Missing Link: Das Phantom der Polizei, oder: die Digitalisierung der Phantombilder

Seite 6: Berufsbild Phantombildersteller

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Polizeiarbeit ist Ländersache, und im bundesdeutschen Föderalismus unterscheiden sich die Polizeibehörden sogar darin, wer wie Phantombildersteller wird. In Berlin und Hessen etwa sind es Angestellte, anderswo Polizeibeamte. Meist haben Stadtstaaten und kleine Länder wie Hessen und Schleswig-Holstein eher einen Phantombildersteller, und wenn es doch mehrere sind wie in Berlin (derzeit sieben), dann erfüllen diese auch andere Aufgaben. Die großen Flächenländer dagegen beschäftigen im allgemeinen mehrere Phantombildersteller, die vielleicht auch den einzelnen Polizeidirektionen angehören.

Unterschiedlich ist auch, was wann wo und wie gelernt wird. "Es gibt in dem Bereich des Polizeizeichners nicht DIE Ausbildung", meint man beim LKA Niedersachsen. "Eine für alle Bundesländer einheitliche und standardisierte Ausbildung für Phantombildzeichner ist nicht existent", ergänzt das LKA Thüringen. Kurz: Phantombildzeichner ist kein Beruf wie etwa Zahnarzt, Anwalt, Pfarrer oder Dachdecker. Es gibt keinen vorgeschriebenen Ausbildungsgang mit abschließenden und berufsqualifizierenden Prüfungen.

Vor allem wird ganz unterschiedlich gehandhabt, wer und nach welcher Ausbildung dies tut. Die meisten dürften eine Kombination mehrerer Ausbildungswege absolviert haben, je nach der Organisation und den Möglichkeiten ihrer Behörde sowie den genutzten Methoden und Programmen, in deren Gebrauch sie ausgebildet werden mussten.

Wohl alle Phantombildersteller sollten eine gewisse Begabung fürs Zeichnen haben. Joachim Wendt hat sogar bei einem Kunstmaler gelernt. Einige seiner Kollegen haben Lehrgänge in den USA besucht, beim FBI an seiner Akademie in Quantico/Virginia, beim National Center for Missing and Exloited Children (NCMEC) mit Kursen in Tampa/Florida, oder bei beiden Institutionen. In Deutschland sind sie als Multiplikatoren tätig und geben weiter, was sie gelernt haben.

Liane Bellmann vom LKA Hessen unterrichtet heute selbst Polizeistudenten. In ihren Kursen sensibilisiert sie die angehenden Phantombildzeichner dafür, wie schwierig der Job eines Zeugen ist. "Es ist wichtig, dass die Schüler ein Gespür dafür bekommen, wie schwierig es ist, sich an jemand zu erinnern." Außerdem üben die Studenten ihre spätere Rolle: Wenn sie jemand vernehmen, dürfen sie keine Suggestivfragen stellen.

Auch Bellmanns Kollege Rainer Wortmann vom LKA Baden-Württemberg hat in den USA gelernt. Zusammen mit der Psychologin Heike Mendelin, die mit einer Arbeit zum Thema Phantombilder promoviert wurde, hat er das gerade erschienene Buch "Phantombilder" geschrieben. In seinem Bundesland ist der Kriminalhauptkommissar Fachkoordinator für Phantombilder. "Baden-Württemberg ist derzeit fast das einzige Land weltweit, welches eine Ausbildung zum Phantombildersteller anbietet", sagt er, Teilnehmer seien auch Besucher aus anderen Bundesländern sowie aus dem Ausland wie etwa den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz und Kroatien.

Andere Bundesländer bieten innerpolizeiliche Lehrgänge an. Spezialkurse wie etwa Handzeichnen, Photoshop, Face Gen, Proportionslehre, Gesichtsrekonstruktion, Aging etc. auch für Phantombildersteller aus anderen Bundesländern gibt es in Niedersachsen, Sachsen, Hessen, Niedersachsen, und Sachsen-Anhalt – an der dortigen Fachhochschule der Polizei wurde im Jahr 2012 sogar ein Spezialworkshop "Aging" in englischer Sprache mit einem Mitarbeiter des NCMEC als Dozent durchgeführt.

Die "Branche" ist klein, jeder kennt jeden. Alle zwei Jahre finden bundesweite Fachtagungen mit ungefähr 30 bis 50 Teilnehmern statt. An diesen nehmen je nach Bundesland die Phantombildzeichner teil, oder, etwa im Falle von Sachsen-Anhalt, der Fachkoordinator als Multiplikator. Die letzte Tagung fand im Mai 2017 in Hamburg statt.