Porsche 911 Carrera 2.7 RS: Das Gute und das Bessere

Seite 2: Weniger Auftrieb UND mehr Höchstgeschwindigkeit

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Beim Heck fiel Brodbeck ein, wie er immer über das Heck seines Fiat 850 Sport Coupés sinniert hatte: Gab es einen Grund für die scharfe Kante und könnte dieser Grund aerodynamische Hintergründe haben? Aus dem Studium wusste er um die Theorie sauberer Abrisskanten. Seine Kollegen wiegelten ab: reines Design. Doch Brodbecks Team blieb dran. Nach zweieinhalb Tagen im Windkanal hatten sie einen funktionalen Heckspoiler entwickelt, der zusammen mit dem Frontspoiler den Auftrieb auf insgesamt ein Drittel des vorherigen Wertes senkte.

"Das ist heute natürlich nicht mehr möglich", sagt Brodbeck. "Aber damals gab es schlicht noch so viel zu holen, dass solche großen Sprünge drin waren. Sie sehen das daran, dass sich nicht nur der Abtrieb reduzierte, sondern der RS gleichzeitig auch eine schnellere Höchstgeschwindigkeit fuhr, weil die Aerodynamik besser wurde. Auf dem heutigen technischen Stand stehen Abtrieb und Windschlüpfrigkeit in Konkurrenz bei der Entwicklung." Das Team erhöhte den Spoiler bis zum Umkehrpunkt, an dem die Höchstgeschwindigkeit wieder sank: ein Optimum der aerodynamischen Effizienz war gefunden.

Spoiler-Entwicklung (6 Bilder)

Der später "Entenbürzel" (eng: "duck tail") getaufte Heckspoiler entstand in zweieinhalb Tagen Windtunnelarbeit.
(Bild: Porsche)

Beim Test des Aero-Kits fuhr Porsches Ingenieur-Rennfahrer Günter Steckkönig konsequent bessere Zeiten mit Kit als ohne. Seine Kollegen unterstellten ihm jedoch, dass er das nur tat, um seinen Chef zu bestätigen mit der Aero-Spinnerei, an deren Wirkung viele schlicht immer noch zweifelten. Das Entwicklungsteam versuchte es mit Erklärungen der Hintergründe. Das half vor allem dem Designteam: "Als die Designer verstanden hatten, WARUM das so aussehen muss, blühten sie regelrecht auf", sagt Brodbeck.

Doch weil es damals solche Dinge bei Straßenfahrzeugen schlicht nicht gab, wehte überall ein strenger Gegenwind. Das KBA äußerte Bedenken, dass sich Fußgänger am Spoiler verletzten könnten oder gar Motorradfahrer geköpft werden könnten. Porsches Totschlagargument dazu lautete: "Lasst bitte die Kirche im Dorf, es geht nur um 500 Stück." Denn nur die wollte die Fabrik bauen, um eine Zulassung für die Gruppe 4 im Rennsport zu erhalten.

Die Aussage stellte sich später in mehrerlei Hinsicht als falsch heraus.

(Bild: Clemens Gleich / Porsche)

Der Vertrieb zeigte sich regelrecht entsetzt vom RS. Die Abteilung rechnete damit, ganz vielleicht, weltweit 100 Stück verkaufen zu können. Ernst Fuhrmann, der seit 1972 Porsches Geschäfte führte, stellte sie vor die Wahl: "Machen wir es kurz, ihr habt zwei Möglichkeiten: Entweder ihr verkauft 500 davon, oder wir stellen den Prototypen in die Garage und es wird dieses Auto nicht geben."

Aus heutiger Sicht schwer verständlich: Der geplante RS hatte 210 PS statt 190, die 960 kg bewegen mussten. Er hatte als erster 911 hinten breitere Reifen als vorne, was vorher schon logisch war, aber aus ökonomischen Gründen immer abgelehnt wurde. Er hatte jedoch auch das gewöhungsbedürftige Aero-Paket, das den Vertrieb ebenso irritierte wie so viele konservative Techniker im Konzern. Würde die konservative Porsche-Kundschaft das annehmen?

Die 500 Stück zur Homologation für die Teilnahme in der Gruppe 4 waren in kürzester Zeit weg. Anfang Oktober 1972 stellte Porsche den 2.7 RS auf dem Pariser Autosalon vor. Ende November waren alle 500 Einheiten verkauft. Vergessen war "das können wir nicht verkaufen". Stattdessen fragte der Vertrieb nach, ob man nicht noch mehr produzieren könne. Die Nachfrage sei so hoch. Die Kunden hatten jedoch einen Wunsch: Könnte der Rennsport-orientierte Porsche nicht doch etwas weniger rennsportorientiert sein? Das 2500 DM teure "Touring"-Paket war geboren: 115 kg mehr an Komfort, Schalldämmung, Türenverkleidungen und opulent gepolsterten Ledersitzen statt der Schale des "Sport"-Pakets für 700 DM.

Die Kunden kauften in der Folge 1308 Stück mit Touringpaket, gegenüber 200 Stück im Sporttrimm. Dass sie damit eine halbe Sekunde länger auf 100 km/h brauchten, war ihnen egal (Sport: 5,8 s / Touring: 6,3 s). Dieses Verhältnis ist bis heute erhalten geblieben. Wir lesen viel vom GT3 (seit 2004 statt "RS" für die Modellreihe verwendet) im Rennstreckentrimm, weil diese Variante das Auto vermarktet. Die meistverkaufte Variante blieb jedoch weiterhin die im außen dezenten, innen opulenten Touring-Paket.

Porsches Stand auf dem Pariser Autosalon. Gut zu erkennen die Unterschiede der Frontschürze im Vergleich zum normalen 911 oben links.

(Bild: Porsche)

Da die Verkäufe des 2.7 RS die 1000er-Marke knackten, war sogar eine Zulassung für die Gruppe 3 drin. Die Nachrüst-Spoiler für die Aero gingen weg wie warme Semmeln, ja: Peu à peu sahen wir in den Siebzigern mehr und mehr offen zur Schau getragene Spoiler auf Straßenautos. Es ist nicht mehr ermittelbar, wie viele Nachrüst-Spoiler auf den Markt kamen, es waren aber eine Menge. Der kaufmännische Erfolg gab jedoch vor allem Porsches Strategie recht, dass die Modellpolitik aus der technischen Entwicklung kam. Heute spielt das erheblich gewachsene Wissen um Porsches Märkte mit hinein in die Modellentwicklungen. Doch in Ermangelung solchen Wissens musste sich damals die technische Idee in der Umsetzung bewähren. Die zunächst wenig geliebte Spoilerlösung tat das beispielhaft.