Alternativen zum Elektroauto: Auf welchem Weg wir individuell mobil bleiben

Das Elektroauto wird nicht alle Lücken füllen, die Verbrenner hinterlassen. Die Chancen der Alternativen und denkbare Szenarien für den künftigen Antriebsmix.

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Volkswagen rechnet 2030 mit einem Anteil von "nahezu 60 Prozent" batterieelektrischer Autos. Ein massiver weltweiter Ausbau der Ladeinfrastruktur ist also ebenso notwendig wie die Förderung von Metallen. Vollständig CO2-neutral soll die Flotte der Marke aber erst 2050 sein. Ausreichend Zeit um zu überlegen, ob dieser Antrieb der einzige Weg zur Dekarbonisierung sein soll.

(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Wasserstoff soll der Heilsbringer in der Energiewende werden. Was nicht direkt oder ausreichend bequem elektrifiziert werden kann, soll mit Wasserstoff angetrieben werden. Dementsprechend misst die deutsche Bundesregierung Wasserstoff eine bedeutende Rolle in der Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft zu. Unsere Artikelserie will die Pläne der Bundesregierung genauer unter die Lupe nehmen und konkrete Anwendungsbereiche – insbesondere im KFZ-Bereich – beleuchten. Was technisch möglich ist, soll auch auf Effizienz und Skalierbarkeit abgeklopft werden:

"Nahezu 60 Prozent" aller 2030 verkauften Volkswagen werden einen batterieelektrischen Antriebsstrang haben. Das prognostizierte der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess auf dem Power Day im März 2021. Spätestens im Jahr 2035, ergänzte im Juni der Vertriebsvorstand Klaus Zellmer in einem Interview mit dem Merkur, wolle man in Europa auf Verbrennungsmotoren verzichten. China und die USA, also der größte und der zweitgrößte Markt der Welt, sind von diesem Datum allerdings ausgenommen. Zellmer rudert weiter zurück und verweist auf das Jahr 2050 für die CO2-Neutralität der Flotte. Man müsse sich "einen gewissen Spielraum" erhalten, und "am Ende liegt die Entscheidungsfreiheit immer beim Kunden".

Die Aussage von Volkswagen ist repräsentativ für die Autoindustrie. Der Hochlauf von batterieelektrischen Pkw ist unumkehrbar. Man kann so weit gehen zu sagen: Die Frage, ob dieser Antrieb erfolgreich sein wird, stellt sich nicht. Die Hersteller und die Politik haben die Entscheidung bereits getroffen. Der Zuwachs wird massiv sein. Eine elementare Motivation dafür ist die Notwendigkeit des Klimaschutzes. Weg vom fossilen Rohöl. Das Elektroauto bietet einen probaten Weg zur Dekarbonisierung. In dem Augenblick, in dem der Strom für die Produktion und für das Fahren vollständig aus erneuerbaren Quellen kommt, ist das Elektroauto klimaneutral. Dazu kommt: Schon jede Verbesserung beim Strommix wirkt sich direkt auch auf die Bilanz der bestehenden E-Fahrzeuge aus.

Dass trotzdem nicht längst die komplette Autoindustrie ein 100 Prozent-Szenario ansagt, hat mit den Nachteilen dieses Antriebs zu tun. Die Branche denkt grundsätzlich international, es ist also sinnvoll, dieser Blickweite zu folgen. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der weltweit gebauten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge stetig der 100-Millionen-Marke genähert. Wahrscheinlich wird es nach dem aktuellen Pandemie-bedingten Einbruch wieder in diese Richtung gehen. Je nach Schätzung gibt es im Gesamtbestand mindestens 1,5 Milliarden Fahrzeuge, und fast alle haben einen Verbrennungsmotor.

Die Wasserstoff-Zukunft

Eine Unsicherheit bei der Betrachtung ist der Preis für die Metalle, aus denen der elektrochemische Speicher besteht. Big Mining könnte Big Oil ersetzen. Hierbei ist es keineswegs notwendig, sich auf plakative Kathodenmaterialien wie Kobalt zu konzentrieren. Kupfer, Aluminium, Stahl und Nickel sind vertraut. Das bedeutet aber nicht, dass deren Preise bei einem Boom konstant bleiben. Ganz im Gegenteil: Auch hier sind unvorhersehbare Anstiege möglich, die eine Kalkulation und die Rentabilität erschweren. Preisgünstige Elektroautos, die wenig Reichweite benötigen, werden eine simple Zellchemie bekommen; wahrscheinlich machen Lithium-Eisenphosphat-Zellen (LFP) hier ab 2023 das Rennen.

Es ist absehbar, dass viele, aber nicht alle Fahrprofile durch batterieelektrische Fahrzeuge abgedeckt werden können. Offen ist also nicht, welche Alltagsstrecken vom Arbeitsweg über den Kindershuttle bis zum Sportplatz bewältigt werden können. Das funktioniert. Vielmehr ist ungeklärt, wie jene Nutzer ihre Transportansprüche befriedigen können, die in großen Fahrzeugen lange Distanzen zurücklegen müssen oder reisen wollen. Zur Lösung gibt es verschiedene Szenarien.

