Eine Lanze gebrochen für Autofahrer mit Landsitz

Landlust hat vier Räder

Viel haben wir geschrieben über Entwicklungen in den Ballungszentren, in denen wir uns überall fremde Autos organisieren können. Aber zu Recht werfen Landbewohner ein, dass es bei ihnen eben so nicht funktioniert

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Des öfteren habe ich mich zum Sprecher der städtischen Fraktion Fortschritt gemacht, weil ich derzeit in der Stadt wohne. Carsharing. Stadtplanung. Bartmodeberatung. Ich habe jedoch auch lange Zeit auf dem Land gewohnt. Es hat mich deshalb berührt, als sich ein Leser der Technology Review zu Recht einwarf, dass diese ganzen schönen neuen Mobilitätsentwicklungen ihn als Familienvater auf dem Land nicht betreffen. Das stimmt. Deshalb hier einmal die andere Seite der Medaille: Auf dem Land wohnen ohne Auto, meine Erfahrungen mit dieser Vorhölle.

Zuerst: Wie passiert sowas? Natürlich durch Zufall, und durch "ach, das wird schon gehen". Der Landsitz hatte einen großen Vorteil für KFZ-Reisende: Er lag fünf Kilometer von der Autobahnauffahrt, mit nur einmal abbiegen. Selbst in Navi-Zeiten hatte man das schneller erklärt als die Adresse diktiert.

Doch der Bus fuhr natürlich nicht über die Autobahn. Er fuhr über die Landstraße. Er hatte einen strikten Fahrplan, der ihn mit Stress morgens die Rollerschüler auf ihren Fuffzigern bei Gegenverkehr im Kontaktabstand überholen ließ. Morgens fuhr der Bus meistens so, dass man zur Schule kam, nach etwa einer Stunde stehend an Haltestelle und im Bus zwar, aber immerhin. Manchmal kam er gar nicht, wenn zum Beispiel der eine Bus für mehr Geld statt an den Öffi-Betreiber an einen Reiseveranstalter vermietet war und der ältere Ersatzbus mal wieder eine Entzündung der Dieseleinspritzanlage auskurieren musste.

Drive-by Einfacheinsteiging

Einmal warteten wir lange im Schnee mit dem Verdacht auf einen erkälteten Diesel, da kam ein Golf vorbei, der laut fragte: "Soll ich dich mitnehmen?" Bis heute weiß ich nicht, wen er meinte, doch in meinem morgendlichen Tran sagte ich sofort "Ja!" und setzte mich in sein Auto. Während der Fahrt erwachte nach dem Stammhirn langsam das Großhirn, das sich damit beunruhigte, wieso ich in diesem Auto saß, aber letztendlich überwogen die Vorteile: In zwanzig Minuten stand ich vor der Schule, sitzend transportiert mit Radio und der Unterhaltung eines Fahrers, der weiß Gott was dachte.

Tagsüber fuhren vier Busse, am Wochenende drei. Der letzte fuhr abends kurz nach acht. Ausgehen in der Stadt per Öffis war nur möglich, wenn man durchfeierte und den Frühbus erwischte. Und ein "kannst mich fahren?" strapaziert jede Freundschaft stark, wenn es um 20 Kilometer einfach geht. Einige Male bin ich die Strecke tatsächlich gelaufen oder mit dem Fahrrad gefahren, doch meine Begeisterung für solche Aktionen ließ stark nach, als mir in einer mondlosen, bedeckten Nacht mitten im Wald die Kette meines lichtlosen Fahrrads riss. Ich hatte nicht einmal Streichhölzer dabei, denn in meinem jugendlichen Leichtsinn rechnete ich nicht damit, dass mir der Mond einmal nicht leuchten könnte. Das war ein in jeder Hinsicht finsterer Moment.