Missing Link: Service Provider, Internet und Politik – eine langsame Annäherung

Seite 2: Getränkeautomat in USA von München aus überwacht

Inhaltsverzeichnis

Was kam zuerst, die Gründung von SpaceNet oder muc.de?

Von Bomhard: Ich habe mich seit den 80er Jahren mit Internet beschäftigt. TCP/IP und die Vernetzung von Rechnern fand ich rasend spannend. Unter anderem habe ich bei einem großen deutschen Telekommunikationsunternehmen, das damals noch eine Behörde war, jede Menge Schulungen zu dem Thema gegeben. Heute könnte ich mich fragen, ob ich da Nattern großgezogen habe (lacht). 1992 war ich in den USA und habe mich, ohne eingeschrieben zu sein, an der Carnegie-Mellon-Universität herumgetrieben. Ich habe da wahnsinnig interessante Gespräche mit coolen Leuten geführt und auch am Computer gezockt. Einer meiner Gegenspieler saß dabei in Berkeley. Bloß, das habe ich erst gar nicht geschnallt und das hat mich sehr fasziniert. Das zweite Schlüsselerlebnis lieferte ein Cola-Automat an der Carnegie Mellon. Der stand im minus-siebten Stock und wenn man von der Raucherebene im 14. Stock dahin wollte, war das ein langer Weg. Wenn man ankam und keine Cola mehr da war, war das ziemlich deprimierend. Ein Student hat daraufhin eine Sun geschlachtet, immerhin Hardware, für die ich zu dem Zeitpunkt gemordet hätte, und hat die in den Automaten eingebaut mit Sensoren, so dass sie mitteilen konnte, wie viele Cola-Dosen noch drin sind. Über eine ewig lange URL konnte man das abfragen und was mich leicht umgehauen hat war, dass das auch noch von München aus über das Leibniz-Rechenzentrum ging. Einerseits war das total sinnlos, andererseits hat es mir gezeigt, welche Power in einer weltweiten Vernetzung stecken könnte.

Und zurück in München haben Sie dann muc.de gegründet?

Von Bomhard: Erst einmal wurde ich Mitglied der GUUG, der German Unix User Group. Aus meiner Sicht ist das eine der Internet-Pionier-Organisationen in Deutschland. Jedes GUUG-Mitglied konnte sich auf dem GUUG Rechner einen Account geben lassen. Der wurde damals von der Elektrotechnik an der Uni München versorgt, keineswegs von den Informatikern. Allerdings ließ die Quality of Service natürlich ein bisschen zu wünschen übrig. Denn das waren von Studenten gepflegte Accounts und wenn da mal etwas nicht ging, dann ging es eben nicht. Außerdem war die kommerzielle Nutzung natürlich untersagt. Ich habe mir dann überlegt, was man eigentlich tun muss, um Privatleute, also Menschen, die nicht über die GUUG kommen, die auch keinen LRZ-Background haben, mit Netzzugang zu versorgen. So ist die Idee mit muc.de entstanden.

Die Liste der muc-User heute sieht ziemlich klein aus.

Von Bomhard: Muc im eigentlichen Sinn gibt es natürlich heute nicht mehr. Der Verein, mit vollem Namen übrigens „MUC.de Verein zur Förderung privat betriebener Datenkommunikation e.V.“, wurde aufgelöst, genauso wie der Dachverband Individual Network e.V.. Klar, was gibt es denn da noch zu fördern. Als Maildomain war muc.de noch eine Weile interessant, eine Attraktion blieb zeitweise noch, dass man auf dem Server eigene Webseiten basteln konnte. Aber das kann heute jeder überall.

Und wie viele Privatleute haben das genutzt?

Von Bomhard: Der Verein selbst hatte sieben Gründungsmitglieder, eine Handvoll Leute kam später dazu. Verpflichtung war, sich an der Administration zu beteiligen und sich um User zu kümmern. Unser Rekord war an die 1000 Nutzer 1994. Anfangs kamen die Anmeldungen Waschkörbe-weise herein. Ende 1993 kam dann die Initialzündung für die SpaceNet. Auf der Systems hatte mich jemand gefragt, wie er an eine preiswerte Leitung von München nach Berlin kommt. Denn die Post bot zwar DatexP-Leitungen an, die waren aber irre teuer, weil sie auf der Grundlage eines geteilten Deutschlands berechnet waren. Wer 1988 einen der üblichen Zehnjahresverträge abgeschlossen hatte, musste 1993 immer noch so bezahlen, als ob das durch den eisernen Vorhang gehen müsste. Ich habe dann einen Menschen von einer lustigen Firma kennengelernt. Die hieß SpaceLine, und damit enthüllt sich das Mysteriums meines Firmennamens. SpaceLine hat einzelne Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zur Verfügung gestellt und die Aufgabe für SpaceNet war es dann praktisch, daraus einen Teil des Internets zu bauen.

Gab es Kunden?

Von Bomhard: Ja. Wir haben ein bisschen geworben, eine Minianzeige bei der iX hat eigentlich schon ausgereicht gereicht. heise war ja damals das Zentralorgan der technisch Interessierten. Wir haben Hunderte von Anfragen bekommen. Alle wollten ihre Standleitungen gerne durch unsere Satellitenleitung ersetzen. Als Thyssen-Tochter hatte SpaceLine Zugriff auf eine Riesenschüssel seines Mutterkonzerns in Düsseldorf. Die haben wir dann per Standleitung ans Eunet gehängt und dadurch bekam jeder, der von uns eine Standleitung gekauft hat, automatisch auch einen Internetzugang. Die Standleitung war ja quasi virtuell, sie ging rauf zum Satellit, runter zum Hub, rauf zum Satellit und runter zum Ziel. Weil der Hub in der Mitte am Internet hing, konnte man dort die Pakete abzweigen, die woanders hin mussten. Super Idee, haben wir gleich Produkte draus gemacht. Aber wir waren etwas blauäugig, wir haben drei Stunden Reaktionszeit in ganz Europa garantiert – und das hat uns keiner geglaubt. Natürlich hatten wir das, wir haben auch entsprechende Service-Verträge geschlossen. Aber der Vertrieb war schwierig, und die Investitionen waren damals nicht von Pappe. Für einen Fünfjahresvertrag zur Verbindung von zwei Standorten war schon eine siebenstellige Summe fällig, und nochmal eine halbe Million für jede weitere Filiale. Immer mehr Leute haben bei uns anklopft und gefragt, ob sie nicht einfach bloß das Gimmick in der Mitte beziehen könnten, also den Internetzugang. Nach ein paar Monaten habe ich entschieden, dass wir das Geschäft mit den Standleitungen einstampfen und stattdessen einfach mal Internet liefern.