Elektroauto Mercedes EQE: Was ihn vom größeren EQS unterscheidet

Mercedes macht sich selbst Konkurrenz: Der EQE wirkt wie eine Kleinausgabe des deutlich größeren und teureren EQS. Was unterscheidet die beiden Limousinen?

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Mercedes EQE

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Bei Mercedes ist, wie bei vielen Konkurrenten auch, die Entscheidung längst gefallen: Der Verbrennungsmotor hat keine Zukunft mehr, der batterieelektrische Antrieb soll ihn ersetzen. Noch in diesem Frühjahr wird das inzwischen gar nicht mehr so kleine Angebot an Mercedes-Elektroautos mit dem EQE ergänzt. Dem fällt eine besondere Rolle zu, denn er soll auch jene solvente Kundschaft abholen, die bislang eine E-Klasse gekauft hat. Dabei wird diese nicht etwa eingestellt, der EQE kommt nur ein paar Monate vor der nächsten Generation der E-Klasse auf den Markt. Wir konnten uns schon einen ersten Eindruck vom EQE verschaffen.

Optisch erinnert vor allem im Innenraum vieles an den nochmals größeren EQS. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der EQE ist beileibe kein kleines Auto. Mit einer Länge von rund 4,95 Metern entspricht er dem Format der aktuellen E-Klasse. So ist das Platzangebot zwar etwas weniger üppig als im EQS, doch ein Radstand von rund 3,12 m ermöglicht Verhältnisse, die eine E-Klasse deutlich übertreffen. Durch das Batterie-Paket im Unterboden sitzt man auf allen Plätzen ein wenig höher als erwartet. Enttäuschend für ein derart großes Auto ist allein der Kofferraum, der nur 430 Liter fasst. Schwacher Trost: Die E-Klasse als Plug-in-Hybrid unterbietet den EQE in dieser Hinsicht sogar noch.

Die ersten Bilder zeigen den EQE stets mit dem riesigen Bildschirm, der aus dem EQS (Test) und der S-Klasse schon bekannt ist. Stand heute ist er für die S-Klasse gar nicht, im EQS nur für die Topmodelle zu haben. Selbst wenn die für diesen Umstand verantwortliche Chip-Krise abflauen sollte, bis der EQE auf dem Markt ist: Der Hyperscreen dürfte ein sehr teures Vergnügen werden. Wer sich das nicht gönnen will, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Layout vorgesetzt, wie es jetzt schon in C- und S-Klasse zu sehen ist. Das Armaturenbrett wird dann geprägt von einem Display im Hochformat in der Mitte. Die wenigen Funktionen, die noch eigene Schaltflächen haben, werden über Wischfurchen bedient. Im neuen C 300 hat uns das nicht restlos überzeugt.

Die Batterie bekommt einen Energiegehalt von 90 kWh. Ob das reicht, wird sich zeigen, schließlich dürften E-Klasse-Fahrer überdurchschnittlich häufig Vielfahrer sein. Wer diese Kunden überzeugen will, muss nicht nur eine große Batterie mitbringen. Mindestens ebenso wichtig ist ein hohes Ladetempo. Mercedes nennt eine maximale Ladeleistung von 170 kW – da bieten Autos wie der Audi e-tron GT (Test) heute schon mehr. Doch entscheidend dafür, wie schnell es weitergeht, ist nicht eine beeindruckende Peakleistung, die sich nur für kurze Zeit unter idealen Bedingungen abrufen lässt. Sondern eine hohe Ladeleistung in einem breiten Fenster – sowohl was die Umgebungsvariablen wie auch den Ladestand an sich betrifft. In 15 Minuten soll eine Reichweite von 200 km in der Batterie sein, verspricht Mercedes. Die Reichweite soll bei über 600 km liegen.

Bei der Zellchemie setzt Mercedes im EQE auch NMC811, also ein Verhältnis von 8 Anteilen Nickel und jeweils ein Anteil Kobalt und Mangan. Die Spannungsebene bleibt bei 400 Volt. Den Schritt auf 800 Volt, den unter anderem Volkswagen mit der "Premium Platform Electric" (PPE) und Hyundai vollzogen haben, geht Mercedes aktuell in den Serienmodellen vorerst nicht mit. Perspektivisch sieht das anders aus, wie der Konzern mit der Studie EQXX gezeigt hat: Dort lag die Spannungsebene schon bei 900 Volt. Der Vorteil einer höheren Spannung zeigt sich in der Gleichung:

Leistung (P) = Spannung (U) x Stromstärke (I)

also:

Watt = Volt x Ampere

Bei gleichbleibender Stromstärke kann so die Ladeleistung angehoben werden. Dieser Weg ist schlicht billiger als andersherum: Höhere Stromstärken lassen sich schwerer handhaben als eine Anhebung der Spannung. Spätestens mit der nächsten großen Überarbeitung der Limousinen wird deshalb wohl auch Mercedes in den Serienmodellen nachziehen.

Aufladen von Elektroautos

Die erste Mitfahrt in einem EQE 350 mit Hinterradantrieb zeigt das Bemühen der Verantwortlichen, ihn vom EQS abzugrenzen. Der Neue soll das handlichere Auto sein, das seinen Fahrer nicht ganz so sehr entkoppelt. Das Vorserienmodell war mit Luftfederung und Hinterachslenkung ausgestattet, letztere ließ das mehr als zwei Tonnen schwere Oberklassemodell wendig in Kurven und Kehren erscheinen. Wenig überraschend, ist die Dämmung hervorragend.

Mercedes EQE (7 Bilder)

Gerade vorn ähnelt der Mercedes EQE dem größeren EQS stark.

Der EQE 350 wird mit seinen 215 kW und 530 Nm das vorläufige Einstiegsmodell. Der Wechsel beim Energieträger bedeutet also nicht etwa fahrende Verzichtserklärungen, die der klassischen Klientel auch nicht zu vermitteln wären – so sehr jene, die Autos in diesem Segment ohnehin nicht kaufen, dies auch lautstark einfordern mögen. Vielmehr stellt Mercedes mit EQE 450 und EQE AMG, beide mit einem E-Motor an der Vorderachse, noch mehr Zugkraft in Aussicht. Das schließt ein späteres Modell mit weniger als 200 kW nicht aus, schließlich lässt sich Leistung mit einem E-Motor recht einfach skalieren.

Zumindest vorerst kein Thema im EQE wird das autonome Fahren auf Level 3, wie es das ab diesem Frühjahr in der Luxusklasse geben soll. Mercedes agiert hier vorsichtig statt forsch, und dafür gibt es einen guten Grund. Denn noch kann niemand absehen, wie viele Kunden bereit sind, für ein Assistenzsystem mutmaßlich reichlich Geld auszugeben, dessen Fähigkeiten noch recht übersichtlich sind. Die deutsche Gesetzeslage fasst den Rahmen dessen, was erlaubt ist, ziemlich eng: Vorerst sind nur Geschwindigkeiten bis 60 km/h zulässig, der Fahrer muss jederzeit in der Lage sein, einzugreifen. Dazu übernimmt die KI nicht etwa überall das Steuer, sondern nur in einem Anwendungsfall. Stockender Verkehr auf der Autobahn dürfte den Anfang machen. Sollte das im Luxus-Segment viele überzeugen, kann das mit einiger Wahrscheinlichkeit recht schnell in E-Klasse und EQE angeboten werden.

(mfz)