Verschlusssache VoiceStream

Beim Frankfurter Prozess um den dritten Börsengang der Telekom erhellen die Aussagen beteiligter Manager die Hintergründe der milliardenschweren Übernahme des US-Mobilfunkers VoiceStream.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Murphy
  • Christian Ebner
  • dpa

Bei der Übernahme von VoiceStream durch die Deutsche Telekom liegt vieles im Verborgenen. Warum wählte der Bonner Konzern Mitte 2000 den kleinen US-Mobilfunkanbieter aus Seattle als Akquisitionsziel aus? Und warum wurde die Rekordsumme von letztlich 39,4 Milliarden Euro auf die Konten der VoiceStream-Eigner überwiesen? Licht ins Dunkel bringt nun der Mammutprozess tausender Anleger gegen die Telekom, bei der frühere und aktuelle Manager Details des Deals offen legen. Ihre Darstellung: Nach intensiver Prüfung wurde unter einer Vielzahl möglicher Übernahmekandidaten VoiceStream ausgewählt. Die Transaktion gilt als eine der spektakulärsten Übernahmen der deutschen Wirtschaftsgeschichte, deren Folgen noch heute die Deutsche Telekom beeinflussen.

Glaubt man dem früheren Vorstandschef Ron Sommer, ging es im Jahr 2000 bei der Telekom zu wie in einem Taubenschlag: Neben VoiceStream verhandelte die Telekom im Jahr 2000 parallel mit vielen Übernahmekandidaten, etwa mit den US-Firmen Qwest und SBC. "Außerdem gab es noch Gespräche mit TeliaSonera und Telecom Italia", sagte der seit Januar 2000 amtierende Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. Auch mit dem japanischen Schwergewicht NTT Docomo liefen demnach Verhandlungen. Für das Team um Sommer schien angesichts prall gefüllter Kassen keine Übernahme zu groß. Mitte Juli legte Sommer nach eigener Darstellung schließlich den Fokus auf VoiceStream mit seinen damals 2,3 Millionen Kunden.

Dann soll alles sehr schnell gegangen sein: Innerhalb einer Woche brachte die Telekom die Übernahme unter Dach unter Fach, wie Sommer und Eick ausführten. Vom 13. bis zum 16. Juli trafen sich die Vorstände der beiden Gesellschaften im verschlafenen Skiort Sun Valley im US-Bundesstaat Idaho. Eine Woche später stimmte der Telekom-Aufsichtsrat der Übernahme zu. Die entscheidende Sitzung am 23. Juli dauerte nach Angaben von Aufsichtsratschef Winkhaus nur vier Stunden. Da sei zwar intensiv diskutiert, die Verträge aber nicht geprüft worden. Damit könne sich ein Aufsichtsrat nicht befassen, sagte Winkhaus.

Der schnelle Vertragsabschluss warf Zweifel auf: Andreas Tilp, einer der Kläger in dem Prospekthaftungs-Prozess, sprach von einem "Hau-Ruck-Verfahren". Aus seiner Sicht ist eine Transaktion in der Größenordnung nicht in der kurzen Zeit zu stemmen. Eine entscheidende Frage: Sollte die Entscheidung pro VoiceStream schon früher gefallen sein, dann hätte die Telekom ihre Aktionäre im Prospekt für die am 19. Juni 2000 erfolgte dritte Aktienplatzierung nicht richtig informiert. Neben einem Imageschaden drohten dann hohe Schadenersatzzahlungen. In dem Prozess vor dem Oberlandesgericht verlangen 16.000 Anleger rund 80 Millionen Euro für erlittene Kursverluste.

Klägeranwalt Tilp rechnen sich gute Chancen im Prozess aus: Denn bereits vor Juli 2000 gab es Kontakte zwischen Telekom und VoiceStream, wie Sommer einräumt. Im 13. März traf sich der einstige Börsenstar mit VoiceStream-Chef John Stanton in einem New Yorker Hotel. Zum "Abtasten", wie Sommer heute sagt. Ein weiteres Treffen folgte am 29. März, wieder in New York. Danach soll erst einmal Funkstille zwischen Sommer und Stanton geherrscht haben. Anfang Juni flammte das Interesse offenbar wieder auf: Die Telekom unterbreitete ein unverbindliches Angebot für VoiceStream – also noch vor dem dritten Börsengang. Für Sommer nichts besonderes: Das Angebot sei nur zum "warmhalten" gedacht gewesen. Am 21. Juni – also zwei Tage nach der dritten Aktienplatzierung – lief die VoiceStream-Buchprüfung.

Die Übernahme von VoiceStream ist ein großer Einschnitt in der Geschichte der Telekom. Nach dem Kauf war es mit dem zügellosen Akquisitionsfieber vorbei: Sommer-Nachfolge Kai-Uwe Ricke musste sich ab 2002 um den Abbau der drückenden Schulden bemühen, die auch durch den milliardenschweren Erwerb der UMTS-Lizenzen angeschwollen waren. Wichtige Auslandsbeteiligungen wie die an dem russischen Mobilfunker MTS wurden verkauft, die heute als Wachstumstreiber fehlen.

Auch wenn die Bilanz der Bonner nun wieder größeren Spielraum zulässt, so kann die neue Führung unter Vorstandschef René Obermann nicht befreit aufspielen. Einige Investoren warnen immer wieder vor teuren Akquisitionen. In neue, zukunftsträchtige Märkte wie Indien oder Afrika kann sich die Telekom nicht vortasten. In den Köpfen einiger Anleger taucht dann sofort wieder das Bild "VoiceStream" auf. Nicht unbegründet, denn Zukäufe in diesen Regionen sind auch teuer, wie der Einstieg von Vodafone bei der indischen Hutchison Essar für 13 Milliarden Dollar zeigte.

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(Martin Murphy, dpa-AFX / Christian Ebner, dpa) / (vbr)