistische Hoffnungen an die Technik hegen, wenn sie sie noch nie ausprobiert haben. Wollen Sie sehr langsam Motorrad fahren oder leben Sie in einer extrem kurvigen Gegend mit sehr geringen Schnitten? Dann können Sie vielleicht bis 200 km erwarten. Aber nicht mehr als Etappe, nur vom Start weg – und nicht mit Koffern. Auf der Autobahn werden alle Ihre auf Ottomotor geeichten Prognosemodelle zusammenbrechen. Ich würde sagen: Alles mit langen Strecken auf Achse spricht gegen eine elektrische Reiseenduro, weil es einfach nervt und zu lange dauert.

Das klingt so, als habe Zero ein Absurdomobil gebaut – aber nur solange, bis man sich anschaut, was reale Menschen mit ihren Reiseenduros machen: Viele fahren vergleichsweise kurze Tagesstrecken an schönen Orten, an denen sie die Maschinen hintransportieren. Einen Tag mit 250 bis 350 km Alpenkurven, bis einem schwindlig wird, das kann die X ähnlich gut wie andere ihres Gewichtskalibers. Sie kann das allerdings nicht in einer größeren Gruppe, in der Alpentouristen so gerne fahren, weil der Wille, auf Nachladen zu warten, nonlinear mit der Anzahl der Gruppenteilnehmer sinkt. Unter allen Vorteilen und Nachteilen einen Strich ziehen, den Preis von ab 26.550 Euro drunterschreiben und Probefahren. Wenn alles zum Leben passt: super, kaufen. Die Zulassungsstatistik sagt: Den Meisten passt dann doch eher eine aktuelle GS für ab 18.300 Euro.