Musikbranche will Tauschbörsen-Nutzer in Europa verklagen

Die Musikbranche hat ein hartes Vorgehen gegen die Nutzer illegaler Tauschbörsen im Internet angekündigt -- ob die Majors damit ihr Überleben sichern können, bezweifeln aber einige Branchenbeobachter.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die Musikbranche hat ein hartes Vorgehen gegen die Nutzer illegaler Tauschbörsen im Internet angekündigt. Nach erfolgreichen Klagen in den USA würden die Plattenfirmen im Laufe dieses Jahres auch in Europa Internetsurfer vor Gericht bringen, die massenhaft Musikstücke im Web tauschen, kündigte der Präsident des weltweiten Verbandes der Plattenindustrie (IFPI), Jason Berman, am Montag auf der Musikmesse Midem in Cannes an. "Das sind keine Kunden von uns, die wir mit diesem harten Vorgehen vergraulen -- diese Leute stehlen unsere Musik", sagte er laut dpa.

Berman malte zur Begründung für die Ankündigung juristischer Schritte ein Horrorgemälde des nicht lizenzierten Musiktauschs: Nach einer aktuellen IFPI-Untersuchung hätten im vergangenen Jahr rund sechs Millionen Surfer in P2P-Tauschbörsen wie Kazaa oder Gnutella mehr als acht Milliarden Musiktitel untereinander getauscht -- nach Einschätzung der Musikindustrie stellten dies alles illegale Transaktionen dar; die Branche habe dafür keinen Cent gesehen. Im Verhältnis dazu nähmen sich die Geschäfte mit legalen Musikdownloads bescheiden aus: In den USA seien im zweiten Halbjahr 2003 etwa 19,2 Millionen Tracks über offizielle Musikwebsites verkauft worden -- immerhin sei die Tendenz jedoch steigend.

Europa hinke beim Aufbau legaler Angebote noch stark hinter den USA hinterher -- der von Peter Gabriel gegründete Dienst OD2 verkaufte als einer der größten im Jahr 2003 insgesamt drei Millionen Tracks. Berman räumte ein, insgesamt gebe es zwar schon 30 unterschiedliche legale Angebote in Europa, diese seien aber kaum bekannt. "Gerade einmal 25 Prozent der Menschen in Europa wissen von diesen Angeboten."

Berman sieht erste Erfolge im Kampf gegen die von der Branche als "Online-Musikpiraterie" titulierten P2P-Filesharing-Angebote. Die Klagen gegen US-Nutzer von Tauschbörsen und eine gleichzeitige Aufklärungskampagne, wobei Websurfer in aller Welt in E-Mails über die Illegalität dieser Angebote informiert wurden, hätten Früchte getragen. "Das Angebot von Musikstücken in Tauschbörsen ist im vergangenen Jahr von einer Milliarde auf 800 Millionen gefallen", betonte Berman. Außerdem habe die IFPI-Studie ergeben, dass immerhin zwei Drittel (66 Prozent) der Befragten in vier europäischen Ländern wüssten, dass der unautorisierte Online-Musiktausch illegal ist -- in Deutschland seien es sogar drei Viertel.

Ankündigungen über ein juristisches Vorgehen gegen P2P-User auch in Europa häufen sich in letzter Zeit: Bereits Mitte des vergangenen Jahres hatte der deutsche Sony-Regionalchef Baltasar Schramm erklärt, man werde "erheblich aggressiver" gegen P2P-Nutzer vorgehen und "Auskunftsersuchen bei Internetprovidern zu verdächtigen IP-Adressen stellen, um Anbieter und Konsumenten von illegaler Musik aufzuspüren". Ob das Vorgehen allerdings wirklich erfolgreich ist, bezweifeln einige Branchenbeobachter: Sie befürchten eher, dass die Labels einen weiteren Imageschaden erleiden, nachdem sie in letzter Zeit mit den Rausschmiss oder Weggang einiger Manager und der umstrittenen Produktion von "Superstars" durch Casting-Shows bei vielen Musikliebhabern nicht gerade positiv aufgefallen seien. Vereinzelt wird den Majors bereits sogar der Untergang prophezeit, da sie völlig an den aktuellen Entwicklungen bei Künstlern und Distribution vorbei operierten.

Auch hat die die juristische Offensive gegen Tauschbörsen-Nutzer einige Rückschläge erlitten: So hat beispielsweise das höchste Gericht der Niederlande eine Klage der niederländischen Verwertungsgesellschaft für Wort und Ton abgeschmettert mit der Begründung, die Betreiber der Online-Tauschbörse Kazaa seien nicht für Urheberrechtsverletzungen der Software-Nutzer verantwortlich zu machen. Auch in den USA musste die Branche bereits eine Niederlage vor Gericht einstecken: Internet-Provider sind vorerst nicht zur Herausgabe der Kundendaten von P2P-Nutzern verpflichtet.

Zur Midem und zur Auseinandersetzung um das Vorgehen der Musikindustrie, die Online-Tauschbörsen und die kommerziellen Musikdienste siehe auch: (jk)