Missing Link: Das Phantom der Polizei, oder: die Digitalisierung der Phantombilder

Seite 3: Software für Phantombilder

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Viele LKAs arbeiten mit FaceGen in der Version Modeller, einer Software, die animierbare 3D-Gesichter und -Köpfe generiert. Die 3D-Modelle und Texturen kann man über verschiedene Vorgaben wie Herkunft, Alter oder Geschlecht anpassen. Mit einem Schieberegler lassen sich Alter, Geschlecht (sehr männlich, männlich, weiblich, sehr weiblich), Karikatur (nein, typisch, Karikatur, Monster), Asymmetrie (nein, typisch, asymmetrisch, Monster) und so weiter variieren. Die Modelle kann man dann in andere Formate übertragen, um etwa in Photoshop eine Frisur hinzuzufügen.

"Im LKA Niedersachsen arbeiten zwei Polizeizeichner, die im Auftrag der ermittelnden (Flächen-) Dienststellen nahezu täglich in ganz Niedersachsen unterwegs sind und als Serviceleistung des LKA vor Ort mit Hilfe der Zeugen oder Opfer ein Phantombild erstellen", heißt es beim LKA. "Die Vorgehensweisen bzw. Methoden und Grundlagen bei der Erstellung werden jeweils fallspezifisch abgestimmt – es handelt sich bei den Inhalten jedoch leider zum überwiegenden Teil um Polizeiinterna, auf die wir nicht näher eingehen können."

Liane Bellmann ist die einzige hauptamtliche Phantombildzeichnerin im Hessischen LKA. Sie ist, ebenso wie Antje Schumacher, keine Polizeibeamtin, sondern Angestellte. Das führt mit sich, dass sie keine Vernehmungen durchführen darf, sondern nur Befragungen zur Sache beim Phantombild. Sie arbeitet mit FaceGen, "ein wunderbares Medium", sagt sie, "man kann die Zeugen fast photorealistisch abholen, aber sie wissen auch, dass es nur ein Modellkopf ist und nichts mit dem zu tun hat, was sie gesehen haben."

Innerhalb von "fünf bis zehn Minuten, das geht schnell" hat sie den Kopf erstellt, mit Form, Breite, und den groben Gesichtszügen. Wenn sie damit fertig und der Zeuge mit diesem Teil zufrieden ist, wechselt sie zu Photoshop und arbeitet sich von oben nach unten durch: Haare, Stirnhöhe, Augenbrauen, Augen, Nase, Mund ...

Am Schluss überprüft sie mit dem Zeugen noch einmal die Kopfform, "wenn der Mund zum Beispiel breiter ist, dann wirkt der Kopf schmaler", so etwas passt sie dann an. "Wir sind extrem interessiert daran, dass der Zeuge es so leicht wie möglich hat", sagt sie, "denn der Zeuge ist der Schlüssel zum Bild. Da ist FaceGen toll."

Bei Facette Face Design System handelt es sich um ein explizites Phantombildprogramm, für das Phantombildzeichner und Kriminaltechniker zusammengearbeitet haben. Nach Angaben des Herstellers indenti.net Internet + Software Services im österreichischen Hard wurde es erstmals 1986 vorgestellt, erster Anwender war die Guardia Civil im Madrid, drei Jahre später schloss sich das Bayerische LKA an. Die aktuellste Version 8.6.5 ist seit 2017 auf dem Markt und hat eine Schnittstelle zu Photoshop.

In Sachsen-Anhalt erstellen 16 Mitarbeiter jedes Jahr etwa 120 Phantombilder, eine Mitarbeiterin im LKA, 15 in den Polizeidirektionen; das ist nicht ihre einzige Aufgabe. Sie nutzen Facette und als weiteres Hilfsmittel Adobe Photoshop CC; Dummies aus unterschiedlichen Bildern dagegen nicht. Die eingesetzte Software bietet rund 2300 verschiedene Merkmale.

In Thüringen erstellen zwei Mitarbeiter Phantombilder, im Jahr 2014 waren es 38 Bilder, 2015 erstellten sie 52, 2016 dann 46. Sie nutzen Facette, ergänzend Photoshop. "Es werden 14 Hauptmerkmale verwendet (Gesichtsform, Haare, Augenbrauen, Augen, Nase, Ohren, Mund, Vollmasken, Teilmasken, Kopfbedeckung, Bekleidung, Brille, Bart und Schmuck/Accessoires). Zu jeder Hauptmerkmalsgruppe existiert eine bestimmte Anzahl an Varianten, z.B. Haare (1647); Augen (822) etc. Durch den Anwender kann die Datenbank individuell bearbeitet (erweitert/gelöscht) werden", erklärt das LKA.

