Motorräder, die Geschichte schrieben, Teil drei

In diesem Teil der Serie zu herausragenden Konstruktionen in 129 Jahren Kraftradgeschichte folgen fünf weitere Meilensteine des Motorradbaus.

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Yamaha XT 500
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Es gibt Motorräder, die sogar Nicht-Enthusiasten ein Begriff sind, trotz ihres Alters. In der Rückschau erscheinen uns diese Klassiker wie Wegmarken einer nach immer neuen Möglichkeiten suchenden Industrie. Ihr Erfolg bestand in einer gut umgesetzten Neuerung zur richtigen Zeit, was entweder zu einer weiten Verbreitung oder langer Bauzeit führte, andere wurden zu Traummaschinen dank sportlicher Erfolge und einige schafften sogar, alles in sich zu vereinen.

Als Beispiele dafür stellte die Serie bereits die Indian Scout, Honda CB 750 Four, Harley-Davidson XR 750, MV Agusta 750 Sport und Suzuki GT 750 vor. Der erste Teil dieser Serie würdigte Harley-Davidson Model 5D, BMW R 32, Triumph 6/1, MV Agusta 600 und Royal Enfield Bullet als Meilensteine der Motorradgeschichte.

Manche wurden Vorbild für über Jahrzehnte gepflegte Bauweisen, man denke an die BMW R 32, mit der die Firma schon 1923 das Baukastensystem mit Fahrzeugplattform einführte. Andere haben es zu Ruhm und Ehre gebracht, weil sie einfach die rundeste Packung geliefert haben oder mit einem neuen Konzept einen ganzen Lifestyle anstießen – man denke an den Enduro-Boom der 80er-Jahre und die unsterbliche Yamaha XT 500. Auch komplette Zufallstreffer waren darunter, wie die Moto Guzzi V7, die exklusiv für die italienische Polizei konstruiert dann eine völlig ungeplante zivile Laufbahn einschlug, weil die Menschen da draußen sie einfach haben wollten.

Die Moto Guzzi V7 Sport holte die Marke in die Neuzeit und damit wieder ins Leben zurück. Sie blieb bis heute Vorbild für die Maschinen aus Mandello, in denen längs laufende 90-Grad-V-Zweizylinder ihre Kraft per Kardanantrieb ans Hinterrad bringen. Im Bild gut zu erkennen ist der wohl auch aus Marketingüberlegungen rot lackierte Rahmen und im Vorderrad die Doppelduplex-Bremse mit ihren vier einzelnen Bremsbacken. Richtig eingestellt und eingebremst war sie gar nicht mal schlecht in ihrer Wirkung.

(Bild: Moto Guzzi)

Die altehrwürdige Marke Moto Guzzi – bereits 1921 gegründet – kann auf viele Höhen und Tiefen in ihrer bewegten Geschichte zurückblicken. Moto Guzzi holte zahlreiche WM-Titel und brachte interessante Konstruktionen mit einem, zwei, drei, vier und sogar acht Zylindern hervor. Doch 1966 folgte der Konkurs, weil die Modelle nicht mehr auf der Höhe der Zeit waren und die Kunden zum Auto abwanderten. Ein Firmenkonsortium übernahm Moto Guzzi, doch selbst das neu konstruierte Behördenkrad V7 war schwer und mit 43 PS nicht wirklich kräftig – sein 90-Grad-V2-Motor stammte bereits aus dem Jahr 1958.

Bald begann ihr Verkauf auch an zivile Kunden, doch Moto Guzzi wollte wieder sportliche Motorräder bauen und engagierte Lino Tonti, der sich im Rennsport einen Namen gemacht hatte. Tonti wusste, dass die Transformation der V7 in ein Sportbike schwierig werden würde, dennoch ging er mit Feuereifer an die Arbeit und setzte seinem Entwicklungsteam das Ziel von 200 km/h und 200 kg. Er nahm einige Umbauten vor, reduzierte das Gewicht, erhöhte den Hubraum und die Verdichtung. So präpariert stellte die V7 im Jahr 1969 einige Geschwindigkeitsrekorde auf.