Das ist fraglos möglich. Es erfordert aber einen Ausbau der Ladeinfrastruktur, der mit dem derzeitigen Zustand nicht vergleichbar ist, und der Materialbedarf würde alle bekannten Dimensionen sprengen. Offensichtlich ist auch, dass es Abstriche bei der Nutzbarkeit geben würde: Selbst batterieelektrische Limousinen mit exzellenter Aerodynamik reichen nicht an die selbstverständliche Flexibilität eines Autos mit Verbrennungsmotor heran. Und es gibt eben auch andere Karosserieformate, allen vorweg die beliebten SUVs, die bei der Reichweite auf Langstrecken Probleme haben.

Um die Reduktionsziele für Kohlendioxid bis 2050 zu erreichen – in der EU minus 90 Prozent – müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Nach Berechnungen des ICCT muss das CO2-Limit für 2030 von bisher 37,5 Prozent Verschärfung gegenüber 2020 auf mindestens 70 Prozent angehoben werden.

(Bild: ICCT)

Bei besonders hohen oder niedrigen Außentemperaturen bricht außerdem die Ladeleistung ein, was die Zwangspausen stark verlängert. Klar ist außerdem, dass auf die Lebensdauer eines Pkw – das Durchschnittsalter in Deutschland beträgt 9,8 Jahre – eine Degradation der Batterie stattfindet. Der Aktionsradius schrumpft, und es ist wahrscheinlich, dass wegen der kalendarischen (nicht der zyklischen) Alterung der Komponenten, Kunststoffe und Kleber auf einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren zumindest ein Refurbishment einzelner Zellen erforderlich wird.

Der Kundenwille, siehe oben, ist relevant. Ein 100 Prozent-Szenario inklusive der Nutzfahrzeuge ist aus heutiger Sicht nur über staatlichen Zwang vorstellbar. Die Hoffnung, Batterien würden sich so schnell und radikal entwickeln wie Computerchips, hat sich nicht erfüllt und wird es nach allem, was bis Ende dieses Jahrzehnts absehbar ist, auch nicht tun.

In dem Maß, in dem batterieelektrische Fahrzeuge zunehmen, gehen jene mit Verbrennungsmotor (Plug-in-Hybride eingeschlossen) zurück. Das ist der Pfad, auf dem wir uns in Deutschland und Europa derzeit befinden. Weil die Lücke bei der Nutzbarkeit besonders bei großen Pkw sowie Nutzfahrzeugen und auf langen Strecken vorhanden ist, bedeutet das auch die Fortexistenz des Dieselmotors. Er hat ab einer bestimmten Größenklasse bessere CO2-Emissionen als ein Benziner. Es klingt paradox, aber der Selbstzünder kann genau das, was das Elektroauto nicht kann: Große Fahrzeuge, weite Distanzen, schwere Lasten und Anhänger ohne Einschränkungen transportieren.

Stand heute: Das, was batterieelektrische Autos nicht können, erledigen Plug-in-Hybride. Große Fahrzeuge, lange Strecken, schwere Lasten. Bei Mercedes kommt als Verbrennungsmotor häufig ein Selbstzünder zum Einsatz. Im Bild: Mercedes GLE 350de (Test)

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Der vermeintliche Vorteil dieses Vorgehens ist, dass man sich kurzfristig auf den ersten Blick keine Gedanken machen muss. All jene Kunden sind zufrieden, die sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht mit dem batterieelektrischen Antrieb anfreunden können. Der entscheidende Nachteil ist jedoch, dass die Dekarbonisierung (zu) langsam vorangeht. Rechnet man die Weiternutzung auf anderen Kontinenten ein, wird ein heute gekaufter Pkw mit Verbrennungsmotor eher 20 als 15 Jahre unterwegs sein. Skaliert man das auf den Weltmaßstab hoch, sind ehrgeizige Klimaziele eine fromme Illusion. Von allen Szenarien ist das fraglos die schlechteste.

Was in Europa und speziell nach Lesart von Volkswagen ausgeschlossen ist, ist in den Industrienationen Südkorea, Japan und China selbstverständlich vorgesehen: Das, was das batterieelektrische Auto nicht kann, wird durch Brennstoffzellen-elektrische erledigt werden. Ein Tabu, diesen Antrieb auf Nutzfahrzeuge zu beschränken, kennt man in Asien nicht. Man entscheidet pragmatisch.

Toyota bemüht in diesem Zusammenhang auch das Wort Convenience. Es beschreibt eine Mischung aus Verbraucherfreundlichkeit und Bequemlichkeit. In der Tat sind jene Anstrengungen, die mit batterieelektrischen Fahrzeugen auf langen Strecken verbunden sind, beim Brennstoffzellen-elektrischen nicht vorhanden. Das Nachfüllen der Fahrenergie gleicht dem bisherigen Kraftstofftanken, sofern die Auslegung der Zapfanlage und die Dichte des Tankstellennetzes für Wasserstoff entsprechend dimensioniert sind. Ersteres ist technisch kein Problem, letzteres finanziell nicht zu unterschätzen. Eine flächendeckende H2-Infrastruktur wäre enorm teuer.