Chinesischer Autohersteller Baidu: Suchmaschine auf dem nächsten Level​

Der Techgigant Baidu gilt als führend in der Entwicklung des autonomen Fahrens. Alle deutschen Hersteller kooperieren mit ihm. Das ist nicht ganz ungefährlich.​

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Mercedes Showcar in China

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Folge acht einer zehnteiligen Serie, mit der heise/Autos auf den chinesischen Automarkt blickt. Dort laufen sich – teils kräftig unterstützt von der sogenannten Kommunistischen Partei – gerade chinesische Elektroautoproduzenten warm, um demnächst mit viel Schwung und einem bunten Strauß modernster Autos den heimischen und die internationalen Märkte aufzurollen. Das dürfte nicht ohne Folgen für die deutschen Autoproduzenten bleiben, deren größter weltweiter Einzelmarkt seit einigen Jahren China ist.

Das wird einerseits absehbar das Bild auf deutschen und europäischen Straßen verändern, aber auch Auswirkungen für die deutschen Produzenten und ihren Absatz in China, dem weltweit größten Einzelmarkt, haben.

Baidu ist das, was hierzulande Google ist. Es ist die größte Suchmaschine Chinas und gehört zu den drei am häufigsten aufgerufenen Webseiten der Welt. Zum digitalen Universum des Konzerns gehören unter anderem eine Plattform, die Wikipedia ähnelt, ein Kartendienst, Cloud-Speicherdienste sowie eine Content-Sharing-Plattform und ein Videoportal. Das alles finanziert umfangreiche Forschung und Entwicklung im Bereich des autonomen Fahrens. Der Techgigant gilt auf diesem Gebiet als weltweit führend.

Im Jahr 2013 begann Baidu mit der Entwicklung eines selbstfahrenden Autos. Auf einer offenen Plattform beteiligten sich rund 1000 Entwickler und fünfzig Partner, darunter auch BMW und Mercedes. Vier Jahre später schloss sich Baidu mit einigen der Partner zum Projekt "Apolong" oder "Apollo" zusammen.

Ziel ist es, ein Auto auf Level 4 zu entwickeln. Also hochautomatisiert. Die Führung des Fahrzeugs wird dabei dauerhaft vom System übernommen, lediglich bei einer Überforderung kann der Fahrer aufgefordert werden einzugreifen.

Der Apollo RT6 ist für Baidus Robotaxi-Flotte gedacht. Der viertürige Viersitzer im Format eines Van kann bei Bedarf mit einem Lenkrad ausgestattet werden und soll 37.000 US-Dollar kosten.

(Bild: Baidu)

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist seit dem Sommer 2022 zu bestaunen. Gemeinsam mit dem chinesischen Autoriesen Geely (u.a. Volvo und eine 20-prozentige Beteiligung an Mercedes) hat Baidu das Start-up Jidu Auto gegründet. Unter diesem Namen sollen smarte Elektroautos gebaut werden. Das erste war der limitierte Robo-01 Lunar Edition.

Grundsätzlich sieht das Fahrzeug beeindruckend aus. Das 4,85 Meter lange SUV mit Schwanentüren vorne hat einen 36,5-Zoll-Monitor, der sich über die gesamte Breite des Innenraums zieht. Kunden können den Wagen für beinahe schon sensationelle 55.000 Dollar kaufen. Wichtig jedoch ist, was man auf den ersten Blick nicht sieht: Fünf Radaraugen, zwei Lidar-Sensoren und zwölf HD-Kameras. Das SUV soll angeblich Level 4 beherrschen.

Doch die Lunar Edition ist nur ein Vorbote. Noch im kommenden Jahr, spätestens aber 2024, soll das Fahrzeug in Großserie gehen. Ob der Name Robo-01 erhalten bleibt, dürfte davon abhängen, wie sich die limitierte Variante in der Praxis schlägt. Das Großserienauto soll unter 30.000 Euro kosten, obwohl es, wie Jidu ankündigte, zu 90 Prozent baugleich mit der Lunar Edition sein soll.

Der Vorsprung Baidus beim autonomen Fahren ist kein Wunder. Denn der Konzern darf in ausgewählten Städten bereits Robo-Taxis betreiben. Bis 2025 soll die sogenannte Apollo-Go-Flotte bereits 1000 selbstfahrende Autos umfassen, die in 65 Städten fahren. Bislang konnte Baidu Daten aus 20 Millionen gefahrenen Kilometern sammeln, um damit den Algorithmus zu trainieren. Ziel ist es, in absehbarer Zeit ein Fahrzeug auf Level 5 anbieten zu können.

Das Logo mit der Pfote kennt in China jeder.

(Bild: N509FZ (CC BY-SA 4.0))

Die offene Plattform und der Vorsprung bei dieser Technologie ist auch der Grund, warum eine Mehrheit der Fahrzeuge mit Baidu-Technologie ausgestattet ist. BYD und NIO arbeiten mit dem Techgiganten genauso zusammen wie BMW, Mercedes und Volkswagen. Das Problem daran ist, dass Baidu zwar als eine Art Zulieferer für Software begonnen hat, mittlerweile aber selbst Elektrofahrzeuge anbietet und so zu einem Konkurrenten wurde.

Eine Partnerschaft mit Baidu birgt für westliche Hersteller also ein gewisses Risiko. Neben dem Schutz von Daten und Knowhow gehört dazu auch, dass Baidu der chinesischen Regierung sehr nahesteht. Für die Kommunistische Partei ist das Internet ein Werkzeug, um genehme Nachrichten zu verbreiten und unerwünschte zu zensieren. Baidu beispielsweise zeigt keine Ergebnisse ausländischer Homepages an. Und auch die Ergebnisse von chinesischen Seiten werden zensiert – obwohl deren Inhalte bereits bei Veröffentlichung kontrolliert wurden.

Etwas Bekanntheit im Westen erlangte Baidu, weil mithilfe der sehr offensichtlichen Zensur (ungewollt) die Arbeitslager in Xinjiang aufgedeckt werden konnten. Um Internierungslager, Gefängnisse, aber auch Militärbasen und kritische Infrastruktur zu geheim zu halten, ließ die chinesische Regierung das Kartenmaterial zensieren. Dort, wo entsprechende Einrichtungen sind, tauchten plötzlich leere Kacheln auf. Bei der Auswertung der Situation der Menschenrechte konzentrierten sich Journalisten daher auf die Kacheln und entdeckten 315 Internierungslager.

Mercedes und Baidu unterzeichneten unter anderem 2018 eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit beim Apollo Projekt.

(Bild: Mercedes )

Das Mercator Institute for China Studies (Merics) weist explizit darauf, dass die politische Situation in China zu einem Problem für europäische Autohersteller werden könnte. Als Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine startete und die Sanktionen anliefen, musste Renault sein Russlandgeschäft für einen symbolischen Rubel an Avtovaz verkaufen. Die Franzosen setzten dort stolze 18 Prozent ihrer Neuwagen ab. In China drohe Herstellern ein ähnliches Szenario. Der Umgang Chinas mit Hongkong, Taiwan und der muslimischen Minderheit der Uiguren könnte zu ähnlichen Situationen führen.

(fpi)