Missing Link: Das Phantom der Polizei, oder: die Digitalisierung der Phantombilder

Seite 4: Die Zeugen

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Für ein Phantombild muss ein Zeuge etwa eineinhalb bis drei Stunden veranschlagen. Gelegentlich wird ihm außerdem eine Täterdatenbank gezeigt, in der er vielleicht den Gesuchten wiedererkennt. Dies sollte in jedem Falle, da sind sich alle Phantombildersteller einig, erst nach der Arbeit am Phantombild geschehen: Sonst können die Erinnerungen an den Täter durch Erinnerungen an irgendwelche Täter aus der Kartei verändert werden: "Visual overshadowing effect", erklärt Rainer Wortmann vom LKA Baden-Württemberg, "schwache Sinneseindrücke werden durch starke überlagert. Womöglich entsteht ein Phantombild dann nicht des Täters, sondern eines Bildes oder Teile davon aus der Datenbank." Ähnlich das LKA Sachsen: "Aus vorliegenden Erfahrungen ist eine der Phantombilderstellung vorgelagerte Bildvorlage zu vermeiden. Die vorhandenen Informationen könnten so teilweise erheblich verfälscht werden."

Wer von der Polizei eingeladen wird, bei einem Phantombild zu helfen, der hat es nicht gerade leicht: Erstens ist er vielleicht Zeuge eines Überfalls geworden oder wurde gar selbst überfallen, er ist erschreckt oder traumatisiert. Dann wird er an die Situation erinnert und muss sich auf ein Gesicht konzentrieren, das er vielleicht fürchtet oder verabscheut. Außerdem stellt die Polizei für die meisten Menschen eine Behörde dar, der man mit Respekt gegenübertritt – manch ein Zeuge wünscht sich keine Autorität, sondern Zuspruch und Trost. Das erschwert die Arbeit.

Joachim Wendt vom LKA Schleswig-Holstein hat sein Büro sehr ungewöhnlich eingerichtet. Während die meisten Kollegen auf 12 Quadratmetern arbeiten, stehen ihm 36 Quadratmeter zur Verfügung.´"Ich habe eine Staffelei, eine Sitzecke, verschiedene Vitrinen, Schränke: alles mögliche, was aber persönlich aussieht. Ich arbeite in einem Zimmer, das nicht kühl wirkt", sagt er. Da Schleswig-Holstein nicht besonders groß ist und das LKA in Kiel einigermaßen zentral liegt, kann er ungefähr 90 Prozent der "Besucher" in seinem Büro empfangen. Zu den anderen, etwa Menschen im Krankenhaus oder jungen Eltern, kann er samt seiner Technik hin fahren.

Brandenburg ist größer, darum werden mit den Zeugen werden "Termine zur Phantombilderstellung vor Ort, zu Hause oder auf der jeweiligen Polizeidienststelle vereinbart." Wenn die Zeugen in der Nähe des LKA sind, entsteht das Bild dort. Beim Phantombild mitzuarbeiten, sei "gut für Opfer und Zeugen", sagt Rainer Wortmann vom LKA Baden-Württemberg, "wenn jemand ein traumatisches Erlebnis hatte, dann ist er oft erleichtert, weil er sich das Gesicht nicht mehr merken muss."

Der Gesichtsausdruck verändert die Erinnerung und die Beschreibung fürs Phantombild

(Bild: Ryan McGuire, gemeinfrei )

Ähnlich das LKA Nordrhein-Westfalen: "Bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Zeugen versuchen wir den Umstand, dass wir Respektsperson einer Landesoberbehörde der Polizei NRW sind, möglichst in den Hintergrund zu rücken.". "Die Erstellung von Fahndungsbildern ist zu 10% Technik und zu 90% Kommunikation." Auch wichtig: "Der Zeuge soll nicht den Eindruck haben, die Polizei erwartet ein Ergebnis." Es komme vor, wenn auch selten, dass es nicht klappt. Dann werde abgebrochen. Meist aber funktioniere es: "Während einer Sitzung kann es schon mal (gegen Ende) vorkommen, dass ein Opfer sehr emotional reagiert und weint. Für uns kann dies ein Zeichen sein, dass eine gewisse Ähnlichkeit bereits erreicht ist." Die Phantombildzeichner gehören zum LKA und treffen sich mit den Zeugen in einer günstig gelegenen Polizeidienststelle.

Auch der ganz sachliche Akt des Erinnerns ist nicht einfach. "Wir verwenden beim Phantombilderstellen das so genannte kognitive Interview als Vernehmungstechnik, das wir etwas für unsere Bedürfnisse modifiziert haben", sagt Rainer Wortmann. "Grundlage sind die Erkenntnisse über die Gehirnfunktion, wann und wie Gesichter gespeichert werden, und wie wir sie durch Vernehmungstechnik abrufen können." Der Zeuge ist der Experte: "Wir fragen den Zeugen, was passt, was passt weniger? Wir fragen detailliert, wo sind Sie sicher, wo weniger."

Antje Schumacher vom LKA Berlin: Wenn ein Zeuge ankommt, müsse man ein Gespräch erst einmal aufbauen, sagt sie: "Manche haben Angst, einige sind Opfer." Es gibt aber auch schöne Momente: "Die besten Zeugen sind eigentlich Kinder – haben Sie schon mal mit einem Kind Memory gespielt? Da verliert man grundsätzlich! Kinder haben eine ganz andere Wahrnehmung für Details, die sind super. Das macht Spaß! Andererseits kommt das sehr selten vor – zum Glück, muss man sagen."