Als Problem stellte sich der für Rennen ungeeignete Rahmen heraus, also konstruierte Tonti einen eigenen, den in Fankreisen verehrten "Tonti-Rahmen", der den Motor höher platzierte. Um die Auflage der FIM für die Teilnahme an Rennen zu erfüllen, wurden 1971 exakt 104 Exemplare der heute als "Telaio Rosso" (roter Rahmen) bekannten ersten Serie produziert. Die 748-cm3-Motoren leisteten im straßenzulässigen Zustand 62 PS. Die Erfolge der V7 Sport wurden zur Rettung der Marke und auch über ein halbes Jahrhundert später werden alle Moto Guzzis von einem längs eingebauten 90-Grad-V2 angetrieben.

Kawasaki schrieb: "Wir vertrauen darauf, dass der Mann, der diese Maschine kauft, die Kraft respektiert, die in ihr steckt".

(Bild: Kawasaki)

Zugegeben war die 900 Z1 Kawasakis Antwort auf die Honda CB 750 Four, dem ersten Serienmotorrad mit Reihenvierzylindermotor. Dennoch darf die legendäre 900 Z1 nicht in der Liste der Meilensteine fehlen, denn sie verschob das Limit im Motorradbau noch einmal deutlich nach oben.

Kawasakis Ingenieure hatten an einem 750er-Reihenvierzylinder gearbeitet, als Honda ihnen 1968 zuvorkam. Obwohl es ein inoffizielles Agreement zwischen den vier japanischen Marken gab, Hubräume von 750 cm3 nicht zu überschreiten, beschloss Kawasaki in die Vollen zu gehen und konstruierte einen Reihenvierzylinder mit 903 cm3, zwei obenliegenden Nockenwellen und vier 28-mm-Vergasern, der es auf 79 PS brachte. Als die 900 Z1 1972 präsentiert wurde, waren die Konkurrenten geschockt und die Kunden begeistert.

Das "Big Bike" erreichte mit flach auf dem Tank liegenden Fahrer sagenhafte 227 km/h und beschleunigte aus dem Stand in vier Sekunden auf Tempo 100. Wo sie auftauchte, zeigte sie der Konkurrenz umgehend ihre vier Auspuffrohre von hinten. Dass ihr unterdimensioniertes Fahrwerk der Leistung nicht wirklich gewachsen war und bei hohen Geschwindigkeiten bedenklich zu Pendeln anfing, schreckte die Käufer nicht ab. Im Gegenteil: Es brachte der 900 Z1 erst Recht den Ruf eines echten Männermotorrads ein. Doch abgesehen davon bestätigte auch sie die Qualität des japanischen Motorradbaus und erfreute die Besitzer mit hoher Zuverlässigkeit.

Nach der 900 Z1 brachen alle Dämme und die Hersteller überboten sich mit immer größeren Hubräumen und noch mehr Leistung. Doch sie gilt immer noch – neben der Honda CB 750 Four – als das Urgestein der Big Bikes und bis 1977, als sie wegen der Hubraumaufstockung auf 1016 cm3 zur Z 1000 wurde, hatte Kawasaki sagenhafte 145.000 Stück der 900 Z1 (ab 1976 hieß sie schlicht Z 900) verkauft.

Leicht und kräftig zugleich dominierte die Ducati 750 SS unter einem Newcomer die 200 Meilen von Imola, obwohl sie nicht ganz fertig war. Ihre Literleistung war mit über 100 PS beachtlich, das ging nur dank der Desmodromik, die entsprechende Drehzahlen erlaubte. Schon damals hatten erste Renner eine Scheibenbremse auch hinten.