Auch I.S.I.S. - Phantom (Interaktives System zur Identifizierung von Straftätern) ist ein spezielles Phantombildprogramm. Das BKA hat es 1994 vorgestellt. Das Bilderstellungs- und -bearbeitungssystem nutzt gescannte oder video-digitalisierte Fotos zur Erstellung von Phantombildern. Das digitale Bildarchiv enthält Gesichter unterschiedlicher ethnischer Gruppierungen, die mit klassifizierenden Merkmalen wie Haarfarbe, Nasengröße, Augenform etc. beschrieben sind.

Damit wird zunächst ein Basisbild ausgesucht, das ungefähr den Zeugenaussagen entspricht. Danach wird das Bild so verändert, wie der Zeuge es angibt, die Nase breiter oder schmaler, die Augen größer oder kleiner, und so weiter. Schließlich wählt man Bärte, Brillen oder Kopfbedeckungen aus und fügt sie in das Gesamtbild ein.

Bildarchiv und Beschreibungskriterien können erweitert werden. Darüber hinaus kann I.S.I.S. mit einer Täter-Lichtbilddatei kombiniert werden. I.S.I.S wurde früher vom BKA und von der Polizei Baden-Württemberg genutzt, heutzutage gilt es als veraltet.

Phantom Element System (PHES)) stellt ein weiteres spezielles Phantombildprogramm dar. Es wurde im Jahr 2003 im Hamburger LKA entwickelt. PHES arbeitet elementbasiert und fotorealistisch, mit Dummies, deren Bildelemente einzeln gespeichert wurden und per Montage zusammengefügt werden. Angewendet wird es mit Adobe Photoshop.

In Bremen fertigen drei Mitarbeiter etwa 10 bis 15 Phantombilder pro Jahr mit PHES an. "Hier werden ausgeschnittene Gesichtsteile aus erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu einem Phantombild zusammengefügt. Die Merkmale werden entsprechend den Aussagen des Zeugen im Erstellungsverlauf angepasst", erklärt das LKA. Weitere Merkmale würden dazugezeichnet oder aus dem Internet hinzugefügt. Es gibt laut Pressestelle etwa 50 bis 150 Varianten pro Merkmal.

Dummies heißen zwar oft "Foto-Dummies", es handelt sich aber nicht um echte Fotos, sondern um Montagen von Bildern von vier Menschen, jeweils Kopf, Augen, Nase, Mund. Die Arbeitsweise mit Dummies ist unterschiedlich, normalerweise werden sie dem Zeugen vorgelegt und die einzelnen Gesichtspartien seinen Angaben entsprechend ausgewechselt und bearbeitet.

In Baden-Württemberg dagegen fertigen 40 Phantombildzeichner (je zwei bis vier in den 12 Polizeipräsidien) jedes Jahr 300 bis 400 Bilder an. Sie nutzen Dummies: "Psychologische Studien besagen, man könne ein Gesichtsteil besser wiedererkennen, wenn man es im Zusammenspiel mit den anderen Gesichtsteilen sieht." Die Dateien sind separat mit Stichworten versehen und so über Adobe Bridge recherchierbar. Bis vor etwa zehn Jahren wurde I.S.I.S. eingesetzt, inzwischen aber von Photoshop und Bridge abgelöst.

In Sachsen fertigen 40 Phantombildersteller ungefähr 500 Bilder pro Jahr. Sie zeichnen mit der Hand oder kombinieren verschiedene Programme. Zunächst wählen sie Einzelkomponenten aus eigenen Bilddatenbanken aus, und zwar Dummies oder FaceGen, die bearbeiten sie dann mit Photoshop. Ihnen stehen ungefähr 6000 Einzelkomponenten (Nasen, Ohren, Frisuren …) zur Verfügung.

In Brandenburg fertigen drei ausgebildete Polizeivollzugsbeamte, die nur Phantombilder (und Sachfahndungsskizzen) erstellen, jedes Jahr ungefähr 300 Bilder. Sie nutzen Photoshop, selten auch FaceGen, außerdem Dummies wie in Baden-Württemberg, eigene handgezeichnete Elemente und Einzelelemente auf Fotobasis, die mit dem Zeugen bei der Erstellung verändert werden.