Genesis G70 Shooting Brake im Test: Fein, aber durstig

Mit dem G70 Shooting Brake will Genesis in der gehobenen Liga reüssieren. Die Anlagen dazu hat das Auto, doch an einem Punkt muss dringend nachgebessert werden.

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Genesis G70 Shooting Brake

(Bild: Florian Pillau)

Lesezeit: 11 Min.
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In der Akustik wird ein Oberton, stark vereinfacht, als ein Bei- neben dem eigentlichen Grundton bezeichnet. Etwas, was neben dem dominierenden Geräusch zu hören ist. In den ersten Stunden im Genesis G70 wunderte ich mich über einen solchen Oberton beim Beschleunigen, eine Art synthetisches Pfeifen. In den Tiefen des Infotainmentsystems fand sich schließlich die Lösung. Hatte ich im Skoda Octavia RS (Test) noch fest daran geglaubt, dass sich keiner dauerhaft das Gedröhne anhören wird, belehrte mich der nette Überführer des Genesis eines besseren. Oder sollte auch er nicht gewusst haben, dass und wo man das künstliche Gepfeife abstellen kann? Ohne Oberton klingt die Maschine jedenfalls angenehmer, wenngleich sie akustisch nichts produziert, was man über die Lautsprecher unbedingt verstärken müsste.

Die Zeiten, in denen man für den Hyundai-Konzern in den Chefetagen deutscher Autohersteller bestenfalls ein „Ach-die-gibt-es-ja-auch-noch“ übrig hatte, sind schon länger vorbei. Allerspätestens mit der Vorstellung der batterieelektrischen Plattform E-GMP mit 800-Volt-Spannungsebene haben sich die Koreaner global etabliert. Mit dem G70 Shooting Brake will Genesis in die Liga der selbsternannten Premiummarken aufsteigen. Im Test zeigte sich, dass das noch nicht ganz gelingt, den Genesis-Verkäufern aber ein überzeugendes Argument mit auf den Weg gegeben wurde.

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Natürlich spielt der Preis für Interessenten von BMW 3er Touring oder Mercedes C-Klasse eine untergeordnete Rolle. Anderswo gibt es mehr Auto fürs Geld, was den Erfolg solcher bevorzugt als Kombi georderten Modelle über viele Jahre nicht geschmälert hat. Doch was Genesis an dieser Stelle argumentativ in den Ring wirft, ist schon eine Ansage. Das bereits sehr umfangreich ausgestattete Basismodell des G70 Shooting Brake kostet 40.300 Euro. Wer bei BMW oder Mercedes einen rund 150 kW starken Benziner haben will, muss knapp 10.000 Euro drauflegen – und anschließend weiteres Geld, um bei der Ausstattung gleichzuziehen.

Genesis G70 Shooting Brake (7 Bilder)

Die Form des Genesis G70 Shooting Brake fand in der Redaktion Anklang.
(Bild: Florian Pillau)

Bei Genesis ist zudem ein üppiges Fünf-Jahres-Paket inklusive: Garantie, Updates, Pannenhilfe, Wartung sowie Hol-, Bring- und Ersatzwagen-Service sind mit dem Kaufpreis für 60 Monate abgegolten. Erstaunlich, dass Genesis in der Preisliste davon nichts erwähnt. Zur groben Orientierung: BMW kostet ein vergleichbares Paket für den 3er je nach Laufleistung zwischen 1850 und 2975 Euro.

Insgesamt ergibt sich damit ein Preisunterschied, der auch in dieser Klasse nachdenklich macht und über manch eine Schwäche des G70 Shooting Brake vielleicht hinwegsehen lässt. Zunächst aber fällt auch bei diesem Genesis auf, mit welcher Akkuratesse er eingerichtet ist. Dazu zählt nicht nur eine sorgfältige Verarbeitung, sondern auch eine hochwertige Auskleidung des Interieurs. In dieser Hinsicht hat die C-Klasse mit dem jüngsten Modellwechsel deutlich nachgelassen. Falls Mercedes Inspirationen für die nächste Überarbeitung suchen sollte, der G70 sei hiermit dafür wärmstens empfohlen. Und das sollte den verantwortlichen Kostendrückern in Stuttgart zu denken geben.

