Digital Markets Act: Wie die EU Weltkonzerne zu europäischen Sonderlocken zwingt

Mit dem Digital Markets Act greift die EU tief ins Business von US-Megakonzernen wie Google ein. Das hat positive Auswirkungen für europäische Produktnutzer.

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Lesezeit: 17 Min.
Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Wir befinden uns im Jahr 2024 n.Chr. Auf dem Globus dürfen wenige US-Digitalkonzerne schalten und walten, wie sie wollen. Auf dem ganzen Globus? Nein! Ein von unbeugsamen Europäern bevölkerter Landstrich hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten.

Die Anführer dieses Kontinents sitzen in Brüssel und verabschieden ein Gesetz nach dem nächsten, um die Konzerne einzuhegen. Am 17. Februar wurde der Digital Services Act (DSA) wirksam, seit dem 7. März gelten nun auch die Regeln von dessen Zwillingsverordnung Digital Markets Act (DMA). Während der DSA die Haftung für Darstellung und Inhalte der Onlineplattformen regelt, nimmt der DMA missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden US-Unternehmen ins Visier.

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Es geht hier keineswegs nur um die Regulierung des Wettbewerbs dieser Dickschiffe untereinander. Auch auf Verbraucher und Geschäftskunden der Anbieter kommen innerhalb der EU eine Menge Änderungen zu. Kleine Verbesserungen sind bereits seit Jahresbeginn zu spüren, und die großen Brocken werfen ihre Schatten voraus. Fest steht schon heute: Der DMA führt dazu, dass viele digitale Produkte in der EU anders aussehen und funktionieren als im Rest der Welt.

c't kompakt
  • Der Digital Markets Act (DMA) wurde am 7. März im Europäischen Wirtschaftsraum wirksam und soll die Marktmacht von US-amerikanischen Digitalkonzernen einhegen.
  • Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft mussten ihre Produkte anpassen. Anwender erhalten mehr Wahlmöglichkeiten.
  • Apple steht in der Kritik, weil der Konzern zwar unter Protest sein hermetisches Ă–kosystem öffnet, aber gleichzeitig hohe HĂĽrden setzt, die einzelne Produkte sogar verschlechtern könnten.

Als proaktives ("ex ante") Kartellrecht betrifft der DMA sogenannte "Torwächter"-Dienste, also Services, die den Wettbewerb in einem Marktsegment dominieren und dem Mitbewerb damit schädliche Bedingungen aufzwingen können. Bei den sozialen Netzwerken beispielsweise hat die dafür zuständige EU-Kommission TikTok, Facebook, Instagram und LinkedIn als Torwächter benannt, bei den Messengern WhatsApp und Facebook Messenger, bei den Betriebssystemen Android, iOS und Windows und bei den Browsern Chrome und Safari. Insgesamt stufte die EU zum DMA-Start 22 Produkte der Konzerne Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft als Torwächter ein.

Gegen diese Benennungen haben einige Konzerne protestiert und Rechtsmittel eingelegt. Wenige Verfahren laufen noch, andere sind entschieden. Am 10. Februar 2024 etwa schmetterte das Gericht der Europäischen Union (EuG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz von ByteDance ab, der verhindern sollte, dass TikTok ab dem 7. März die DMA-Auflagen erfüllen muss. Man befürchte, durch den DMA gezwungen zu werden, seine Geschäftsstrategie offenzulegen, obwohl man gar kein Torwächter sei, argumentierte der chinesische Konzern mit EU-Sitz in Dublin. In der Hauptsache läuft die Klage weiter, genau wie eine ähnliche, die Meta angestoßen hat.

Der DMA nennt konkrete Kriterien, die zu einer Torwächter-Größe führen, "die sich auf den EU-Binnenmarkt auswirkt": Das Unternehmen muss in den letzten drei Geschäftsjahren im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Milliarden Euro erzielt haben oder im letzten Geschäftsjahr einen Marktwert von mehr als 75 Milliarden Euro ausweisen. Außerdem muss es einen "zentralen Plattformdienst" betreiben, der über 45 Millionen monatlich aktive Endnutzer oder mindestens 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU hat.

Letztere Kennzahl zielt auf B2B-Marktplätze ab, auf denen Betreiber Händlern eine Plattform bieten, um ihre Produkte zu Endkunden zu bringen. Darunter fallen die App-Stores für Android und iOS sowie der Marketplace von Amazon, aber auch einige Google-Services wie Shopping, Play und Maps. Selbst Werbeplattformen umfasst der DMA, deshalb schrauben Google, Meta und Amazon derzeit eifrig an den Modalitäten ihrer Werbesysteme, die ja einen großen Teil der Einnahmen generieren.

Der DMA enthält eine Menge Verbote und Pflichten für Torwächter. Diese stehen in Artikel 5, 6 und 7 der Verordnung. Die EU-Kommission weist stets darauf hin, dass diese Liste nicht als abschließend zu verstehen ist, sondern recht kurzfristig geändert werden kann, falls die Marktbeobachtung es nötig macht. Dazu genüge ein sogenannter "delegierter Rechtsakt". Sie muss also nicht die Verordnung selbst aufwendig anpassen und neu in den Gesetzgebungsprozess bringen.

Betroffene Torwächter mussten ihre Produkte in der EU teilweise wesentlich gravierender ändern, als sie es vom DSA schon kennen. Dazu drängten die drakonischen Strafandrohungen der EU, die selbst hart gesottene US-CEOs nicht kaltlassen. Bis zu 20 Prozent des weltweiten Konzern-Jahresumsatzes können fällig werden, wenn ein Torwächter wiederholt gegen das neue Digital-Kartellrecht verstößt. Hinzu kommen mögliche Zwangsgelder; sogar die Anweisung, einzelne Unternehmen aus dem Konzern herauszulösen, steht bei systematischen Zuwiderhandlungen als Strafe im Raum.

Für die Marktbeobachtung und Durchsetzung ist gemäß DMA direkt die EU-Kommission zuständig. Diese organisiert derzeit ein Team, das aus Mitarbeitern der Generaldirektionen CNECT (Communications Networks, Content and Technology) und COMP (Competition) besteht. Ein Sprecher bestätigte c’t, dass man dafür rund 80 Vollzeitstellen bereitstellt, besetzt unter anderem mit "Juristen, Datenwissenschaftlern und Politikreferenten mit Fachwissen in den Bereichen digitale Regulierung, Sicherheitsmaßnahmen und anderer spezifischer Aspekte". Im Folgenden erläutern wir einige wichtige Neuerungen, deren Umsetzung die Konzerne bereits vollzogen oder angekündigt haben.