VW Golf GTE mit Plug-in-Hybrid im Test: Der perfekte GTI-Ersatz?

Ein neuer Golf ist immer eine Standortbestimmung der deutschen Automobilindustrie. Der Golf 8 GTE soll zudem Nachhaltigkeit und GTI-Feeling verbinden. Ein Test.

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VW Golf GTE

(Bild: Florian Pillau)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Ein neuer Golf ist so etwas wie eine Standortbestimmung der deutschen Automobilindustrie. Der Golf ist nicht nur das meistverkaufte Modell der Branche. Er definiert auch den gehobenen Mainstream über alle Alters- und Standesgrenzen hinweg. Eine neue Golf-Generation ist zudem auch immer eine Art Meisterstück des amtierenden VW-Vorstands.

Herbert Diess beschreibt seinen Führungsstil gerne mit "disruptiv". Er meint damit wohl, Missstände konfrontativ anzugehen und die Anforderungen der Zukunft konsequent, schnell und rücksichtslos umzusetzen. Die Autoindustrie befindet sich in einer Zeit des Umbruchs zu alternativen Antrieben. Der Volkswagen-Konzern hat zudem die Dieseltechnologie mit seinem beispiellosen Betrug trotz weiterhin hohen Potenzials für die gesamte Branche verbrannt. Da könnte Diess theoretisch gerade der richtige Mann sein. Denn selten hatte ein Konzern mehr Disruption nötig. Die Erwartungen an den "Diess-Golf" waren also hoch. Der Plug-in-Hybrid GTE verspricht zusätzlich, sportliches GTI-Feeling und alternative Nachhaltigkeit zusammenzubringen.

Traditionell punktet ein neuer Golf nicht hauptsächlich durch scharfe Linien leckerer Schönheit. Vielmehr hat er sich möglichst mehrheitsfähig in den Ablauf seiner Generationen einzugliedern. Diesmal scheint mir der Neu-Golf optisch allerdings besonders konservativ geraten. Persönlich fand ich den Auftritt des Vorgängers dynamischer. Allerdings muss man dem Test-GTE zugute halten, dass er in geradezu schmerzlich unemotionalem Weiß lackiert war.

Nach dem Einstieg überrascht der neue Golf dann doch – aber leider nicht positiv. Materialauswahl, Optik und Haptik des Cockpits im Golf 8 wirken im Vergleich zu seinem hervorragenden Vorgänger als Rückschritt. Zwar sind die Kunststoffe sorgfältig verarbeitet. Gerade im GTE, einer der teuersten Golf-Versionen, die ohne Extras mit fast 43.000 Euro in der Preisliste steht, empfinde ich die Kunststofflandschaft als nicht standesgemäß.

VW Golf GTE außen (6 Bilder)

Der Golf GTE der achten Generation hat fast die gleichen Abmessungen wie sein Vorgänger. (Bild: alle Florian Pillau )

Keine Geschmacksfrage sind die neuen Ergonomieschwächen. Dabei galt intuitive Bedienung bisher als Leuchtturmkompetenz von Volkswagen. Die unbeleuchteten Slideschlitze zur Lautstärke- und Temperaturregelung per Fingerwisch mögen einen pseudomodernen Touch haben, ein billiger Schalter kann aber alles besser. Theoretisch können die neuen Bedienflächen zwar sowohl auf Drücken als auch auf Wischen reagieren. In der Praxis tun sie es aber oft gar nicht.

Die einfachsten Funktionen wie Temperaturwahl oder Lautstärkeregelung werden so zur nervigen Prozedur. Ein großes Lob hat allerdings die Menüführung des Infotainmentsystems mit ihren flachen, einleuchtenden Hierarchien verdient. Die Sprachsteuerung nimmt im Konkurrenzumfeld einen glanzlosen Mittelfeldplatz ein. Schade, denn mit einer Sprachsteuerung auf dem Niveau von BMW oder Mercedes hätte der neue Golf seine ergonomischen Schwächen überspielen können.

Manchmal ist man allerdings im neuen Golf schon froh, wenn etwas überhaupt funktioniert. Als ich an einem kalten Morgen in den Golf einsteige und die Sitzheizung aktivieren will, geht das zum Beispiel nicht. Stattdessen erscheint der Hinweis, diese Funktion sei gerade nicht verfügbar. Möglicherweise handelte es sich hierbei um ein Problem des Testwagens, vielleicht kommt das so auch nur beim Plug-in-Hybrid vor. Bei zwei Golf 8 aus dem Redaktionsalltag und Freundeskreis trat dieser ärgerliche Fehler jedenfalls nicht auf. Wie dem auch sei, so etwas sollte nicht passieren.

