Missing Link: Das Phantom der Polizei, oder: die Digitalisierung der Phantombilder
Seite 2: Das Phantom in Photoshop
Wohl alle LKAs arbeiten mit Adobe Photoshop. Adobe Bridge CC gibt es als Unterstützung, um die Inhalte – Dateien und Assets – zentral zu verwalten, persönliche Assets und Team-Assets zu organisieren, im Stapel zu bearbeiten, oder Fotos bei Adobe Stock heraufzuladen. Manche LKAs wie etwa Berlin nutzen Photoshop als Grundlage für ein Phantombild, andere wie zum Beispiel das LKA Hessen bearbeiten damit ein Phantombild, das mit einer anderen Software, dort FaceGen, quasi in Kladde erstellt wurde.
Antje Schumacher ist Phantombildzeichnerin beim Berliner LKA. Startbild ist ein 14 Zentimeter langer so genannter "Gesichtskanon", eine Vorgabe für die Proportionen. Sonst ist nichts vorgegeben – außer den Ohren, "denn an die erinnert sich fast kein Zeuge, außer sie sind extrem auffallend", sagt Schumacher.
Zunächst bringt sie einige grundsätzliche Angaben in Erfahrung: Geschlecht, Alter, Größe, Statur, Nationalität, Hautfarbe, Augenfarbe, Besonderheiten wie Tätowierungen oder Narben, Bekleidung (Oberteil, Kopfbedeckung, Brille). Auf dieser Basis beginnt sie das Phantombild an ihrem Bildschirm. Mit Tastatur und Maus holt sie passende Gesichtsteile aus der Datenbank, und mit einem Tablet-Stift zeichnet sie direkt an einem Wacom Grafik-Tablett, was der Zeuge ihr beschreibt. Vor dem Zeugen steht ein eigener Bildschirm, an dem er mitverfolgen kann, was sie erschafft.
"Wir arbeiten mit Adobe Photoshop und der VerknĂĽpfung Bridge", sagt Frau Schumacher. "Das ist in Prinzip der Explorer. Dort sind einzelne Gesichts-Elemente hinterlegt. Das LKA Brandenburg etwa hat eine ganze Bibliothek erstellt."
Was man leicht vergisst, sind Flächen. War die Haut rein oder picklig? Hell oder dunkel? "Hautflächen" beinhalten Augenflächen, diese wiederum Augenfalten und Schatten, Lid, Wimpern, es gibt Wangenflächen, Halsflächen, Kinnflächen, Mundflächen, Stirnflächen, und natürlich immer Hautbesonderheiten wie Narben, Pickel oder Sommersprossen ... Alles machbar.
Photoshop bietet eine Reihe von Werkzeugen. Wenn ein Zeuge über den Täter sagt, "der war ja ganz nett", dann zieht sie mit dem Verflüssiger etwa Mundwinkel hoch, so dass der Täter lächelt. Und wenn aus den über 190 Frisuren keine die beschriebenen Geheimratsecken hat, wählt sie die ähnlichste Frisur und schiebt Haare an den Schläfen hoch, so dass Geheimratsecken entstehen. Mit der Transformationssteuerung transformiert sie die eingefügten Elemente, macht sie breiter oder schmaler, größer oder kleiner. Sie kann auch ein Raster auflegen und einzelne Punkte verschieben. Mit dem Wischfinger gibt sie Falten einen Schatten.
Haarige Angelegenheit
Haare und Bärte können eine echte Herausforderung darstellen, "Haar sind unglaublich schwer zu zeichnen", sagt Frau Schumacher, "da muss man auch wissen, wie ein Bart überhaupt wächst. Früher wurde jeder Punkt einzeln gezeichnet, jetzt besteht der Strich selbst auf dem Tablett aus einer Reihe einzelner Stoppeln". Es gibt verschiedene Pinsel, wie etwa eine Art digitalisierter weicher Bleistift: Wenn man mehrmals malt, wird die Fläche dichter und dunkler. Andere Stifte lassen eine Linie aus lauter Bartstoppeln entstehen, nach Wunsch Zwei- oder Viertagebärte. Sie verstellt die Bildauflösung von 1654 × 2283 Pixeln bei normaler Bildbearbeitung auf 5000 × 6900, wenn sie sehr feine Striche zeichnen will.
Manches wirkt auch erst einmal unwahrscheinlich, sagt sie: "Manchmal beschreiben uns die Zeugen jemanden, und man denkt, das kann gar nicht sein. Aber der Zeuge entscheidet. Es gibt ja auch keine exakte Norm von Gesichtern."