Im direkten Vergleich fällt noch etwas anderes im Genesis positiv auf. Seine Bedienung ist darauf auslegt, den Fahrer nicht mehr als nötig mit dem Streben nach Modernität zu quälen. Es gibt hier beispielsweise keine Wischflächen, denen man dreimal einen Befehl erteilen muss, um dann wieder einen Schritt zurückzugehen, weil die zweite Eingabe dann mit etwas Verzögerung doch noch akzeptiert wurde. Eine Bedienungsanleitung braucht der Fahrer hier nur für die Ausleuchtung der letzten Tiefen des Infotainmentsystems, das aber in sich barrierearm und halbwegs logisch aufgebaut ist.

Es kann mit den Topsystemen von BMW und Mercedes weder beim Funktionsumfang noch beim Arbeitstempo mithalten. Doch das wird nur bemerken, wer direkt umsteigt. Es ist fast alles da, was man im Alltag tatsächlich benötigt, und lästige Bugs haben wir nicht entdeckt. Wünschenswert wären eine verständigere Sprachsteuerung und die kabellose Einbindung von Apple CarPlay und Android Auto. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Konzern beides nachreichen wird.

Bewusst machen sollte sich der Interessent vorab, dass der G70 Shooting Brake kein Kombi ist. Die flotte Hülle enthält nur ein mäßiges Platzangebot für Mensch und Gepäck. Eine sehr flache Heckscheibe beschneidet das maximale Ladevolumen empfindlich. Mit 403 Litern, gemessen unter der Laderaumabdeckung, unterbietet das immerhin 4,68 m lange Auto alle Konkurrenten mehr oder weniger deutlich. Von der Raumfülle eines Seat Tarraco, der auch nicht mehr Verkehrsfläche beansprucht, bleibt der Genesis meilenweit entfernt. Die erwähnten Konkurrenten sind wahrlich keine Raumwunder, aber doch etwas weniger knapp geschnitten.

Genesis G70 Shooting Brake (10 Bilder)

Der Genesis G70 ist nicht modisch eingerichtet, was der Funktionalität guttut.
(Bild: Florian Pillau)

Die schicke Verpackung hat noch einen weiteren, gravierenden Nachteil. Die Rundumsicht ist nochmals schlechter als in einem Kia EV6. Hinter der breiten C-Säule lassen sich problemlos ganz Dörfer verstecken. Wer in der Stadt keinen Radfahrer überfahren will, muss beim Rechtsabbiegen extrem aufpassen. Überspitzt formuliert: Sollte es irgendwann Mode werden, das Heck komplett mit Blech zu verkleiden, wird die Aussicht nicht mehr viel schlechter als in diesem Shooting Brake werden.

Absetzen können sich die besten Autos in diesem Segment vom G70 in zwei Bereichen. Der Genesis kann weder die Güte der Einheit von Fahrwerk und Lenkung des BMW 3ers bieten noch so geschmeidig federn wie die C-Klasse. Kleine Unebenheiten werden noch akzeptable absorbiert, bei größeren kommt aber eine Unruhe ins Auto, die den deutschen Konkurrenten fremd ist. Der G70 ist gewissermaßen immer in Bewegung, was bei straff abgestimmten Autos oft der Fall ist. Doch seine gefühlsarme Lenkung mit geringen Rückstellkräften passt nicht recht ins Bild. Der Versuch, ihn mit einer herben Abstimmung dynamisch wirken zu lassen, endet vor allem mit weniger Komfort. Mein Kollege Christian hielt im Fahrtenbuch zudem fest: "Fahrwerksgeräusche an der Hinterachse sind in dieser Klasse und bei diesem Dämmungsaufwand pikierend."