Nach kurzer ärgerlicher Fahrt und mehreren nervös-erfolglosen Versuchen registriert man mit Freude, die Sitzheizung einschalten zu können. Der Druck auf das Sitzheizungssymbol am Touchscreen führt einen aber leider noch nicht zum Ziel. Stattdessen wird ein Untermenü "Klimatisierung" geöffnet. Hier tauchen exakt die gleichen Sitzheizungssymbole an anderer Stelle erneut auf und hier kann man dann endlich die Sitzheizung einschalten. So etwas muss doch nicht sein.

Die neu konzipierten Tastenfelder des Multifunktionslenkrades wiederum spielen auf der Klaviatur der Kundenenttäuschung mit analogen Mitteln. Sie gaukeln mit ihrer Optik moderne Touchflächen vor. Leider sind sie aber nur Multifunktionsdruckschalter mit altmodischer Low-Budget-Haptik. Bei jedem Druck auf eines der vielen Symbole bewegt sich das ganze Riesenplastikfeld in der Breite der Lenkradspeiche. Das alles ist ärgerlich bei einem Fahrzeug, das in der Vielzahl solcher Details bis gerade eben noch den Maßstab setzte.

Nahezu zum Debakel macht den Golf 8 aber sein Software-GAU. Die kamerabasierten Fahrassistenzsysteme fallen gerade auf Autobahnpassagen wiederholt bis ständig aus. Auch beim Test-GTE erschien mehrmals in der Minute eine Fehlermeldung, die auf verschmutzte Sensoren verwies. Optische und akustische Warnungen bombardieren den Fahrer in nervtötender Frequenz.

Kurze Zeit später ist das Problem immer wieder wie von Zauberhand weg, um dann höchstens binnen Minuten mit nerviger Warnung wieder aufzutreten. Das gesamte Assistenzsystem, allen voran die integrierte Abstands-Spurregelung "Travel Assist" inklusive Speed-Limit-Assistent funktioniert oft nicht. Und das ist kein Ausnahmefall. Sämtliche uns bekannte Gölfe aus Redaktionsalltag und privatem Bekanntenkreis zeigten denselben Befund.

Der Kunde hat für diese Ausstattungen, die nicht funktionieren, Geld bezahlt. Obendrein geht es um Fahrsicherheitsassistenten, die den Fahrer durch ihre mangelnde Zuverlässigkeit gefährden. Und das ist insofern besonders bitter, als das System durchaus großes Potenzial zeigt. Wenn die "Travel Assist" genannte vernetzte Assistenzarmada zwischenzeitlich mal richtig funktioniert, ist sie besser als die meisten Systeme der Konkurrenz. Der Golf chauffiert einen dann teilautonom ruckfrei, vorausschauend und souverän, reagiert frühzeitig auf Tempolimits, erkennt auch digitale Schilderbrücken und verhält sich wie ein mustergültiger Butler. Daran könnte man sich gewöhnen, aber in diesem Moment macht es meist schon wieder "piep!". Es wäre zu schön gewesen.

VW Golf GTE innen (12 Bilder)

Leider hat VW im Golf-Cockpit mit den Knöpfen Ergonomie eingespart. Auch die Materialanmutung ist nicht mehr so gut wie im Vorgänger.
(Bild: Florian Pillau)

Es wäre verwunderlich, wenn der neue VW-Markenvorstand Ralf Brandstätter nicht bereits mit Hochdruck an einer Überarbeitung des Golf 8 arbeiten würde. Es bleibt zu hoffen, dass er zusammen mit Konzern-Entwicklungschef Duesmann die Software schnell in den Griff bekommt. Kunden, die sich für einen neuen Golf oder ein anderes Konzern-Modell der überarbeiteten MQB-Plattform interessieren, sollten VW vor der Bestellung noch Zeit geben, um die Probleme zu bewältigen.

Der Software-Malus macht einen besonders traurig, wenn man erfährt, wie der neue Golf auf der Straße liegt. Sowohl sportliche Serpentinenhatz als auch Langstreckenautobahnpassagen absolviert er ohne nennenswerte Karosseriebewegungen. Das ist auf einem Niveau, für das man vor zehn Jahren S-Klassen gefeiert hätte. Meinem Kollegen Martin ist das Sportfahrwerk des GTE zwar trotz 1000 Euro teurer adaptiver Dämpfer einen Tick zu hart. Ich aber könnte wunderbar damit leben.