Anzeichen für frischen Wind in der IT-Politik der USA nach der Wahl

Nach dem Gewinn der Mehrheit im US-Repräsentantenhaus und im Senat haben Demokraten ein Festhalten am Konzept der Netzneutralität angekündigt. Auch beim Datenschutz oder Copyright könnten Änderungen anstehen.

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Nach dem Gewinn der Mehrheit im US-Repräsentantenhaus und im Senat haben führende Demokraten ein Festhalten am Konzept der so genannten Netzneutralität angekündigt. Das Drängen der bisherigen Oppositionspartei auf eine Festschreibung des Prinzips des offenen Internets ohne Unterschied in der Übertragungsqualität scheiterte bislang am Widerstand der Republikaner. Auch in Politikfeldern wie dem Datenschutz oder Copyright könnten mit dem Machtwechsel in beiden Kammern des US-Kongresses Änderungen anstehen.

"Wir müssen eindeutig die Frage der Netzwerkneutraliät angehen", erklärte John Dingell am Mittwoch vor der Presse. Der im Repräsentantenhaus sitzende Demokrat aus Michigan ist als Vorsitzender des mächtigen Wirtschaftsausschusses der Abgeordnetenkammer vorgesehen, der sich um das Telekommunikationsrecht kümmert. Seiner Ansicht nach ist es "unsere Pflicht", nicht nur die Interessen der großen Telcos zu schützen, sondern auch die der Öffentlichkeit. Der aus Massachusetts stammende Demokrat Ed Markey, der im Frühjahr mit einem Anlauf zur Sicherung der Netzneutralität im Repräsentantenhaus auf Granit gestoßen war, soll den Unterausschuss für Telekommunikation und Internet leiten. Auch die künftige Chefin des Repräsentantenhauses und Mehrheitsführerin der Demokraten, Nancy Pelosi, ist eine Befürworterin des offenen Internets. Ohne Netzneutralität, so ihre Worte im Juni, "ist die gegenwärtige Interneterfahrung der Nutzer in Gefahr".

Die Vereinigung Save the Internet, ein bunter Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen aller politischer Couleur, hat das Vorrücken der "Freiheitskämpfer des Internets" im Kongress bereits begrüßt. Die Koalition macht sich gemeinsam mit Netzgrößen wie Amazon.com, eBay, Google, Microsoft und Yahoo für strenge gesetzliche Netzneutralitätsregeln stark. Ihr Lager befürchtet, dass Telekommunikationskonzerne und TV-Kabelanbieter das Internet andernfalls in teure, mit Mautstationen abgesperrte Luxusbahnen und holprige Feldwege aufteilen. Großen US-Breitbandanbietern und einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom geht es darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten. Sie wollen Möglichkeiten zur unterschiedlichen Behandlung des Datenverkehrs in ihren Backbones erhalten, abhängig etwa von Quelle, Dienst und Bandbreitenverbrauch.

Ein Kurswechsel im US-Kongress könnte zudem bei der nach dem 11. September 2001 deutlich verschärften Telekommunikationsüberwachung und anderen ausgebauten Befugnissen der Sicherheitsbehörden anstehen. So haben deutlich mehr Demokraten das umstrittene Anti-Terrorpaket der USA, den Patriot Act, abgelehnt als Republikaner. Es stellt unter anderem das unbefugte Eindringen in Computer unter Strafe, zudem erhielten die Gesetzeshüter leichteren Zugang zu ungeöffneten E-Mails und Telefongesprächen von Verdächtigen. Die Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union (ACLU) hofft zudem, dass der neue Kongress einen Untersuchungsausschuss für das heimische Beschnüffelungsprogramm der National Security Agency (NSA) einrichtet. US-Präsident George W. Bush ermächtigte den technischen US-Geheimdienst nach den Anschlägen in New York und Washington, ohne die eigentlich erforderliche richterliche Genehmigung heimlich Telefongespräche von US-Bürgern mit Terrorverdächtigen im Ausland abzuhören und Verbindungsdaten innerstaatlicher Kommunikation auszuwerten. Die ACLU setzt auch darauf, dass nun dem hauptsächlich von Republikanern befürworteten Electronic Surveillance Modernization Act Einhalt geboten wird.

Schwieriger könnte es für US-Justizminister Alberto Gonzales werden, seine Pläne zur Einführung einer Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten durchzusetzen. Allerdings haben die beiden großen US-Parteien bislang nie eine ausgesprochene Datenschutzpolitik vertreten und das Thema eher taktisch verwendet, um aus der Opposition heraus die jeweilige Regierungslinie zu kritisieren. Aber auch der republikanische Senator Conrad Burns tadelte schon einmal das Weiße Haus unter Bush dafür, "keinen Respekt für die Privatsphäre" zu hegen. Der bisherige Chef des Repräsentantenhauses, Dick Armey, beanstandete den "Orwellschen Charakter" von Regierungsvorschlägen.

Beim Schutz von Urhebern sieht es ähnlich aus. So machte sich der Demokrat Rick Boucher im Abgeordnetenhaus während der Oppositionszeit für Änderungen am umstrittenen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) stark, durch die er die Rechte der Verbraucher stärken wollte. Unter anderem sollten Nutzer den Kopierschutz von CDs umgehen dürfen, um private Kopien erstellen zu können. Boucher ist nun als Vorsitzender eines wichtigen Unterausschusses des Repräsentantenhauses im Gespräch, der sich mit Copyright- und Patentfragen auseinandersetzt. Traditionell erhalten die Demokraten aber das meiste Lobbygeld aus Hollywood, sodass sich Boucher die Sache noch einmal überlegen könnte.

Die Republikaner entpuppten sich – einmal an der Macht – ebenfalls als Freunde der Musik- und Filmindustrie. So hielt etwa der Leiter des Wirtschaftsausschusses des Senats, Ted Stevens, das Thema "Broadcast and Audio Flag" noch im Januar am Köcheln. Hersteller digitaler TV- und Radio-Empfänger sollten seiner Ansicht nach dazu verpflichtet werden, ein von der Unterhaltungsindustrie eingeführtes Kopierschutzsignal zu unterstützen. Die Bush-Regierung machte sich im April mit Hilfe des republikanischen Abgeordneten Lamar Smith für drastische Copyright-Verschärfungen stark. Unrechtmäßige Kopierer geschützter Werke sollen demnach selbst im nichtgewerblichen Bereich mit bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe rechnen müssen. (Stefan Krempl) / (anw)