In ihrem Büro liegt ein großes Foto mit Hinweisen auf die Gesicht-Alterung. Salopp gesagt: Die Schwerkraft wirkt. Alles rutscht. Das Oberlid sackt, vielleicht entsteht ein Schlupflid, das Auge wird kleiner. Das Unterlid rutscht auch, Tränensäcke oder Falten bilden sich. Der Mund wirft Falten, und ... Was rutscht in welchem Lebensjahrzehnt wie weit nach unten? Wenn Menschen verschwinden, will man zum Beispiel nach zehn Jahren ihre Gesichter so darstellen, wie sie dann aussehen könnten. Vor allem bei der Suche nach verschwundenen Kindern soll dies helfen.
Oft gehört nicht nur das Gesicht zum Bild, sondern man braucht auch Accessoires, bei den Kopfbedeckungen etwa Basecap, Hut, Mütze, Sonstiges. Da sich gelegentlich falsche Polizisten herumtreiben, findet man auch eine Polizeimütze. Wenn noch nichts Passendes vorhanden ist, findet sie etwas im Internet und speichert es in ihrer Datenbank. Zunächst entsteht noch keine Datei, sondern unterschiedliche Ebenen, die übereinander liegen, und die sie einzeln bearbeiten oder verschieben kann. Dabei achtet sie auf eine logische Reihenfolge, die Ebene mit der Frisur muss über derjenigen mit dem Kopf liegen, nicht darunter. Wenn sie die Ebenen nicht mehr einzeln bearbeiten muss, fasst sie diese zu einer einzigen Datei zusammen.
2000 Augenpartien
Auch Joachim Wendt, der Phantombildersteller im LKA Schleswig-Holstein, arbeitet mit einem Wacom-Tablett und nutzt Photoshop und Bridge als Grundlage. Er speichert Vorlagen in den Ordnern, die er immer wieder ändern kann. Das summiert sich, beispielsweise hat er inzwischen mehr als 2000 unterschiedliche Augenpartien. "Ich war selber überrascht, die guckt man sich mit keinem Menschen alle an. Vorher redet man man miteinander. Ich habe auch viele Nasen und Ohren, aber da habe ich mir das Zählen erspart." Einige Phantombildzeichner verwenden oft Photomontagen, "ich mache das inzwischen weniger, ich bin eher der Zeichner". Auch wenn er das Bild einer Jacke im Internet recherchiert, zeichnet er so lange daran herum, bis sie passt.
Über Photoshop hinaus nutzt er manchmal FaceGen: "Nur, um zu verstehen, welche Perspektive mein Besucher hatte. Zum Beispiel eine Sicht von schräg hinten, da verrutschen die Frisur oder das Tattoo." Wenn das getan ist, arbeitet er in Photoshop weiter. Neben Photoshop und FaceGen setzt er Dummies ein, "nicht so exzessiv, weil die immer gleich komplette Köpfe zeigen, und ich bin eher formen-orientiert." Und falls seine Anlage streikt, zeichnet er auf Papier.
Die zwei Phantombildzeichnerinnen des Bayerischen LKA fertigen etwa 15 bis 25 Phantombilder pro Jahr für verschiedene Dienststellen mit Photoshop an. "Es bietet alle Möglichkeiten, um das Täterbild so darzustellen, dass der Zeuge alle seine noch vorhandenen Erinnerungen einbringen kann." In einigen Fällen arbeitet das LKA auch mit fotorealistischen Dummie-Bildern, sogenannten Photo-Composings. "Diese kommen für Wiedererkennungszeugen in Frage, da diese mit der freien Beschreiben aus dem Gedächtnis oft größere Schwierigkeiten haben." Die Datenbank enthält unterschiedliche Bilder von je ungefähr 960 Augenpaaren, 330 Nasen und 350 Mündern.
Die Phantombildzeichner des LKA Nordrhein-Westfalen arbeiten mit Photoshop und der Datenbank Photoshop Bridge. "Mit der Bridge verwalten wir unsere ca. 4000 Grundbilder." Zunächst würden Geschlecht, Alter und Ethnie geklärt, dementsprechend etwa 150 bis 200 Grundbilder ausgesucht. Von diesen "lässt sich der Zeuge in einer ersten Phase inspirieren und sucht die Gesichter heraus, die in bestimmten Bereichen wie Blick, Kopfform und Frisur eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen", heißt es beim LKA. "Der Zeuge braucht also nicht aktiv zu beschreiben, sondern erst mal nur passiv zu erkennen. Aus diesen Bildern wird dann in einer zweiten Phase mit Photoshop das Bild erstellt, nach dem Prinzip "Try and Error". Man kann unsere Arbeit also in eine Inspirationsphase und eine Experimentierphase unterteilen."