Test Yamaha Ténéré 700 World Raid: Manchem zu hoch

Die Yamaha Ténéré 700 ist als World Raid mit größerem Tank und längeren Federwegen gut für wirklich extreme Reisen: Grenzen setzt am ehesten noch der Fahrer.

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Gutes macht Yamaha besser – aber nur für den, der es auch braucht.

(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Ingo Gach
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Yamaha hatte das richtige Gespür für den Zeitgeist mit der Ur-Ténéré von 1983 – und noch einmal ähnlich zielsicher, als die Ténéré 700 auf den Markt kam: 2019 wandte sich Yamaha bewusst gegen den Trend, immer leistungsstärkere und schwerere Enduros zu bauen und brachte die Ténéré 700 heraus. Die mit dem bewährten CP2-Motor ausgerüstete Enduro leistet 73 PS und wiegt leer nur 207 kg. Dass sie mit dem Konzept bei den Enduristen einen Nerv getroffen hat, beweisen über 30.000 bislang verkaufte Exemplare.

Doch ein Punkt wollte nicht so Recht zum Bild der legendären Ténéré passen: Die Urahnin XT 600 Z Ténéré zeichnete sich 1983 durch ihren riesigen 30-Liter-Tank aus. Damit konnte die Yamaha damals Etappen von über 500 km quer durch die Wüsten meistern, ohne wegen Spritmangels liegen zu bleiben. Das Benzinfass wurde zu ihrem Markenzeichen. Die Nachfahrin Ténéré 700 kommt mit ihrem 16-Liter-Tank zwar theoretisch 400 km weit, aber das ursprüngliche Konzept des Wüstenschiffs drängt sich nicht spontan auf.

Das hat Yamaha nun mit der Ténéré 700 World Raid geändert. Sie verfügt über einen zweigeteilten Tank mit insgesamt 23 Liter Volumen. Beim vom Hersteller angegebenen Verbrauch von 4,3 Litern auf 100 km kommt sie rechnerisch auf stolze 535 km Reichweite. Das sollte selbst bei einem im Gelände deutlich höheren Verbrauch für normale Etappen einer Reise durch die Sahara reichen. Doch die Entwickler haben die Ténéré auch in vielen weiteren Punkten überarbeitet, um sie noch wüstentauglicher zu machen. Ob das gelungen ist? Wir haben die Ténéré 700 World Raid einem gründlichen Test unterzogen.

Das satte Blau des Tanks, der Seitenteile, Sitzbank und Felgen in Verbindung mit dezenten gelben Streifen sieht nicht nur wunderschön aus, sondern entspricht auch der Lackierung der Factory-Race-Bikes. Yamaha bietet die World Raid noch in Midnight Black an, eine Farbgebung, die zwar sehr elegant wirkt, aber dem Charakter des Wüstenrenners nicht wirklich gerecht wird.

Yamaha Ténéré 700 World Raid (6 Bilder)

Yamaha hat seine Ténéré 700 aufgestockt mit größerem Tank und längeren Federwegen. Die World Raid ist bereit für die Wüstendurchquerung.
(Bild: Ingo Gach)

Ein Blick ins Cockpit zeigt, dass Yamaha das bisherige LC-Display gegen ein fünf Zoll großes TFT-Display getauscht hat. Weil es senkrecht steht, erinnert es an ein Tablet und lässt sich per Bluetooth mit der App MyRide auf dem Smartphone verbinden. Sehr hübsch sind die drei wählbaren Display-Darstellungen: "Explorer" zeigt alle wichtigen Daten in übersichtlicher Form, "Street" präsentiert einen runden Drehzahlmesser im klassischen Design und "Raid" imitiert ein Roadbook aus dem Rallye-Sport. Die Innenverkleidung des Cockpits besteht wie die Kühlerverkleidung aus Glasfaserverbundwerkstoff. Dort sitzt auch ein USB-Anschluss, um sein Handy oder das Navi aufzuladen.

Die Ténéré 700 World Raid ist hoch. Mit gemessenen 900 mm Sitzhöhe eignet sich die Yamaha definitiv nicht für Menschen unter 1,80 m. Schon die Sitzbank der normalen Ténéré 700 misst 880 mm, doch die World Raid legt, trotz der flacher konturierten Sitzbank, noch mal 20 mm drauf. Yamaha spendiert der Long-Range-Version nämlich andere Fahrwerkskomponenten. Vorne kommt eine 43-mm-KYB-Gabel mit 230 mm zum Einsatz. Sie bietet nicht nur 20 mm mehr Federweg, sondern ist auch voll einstellbar. Hinten arbeitet ein Federbein auf 230 mm Arbeitsweg – ebenfalls 20 mm mehr – und ein Ölreservoir mit Ausgleichsbehälter verhindert Dampfblasenbildung. Zudem ändert Yamaha die Federrate und das Übersetzungsverhältnis der Umlenkung.

Das Bein muss hoch geschwungen werden, um aufzusitzen. Erst einmal im Sattel, passt alles wie angegossen. Der konifizierte Lenker weist eine gute Kröpfung und einen Riser an der Lenkerklemmung auf, so dass auch im Stehen gefahren werden kann, ohne sich zu sehr nach vorne beugen zu müssen. Der Kniewinkel ist angenehm und ermöglicht ein problemloses Aufstehen. Mit Wohlwollen registrieren wir die nun breiteren Aluminium-Fußrasten mit ihren abnehmbaren Gummieinlagen gegen Vibrationen.

Die zweiteilige Sitzbank zeigt sich gut konturiert: Gerade noch breit genug, um halbwegs bequem zu sitzen, aber vorne schmal geschnitten, um im Stehen die Beine nicht auseinander zu drücken. Für die Sozia dürfte das Sitzkissen aber ruhig etwas üppiger ausfallen. Die Knie passen perfekt in die Ausbuchtungen des breiten Tanks. Der wiederum ist seitlich mit schlagfestem GfK verstärkt, der harmlose Umfaller im Gelände locker wegsteckt und den Tank schützt.