Missing Link: Service Provider, Internet und Politik – eine langsame Annäherung

Seite 8: Die Politik hat dazugelernt

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Hat die Politik in Deutschland dazugelernt?

Von Bomhard: Ja. Die Politik hat schon mal gelernt, dass es hier etwas gibt, was man nicht ignorieren und vor allem nicht verbieten kann; dass man teilnehmen muss, um nicht abgehängt zu werden. Aber was hat man noch gelernt? Ich weiß immer noch nicht, was die Schlüsselpolitik in Deutschland ist. Ich bin ja paranoid genug, meinen selbst generierten TLS-Key zu verwenden. Damit schocke ich erst einmal viele Leute, weil ich damit als nicht vertrauenswürdig erscheine. Sobald ich es erklärt und sie meine CA eingetragen haben, bin ich wieder so was von vertrauenswürdig. Zu meinen Schlüsseln gibt es keine Zweitschlüssel. Übrigens frage ich mich schon seit geraumer Zeit, ob im Vergleich mit unseren Nachbarn relative Zurückhaltung der deutschen Politik bei Nachschlüssel-Forderungen auch an der Struktur unseres Schlüsselmarkts liegt. Nur jeder zehnte Schlüssel bei uns ist nicht vom ehemaligen Staatsunternehmen. Eine Marktöffnung wäre da doch eigentlich schön.

Alles für die innere Sicherheit?

Von Bomhard: Ja, und leider ist es ein schreckliches Naturgesetz, dass der Staat immer eher mehr will als weniger. Immer, wenn durch das Internet etwas einfacher wird, möchte der Staat das nutzen, um mehr Kontrolle auszuüben. Die Verpflichtung zur elektronischen Buchführung bedeutet auf einmal auch, das jeder eine Schnittstelle liefern muss, über die der Staat ganz bequem elektronisch alles auslesen kann. Ja, wo sammer denn? Die Neuland-Ausrede lasse ich nicht mehr gelten, auch wenn die Gesetzgebung immer ein wenig hinterherhechelt. Erschreckend ist aber, dass nicht mit Verstand und Weisheit und für die Zukunft reguliert wird. Auslöser für Gesetze sind fast immer Einzelfälle. Nehmen wir die Sache mit kurt-biedenkopf.de. Biedenkopf hatte sich aufgeregt, weil jemand die Domain registriert hatte. Ich habe ihm damals gesagt, er solle sich die Domain doch selbst holen. Das wollte er nicht. Er wollte vielmehr, dass wir dafür sorgen, dass niemand die Domain überhaupt registrieren kann. Seine Schlussfolgerung war, die Denic müsse an den Regulierer fallen, wenn sie nicht mal in der Lage sei, die einfachsten Dinge zu tun. Der sächsische Rechnungshof hat den Spuk dann beendet. Die andere Episode, an die ich mich lebhaft erinnere, ist die Aufforderung von Justizministerin Herta Däubler-Gemlin an die Denic, die Registrierung verbotener Begriffe künftig zu unterbinden. Ihr Beispiel war die soeben registrierte Domain „reichskriegsflagge.de“. Ich wollte, dass die Denic die Ministerin um eine Liste aller künftig verbotenen Wörter bittet. Leider hab ich mich mit dieser aus meiner Sicht sehr eleganten Lösung nicht durchgesetzt. All das zeigt, dass sich Macht und Provider erst aneinander gewöhnen mussten. Natürlich war das für den Staat nicht einfach. Aber er hat oft eine gnadenlose Arroganz an den Tag gelegt. Erst viel später gab es dann so etwas wie die Enquetekommission.

Sie waren Mitglied.

Von Bomhard: Nein, eingeladener Experte. Ich habe da für relativ viel Geld – denn obwohl das ehrenamtlich war, bekamen wir Tagessätze – ein Gutachten verfasst. Die Ergebnisse der für mich spannenden Enquete haben aber niemanden wirklich interessiert. Vielleicht sehe ich es zu extrem, aber man hat die Öffentlichkeit ferngehalten. Die Politiker oben haben es auch nicht gelesen. Wer liest auch schon 8000 Seiten Bundestagsdrucksache? Die einzigen, die Teile durchgearbeitet haben, sind, glaube ich, die persönlichen Referenten der Bundestagsabgeordneten. Ich habe eine ganze Menge über die Vorratsdatenspeicherung (VDS) für den Bundestag geschrieben, mit mäßigem Erfolg. Erfolgreicher war mein Artikel über 'Zensursula', in dem ich einfach darauf hingewiesen habe, wie unsicher die Internetwelt durch solchen Aktionismus wird. Frau von der Leyen hat das allerdings nicht eingesehen, bis zum Schluss.

Trotzdem sagen Sie, die Politik habe gelernt. Illustriert nicht gerade das sogenannte 'Zensursula'-Gesetz eine ziemliche Beratungsresistenz? Was ist mit den Stapeln von VDS-Verfahren? Sie klagen seit 2016 gegen die VDS, gibt es da schon einen Verkündungstermin?

Von Bomhard: Noch nicht. Aber gerade gibt es wieder Bewegung. Wir wissen nur nicht, in welche Richtung. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in dem Verfahren so erklärt, dass ich eigentlich schon den Champagner kalt stellen wollte. Nur eine Teilfrage haben sie noch dem EUGH vorgelegt, und zwar, ob man im Spezialfall eine Bevorratung anordnen kann. Da sind wir schon weit weg von der Technik der Vorratsdaten. Denn im Spezialfall kann man viel anordnen und im Spezialfall sind wir zu vielem bereit, immer gesetzt das ist legitimiert. Wir wollen gar nicht die Räuber den Gendarmen entziehen. Aber dieses ganze Gesetz ist so durchfaschiert worden, dass es zahnlos, wirkungslos, und gleichzeitig wahnsinnig teuer in der Umsetzung ist. Wenn ich nur Einwahldaten speichern soll, aber nur so lange und dann praktisch die Festplatten zerstören, sieht man, dass da jemand ultrapolitisch unterwegs war. Also, wir dürfen nicht speichern, aber wir setzen das Gesetz nun trotzdem noch irgendwie durch. Die Vorschriften für die Umsetzung durch die Provider sind geradezu ein Scherz gewesen, Tresorraum, dedizierte Servern, usw. Damit wäre ein Wahnsinnsgeld verbrannt worden. Das war nie mein Hauptargument, hat aber am meisten Öffentlichkeit bekommen. Denen, die sagen, die Provider wollen halt kein Geld ausgeben, erkläre ich gern, dass es ihr Geld ist, das wir ausgeben. Wir haben die Kosten, da schlagen wir unsere Marge drauf, fertig ist das Produkt.