(Bild: Ducati)

Der Name Ducati seit dem Sieg der 750 SS bei den 200 Meilen von Imola 1972 fest mit dem Rennsport verbunden. Davor galt Ducati nicht gerade als siegfähig, doch der brillante Ingenieur Fabio Taglioni glaubte an sein 750er-Rennmotorrad. Im vom Serienmodell 750 GT abgeleiteten V2-Motor mit aufwendigem Königswellenantrieb für die Nockenwellen wurden die Ventile von Nocken geschlossen statt, wie üblich, von Federn. Diese Zwangssteuerung, auf gut Altgriechisch auch "Desmodromik" genannt, ließ hohe Drehzahlen ohne Flattern der schweren Ventile zu. Es sind ja nur zwei pro Kopf und damit ist jedes deutlich gewichtiger als eines in einem Vierventilkopf. Erst damit erreichte die 750 SS über 9000 Touren und leistete 86 PS bei 8800/min. Über so viel Leistung hinaus wog das Rennbike trocken nur 162 kg.

Weil keiner der Top-Piloten bei den 200 Meilen von Imola starten wollte, engagierte Ducati den zwar talentierten, aber bis dahin nicht sonderlich erfolgreiche Brite Paul Smart. Völlig fertig war auch die Rennmaschine nicht: Weil sich nur linke Bremssättel fanden, montierte das Werksteam zwei davon, rechts zeigte daher der Anschluss nach unten. Überraschend dominierten die Ducatis das berühmte Rennen gegen die favorisierte Konkurrenz und deren Fahrerstars. In der letzten Runde zog Paul Smart noch vorbei an seinem Markenkollegen Bruno Spaggiari, der Motorprobleme hatte, und holte sich den Sieg, der ihn und die 750 SS unsterblich machen sollte.

Bereits ein Jahr nach dem Sieg in Imola legte die Ducati eine Replika der 750 SS auf, allerdings ohne teure Desmodromik. Eigentlich waren nur 25 Stück vorgesehen, die von der Rennabteilung in Handarbeit gefertigt wurden, doch wegen der überwältigende Nachfrage baute Ducati bis 1974 insgesamt 411 Exemplare. Die 750 SS leistete in Straßenzulassung 73 PS bei 8000/min und erreichte eindrucksvolle 220 km/h. Die Halbschalenverkleidung, Sitzbank, Seitenabdeckungen und sogar der Tank bestanden aus glasfaserverstärktem Kunststoff und drückten das Gewicht auf 200 Kilogramm. Für die ersten 750 SS mit runden Motordeckeln zahlen Sammler heute Höchstpreise.

Honda bot mit der Gold Wing ein konsequent aufs ruhige Dahingleiten konstruierten Tourer an. Das Prinzip "Boxer" lässt Vibrationen gar nicht erst entstehen, der Wassermantel dämmt die mechanischen Geräusche weg und die liegenden Zylinder verschafften dem Bike in Verbindung mit seinem Unterflurtank einen besonders niedrigen Schwerpunkt. Marktpremiere hatte in der Gold Wing eine dritte Bremsscheibe im Hinterrad. Schön zu sehen sind die silbern glänzenden Dome der Gleichdruckvergaser über dem Motor.

(Bild: Honda)

Mangelnden Ehrgeiz konnte man Honda noch nie nachsagen. Als die Marke beschlossen hatte, einen Tourer auf neuem Niveau zu bauen, zog sie alle Register. Das Motorrad sollte mehr Luxus und einen gediegeneren Antrieb bieten, als die etablierte Konkurrenz. Zunächst entstand 1972 ein Prototyp mit einem flüssigkeitsgekühlten Sechszylinder-Boxermotor und Kardanantrieb. Aus Kostengründen entschieden sich die Entwickler schließlich für einen Vierzylinder-Boxer, es blieb aber bei der Wasserkühlung und ihr Kardanantrieb war der Erste in einem japanischen Motorrad.

