Gut gedacht, schlecht gemacht: Elektroroller Seat MÓ im Test

Seat verkauft einen Elektroroller mit herausnehmbaren Akku und vielen Schwächen. Er kann dennoch passen, weil die Konkurrenz es auch nicht besser macht.

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Seat MÓ

Die Idee des Seat MÓ ist gut, die Umsetzung teilweise leider nicht.

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Es tut mir immer leid, wenn ein Fahrzeug schlecht ist, weil das niemand so wollte. Gute, neue, frische Konzepte kommen meistens von kleinen Firmen, die es eben nicht besser hinbekommen haben, trotz Blut, Schweiß, Tränen und unter dem Schreibtisch schlafen. Nur arbeite ich eben nicht für diese Firmen, sondern für den Verbraucher, der sich am Ende am besten den Ärger spart, den schlecht ausgeführte Konzepte bescheren. Nach dieser Einleitung ahnen Sie bereits, ob ich Ihnen den Großroller Seat MÓ empfehle: nein. Oder eher: jein. Im Segment der Elektroroller ist er nämlich ein Einäugiger unter Blinden.

Zuvor jedoch eine Einordnung: Seat ist in diesem Fall eine Firma, die Aufkleber herstellt, unter denen sie die Fahrzeugtechnik anderer verkauft. Der eigentliche Fahrzeughersteller des MÓ heißt "Silence", kommt aus Spanien und nennt die Kreation selbst schlicht "S01". Die Besonderheit des Leichtkraftrads (FS-Klasse A1, bekannt von 125ern): Sie können den Akkupack herausziehen und als Trolley durch die Gegend fahren, um ihn in der Wohnung zu laden (hierzu gleich mehr).

Die Enttäuschung fing beim Fotofahren an. Die Bremsen rubbeln. Hingeschaut: Die Räder laufen mit schon per bloßem Auge deutlich sichtbaren Seitenschlag. Aufnahmen krumm gefräst, wahrscheinlich beim Ummontieren von einer auf die andere Seite beim Fräsen für die Radlager. Das kenne ich als lang gedienter KTM-Fahrer leider zur Genüge und kann es als Erfahrung nicht weiterempfehlen. Die Bremsen kommen ohne ABS. Silence/Seat tänzeln um die seit 2016 bestehende ABS-Pflicht mit dem stattdessen erlaubten Kombibremssystem, das auf dem linken Hebel liegt. 6700 Euro. Kein ABS. Das ist zwar im Elektrorollerbereich leider noch normal, Umsteiger werden sich jedoch wundern. Selbst der Kymco New People 125i hat ABS. Kostet 3299 Euro. Inklusive Top-Case! Es liegt nicht am Hardware-Preis allein, vielmehr fehlt diesen kleinen E-Herstellern die Kompetenz, ein ABS abzustimmen.

Seat MO Übersicht (12 Bilder)

Akkuentnahme in wenigen Sekunden

(Bild: Clemens Gleich)

Der Antrieb fällt im Langsamfahrbereich durch das auf, was man beim Verbrenner "Konstantfahrruckeln" nennen würde: Eine im Bereich von geschätzt 2 Hz oszillierende Drehmomentabgabe. Das muss man erst einmal hinkriegen bei einem Elektroantrieb. Die Traktionskontrolle trägt mit gelegentlichen, schwer nachvollziehbaren Komplettabschaltungen von Drehmoment in Schräglage ein Übriges zur Unfreude bei.

Beim über Landstraßen fahren (denn der MÓ läuft im Modus Sport Topspeed 95 km/h) erklären die Radaufhängungen sehr eindeutig, warum immer die ungefederten Massen antanzen in den Diskussionen um Radnabenmotoren. Das Chassis holpert und kracht, dass es eine Qual ist. Das kommt natürlich hauptsächlich aus der Hinterachse, die Gabel vorne zuckt dazu jedoch auch nur die Schultern und tut so, als sei das alles nicht ihr Problem.

Ich kam bei spätherbstlichen Temperaturen von 2° C gute 58 km weit. Dann ging die $$%&kiste einfach -zack!- aus, obwohl die Akkustandsanzeige noch 5% daherlog. Sie startete zunächst nicht mehr. Jungs, ich bin auch dafür, einen Unterspannungsschutz zu bauen. Aber dann muss eben der Akkuhub und die Anzeige dazu passen, und zwar in allen Märkten und nicht nur daheim im warmen Spanien. Immerhin wurde mir warm durch Ärger und Schieben.

Nach ein paar hundert Metern startete der Antrieb doch wieder und ich konnte die letzten hundert Meter bis zur Garage fahren. Aber ich muss auch diesmal wieder das gegenteilige Urteil fällen wie die Kollegen vom ADAC, die beim Test des (technisch identischen) Silence "keine gravierenden Schwächen" feststellten. Der MÓ ist unfertig, und bei einem Kraftrad ohne Vorwarnung den Motor abzuschalten, ist für mich eins der größten No-Gos.