Das "Wahlboykott"-Video und die Provokation

Der Vorwurf, das deutsche Video, in dem Prominente angeblich zum Wahlboykott aufrufen, sei nur die schlechte Kopie eines US-Spots aus der Obama-Kampagne, stört die Macher von "Geh nicht hin!" nicht. Mit einem zweiten Video verschaffen sie Aufklärung.

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Von
  • dpa

Natürlich geht Jan Hofer zur Wahl. Weil es mit der Ironie aber immer so eine Sache ist, hat der Tagesschau-Sprecher in der vergangenen Woche viel erklären müssen. Warum er wie viele andere Prominente in einem Videoclip behaupte, er werde am 27. September nicht wählen gehen. Rund 1000 Mails habe er verschicken müssen, um offensichtlich irritierte Freunde und Kollegen zu beruhigen. "Wartet auf Dienstag", hatte Hofer allen geantwortet, dann werde das Ganze aufgeklärt. Erklärung konnte es am Ende sowieso nur eine geben: Natürlich ist Hofers Aufruf zum Wahlboykott ironisch zu verstehen.

Mit der Aktion soll auf Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit in Deutschland aufmerksam gemacht werden. Deshalb versammelten die Informationsplattform politik-digital.de und die Produktionsfirma Probono eine ganze Menge bekannter deutscher Gesichter vor der Kamera. Dass Prominente wie Sandra Maischberger, Detlev Buck oder Anne-Sophie Mutter vor jeder wichtigen Wahl die Werbetrommel rühren, ist nicht neu. Die Aufforderung "Geh nicht hin!" allerdings schon. "Wir wollten provozieren", betonte Stefan Gehrke, Geschäftsführer von politik-digital.de. Provokation, Irritation, Aufmerksamkeit – ein erstes Ziel der Kampagne haben die Macher schon erreicht. Binnen einer Woche hat der Clip die Marke von 100.000 Aufrufen bei YouTube erreicht.

Und die Botschaft? "Geh wählen!", fordern die Promis nun im zweiten Clip. MTV-Moderator Patrice – ebenfalls im Video zu sehen – findet, dies sei von Anfang an klar. Aber es gebe wohl "jede Menge Idioten, die Ironie nicht verstehen". Friedrich Küppersbusch, Geschäftsführer von Probono, meinte: "Wenn wir eine Botschaft haben, dann die: Was immer Sie am 27. September tun, tun Sie es nicht aus Versehen!"

Die Idee zu der Kampagne stammte übrigens – wie sollte es anders sein – aus den USA. Auch dort hatten im vergangenen Herbst Hollywood-Stars und Musiker wie Tom Cruise, Julia Roberts, Justin Timberlake und Snoop Dogg "Don't Vote!" in die von Steven Spielberg geführte Kamera gesagt. Als großer Unterschied – neben wesentlich bekannteren Promis – lieferte der US-Spot aber die Auflösung von Beginn an mit. "Vote!" forderten die Stars am Ende und mobilisierten vor allem junge Nicht-Wähler – die dann Barack Obama zur Präsidentschaft verhalfen.

Der Vorwurf, das deutsche Video sei nur eine (zudem misslungene) Kopie des US-Spots, stört die Macher von "Geh nicht hin!" nicht. Abstreiten wollten sie allerdings nicht, dass sie von der Obama-Kampagne inspiriert wurden. Der Wahlkampf für Obama habe eine Tür aufgeschlagen, und die schreite man jetzt eben auch durch, sagte Küppersbusch. "Und warum sollten wir eine offene Tür noch einmal aufschlagen?"

Jan Hofer hofft, dass auch der zweite Teil die Aufmerksamkeit erfährt wie der erste Spot. Obwohl es kaum mehr offene Fragen und damit wohl auch weniger Gesprächsstoff geben dürfte. Etwas überrascht hätten ihn die Reaktionen auf den ersten Clip schon, gibt Hofer zu. Überrascht, aber wohl kaum geärgert – denn eines ist klar: Ohne Provokation wäre das Interesse an der Kampagne wohl nur halb so groß gewesen. Dementsprechend könnte man unter aufmerksamkeitsökonomischen Gesichtspunkten auch sagen, Hofer und Co. haben alles richtig gemacht.

Zur Bundestagswahl im September 2009 siehe auch:

Zu den Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2009 siehe auch:

(Manuel Schwarz, dpa) / (jk)