1975 kam die Gold Wing 1000 mit einem Ein-Liter-Motor auf den Markt, der 82 PS leistete und den 295 kg schweren Tourer nachdrücklich anschob, dabei lief er sanft und vibrationsfrei. Das große Motorrad war längst nicht so unhandlich wie befürchtet, durch den niedrigen Schwerpunkt ließ sich die Gold Wing überraschend gut durch Kurven scheuchen, allerdings setzte sie früh auf. Als Höchstgeschwindigkeit gab Honda 210 km/h an, doch neigte sie bei hohem Tempo zum Pendeln.

Die Gold Wing war das erste Serienmotorrad mit drei Bremsscheiben. Der vermeintliche Tank war eine Attrappe und diente als Stauraum und zur Unterbringung von Luftfilter, Relais und Sicherungen. Der eigentlich Benzinbehälter mit 19 Liter Volumen lag schwerpunktsenkend im Rahmendreieck. Kurios war der Not-Kickstarter zum Aufstecken. Der Tourer bot einen bis dahin nicht gekannten Komfort, erst Recht als sie 1982 eine voluminöse Vollverkleidung erhielt und einen Sessel für den Fahrer. Ab 1987 bekam die Gold Wing doch noch einen Sechszylinder-Boxermotor. Mit 1520 cm3 Hubraum war er sogar der größte Serienmotor auf dem Markt und drückte die dann schon 385 kg schwere Gold Wing mit satten 150 Nm Drehmoment bei nur 4000/min vorwärts.

Mit der Yamaha XT 500 kam ein Viertakt-Enduromodell auf den Markt, das aufgrund seiner in Summe ungekannt ausgewogenen Eigenschaften eine Mode lostrat, deren Ausläufer bis in die Gegenwart reichen. In den 80ern gehörte eine Enduro zum unbeschwerten Lifestyle und so folgten bald Modelle vieler Hersteller mit dem gleichen Konzept.

(Bild: Yamaha)

Seit Erfindung des Motorrads trieb es die Fahrer auch ins Gelände. Doch lange Zeit mussten die Besitzer ihre auf Straßenbetrieb ausgelegten Maschinen selber dafür präparieren. In den 1960er Jahren kamen die Scrambler auf, sie basierten zwar auf Straßenmaschinen, waren aber vom Hersteller mit verstärkten Rahmen ausgestattet. Yamaha brachte 1968 mit der DT 1 ein leichtes Einzylindermotorrad mit relativ langen Federwegen und seitlich unter dem Sattel verlaufendem Auspuff. 1973 erhielt die Nachfolgerin DT 250 als erstes Motorrad einen hochgelegten Vorderradkotflügel, beide aus Gewichtsgründen mit Zweitaktmotoren.

Umso mehr überraschte Yamaha 1976 auf der IFMA in Köln mit der XT 500. Sie war der DT 250 sehr ähnlich, hatte aber einen 499 cm3 großen Einzylinder-Viertaktmotor mit einer obenliegenden Nockenwelle, zwei Ventile und Trockensumpfschmierung. Der Motor leistete 33 PS und bot schon gutes Drehmoment knapp über Standgas, was Geländefahrer sehr zu schätzen wussten. Mit ihren langen Federwegen und nur 150 kg Gewicht meisterte die XT 500 auch holprige Strecken souverän und wurde vom Start weg zum Liebling der Enduristen und Fernreisenden.

Als sie 1978 und 1979 auch noch die beiden Erstausgaben der berüchtigten Rallye Paris-Dakar gewann, gab es über ihre Zuverlässigkeit keine Zweifel mehr. Scharen von Fans tobten mit ihrer XT 500 durch Kiesgruben, durchquerten die Sahara oder fuhren mit ihr morgens einfach nur zur Arbeit. Sie fand bis zu ihrem Produktionsende 1990 sagenhafte 127.446 Käufer und gilt heute als die Urgroßmutter aller Enduros. Die japanischen und europäischen Hersteller orientierten sich danach bei ihren Einzylinderenduros am Konzept der XT 500. Die Tradition lebt fort in der Yamaha Ténéré 700:

(fpi)