Was hat Stellantis mit der chinesischen E-Automarke Leapmotor in Europa vor?
Stellantis bringt erste Modelle der chinesischen Marke Leapmotor nach Europa. Das KalkĂĽl hinter der Fusion mit dem Start-up preist Kannibalisierung bewusst ein.

Elektroautos wie der Kleinwagen Leapmotor T03 sollen der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen. Stellantis sieht das als Chance, weniger als Gefahr.
(Bild: Leapmotor)
- Wolfgang Gomoll
Unlängst machte Stellantis-Chef Carlos Tavares einmal mehr mit klaren Worten deutlich, dass die Profitabilität für ihn an erster Stelle steht und er auch bereit ist, heilige Kühe zu schlachten. "Wenn sie kein Geld einbringen, werden wir sie schließen. Wir können es uns nicht leisten, Marken zu haben, die nichts verdienen", erklärte der Portugiese, als er einen drastischen Stellantis-Gewinneinbruch verkünden musste, der im ersten Halbjahr 2024 um fünf auf 5,9 Milliarden Euro zurückging.
(Bild:Â Stellantis)
Da kommt die Frage auf, welche Rolle Leapmotor im Stellantis-Konzern spielen soll. Schließlich ist der Newcomer nicht der einzige chinesische Autobauer, der mit großen Eroberungszielen nach Europa kommt. Andere mit ähnlichen Ambitionen haben sich dabei schon verschätzt. Great Wall Motor (GWM) beispielsweise hat die deutsche Dependance bereits wieder geschlossen. Zudem erlebt der Elektromobilitäts-Boom gerade eine Delle.
Leapmotor ist vergleichsweise klein im Vergleich zu den anderen chinesischen E-Autoherstellern: Im Juli hat die Firma erst das 400.000ste Auto seit Gründung 2015 ausgeliefert. Zahlen, bei denen BYD-Manager nur müde lächeln. Einen weiteren Klotz am Bein kann und will sich Carlos Tavares nicht leisten. Doch der Portugiese macht nichts ohne Kalkül und investiert schon gar nicht 1,5 Milliarden Euro, um Mehrheitseigentümer bei einem chinesischen Autobauer zu werden. Die Pläne sind jedenfalls ehrgeizig. So will Leapmotor bis Ende dieses Jahres 200 Verkaufsstellen in Europa etablieren, 2026 sollen es bereits 500 sein. Das ist nur möglich, indem die Chinesen das Stellantis-Vertriebsnetz nutzen.
(Bild:Â Leapmotor)
Droht Kannibalisierung?
Interessant wird es, wenn man sich die beiden Modelle anschaut, mit denen Leapmotor in Deutschland und Europa erfolgreich sein will. Das 4,73 Meter lange BEV-SUV C10 ist ein Konkurrent für Tesla[ ]Model[ ]Y (Test) und Skoda[ ]Kodiak, während der E-Kleinwagen T03 in der Unter-20.000-Euro-Klasse Dacia[ ]Spring (Test) und BYD Seagull den Rang ablaufen soll. So weit, so gut. Doch im Stellantis-Konzern gibt es Marken wie Citroën mit dem ë-C3 (Test) oder Fiat (mit dem Panda), die im Einsteiger-Segment erfolgreich sein wollen. Ganz zu schweigen von Opel und Peugeot. Eine Kannibalisierung droht.
"Die BEVs von Leapmotor haben im Vergleich zu denen von Stellantis in Europa eine andere Marktpositionierung. Leapmotor richtet sich vor allem an junge und technikaffine Verbraucherinnen und Verbraucher, die Wert auf intelligente Funktionen, Konnektivität und Personalisierung in ihren Fahrzeugen legen. Daher ist Leapmotor keine Bedrohung, sondern eine zusätzliche Chance", lässt Stellantis verlauten. Der Leapmotor-Produktplan bis 2027 steht bereits: Nach den beiden C10 und T03 sollen zwei weitere SUVs und Fließheckmodelle folgen.
(Bild:Â Leapmotor)
Die Realität dürfte auf dem hart umkämpften Markt anders aussehen. Doch Carlos Tavares denkt in anderen Dimensionen. Er weiß, dass das ein großer Automobilkonzern nur dann langfristig erfolgreich sein kann, wenn man in allen wichtigen Regionen ein konkurrenzfähiges Angebot hat. "Mit der strategischen Investition in Leapmotor können wir von der Wettbewerbsfähigkeit der Marke profitieren – sowohl in China als auch andernorts", antwortet Stellantis auf Nachfrage. Man will sich in Zukunftsmärkten wie Südostasien, Indien oder Südamerika in Stellung bringen. Wobei die Elektromobilität dort oftmals noch ein Wechsel auf die Zukunft ist.
Zunächst wollte Volkswagen Leapmotor haben
Um den wichtigeren Grund des Neuerwerbs auf die Schliche zu kommen, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Als PSA Peugeot Citroën 2017 Opel übernahm, holte sich Carlos Tavares auch das Know-how der deutschen Ingenieure ins Boot. Ähnlich wie Opel verfügen die Chinesen mit Infotainment und Konnektivität über eine Expertise, die jeder Autohersteller händeringend sucht. Nicht ohne Grund hat Volkswagen ebenfalls mit Leapmotor verhandelt. Den Zuschlag erhielt aber Stellantis, für vergleichsweise überschaubare 1,5 Milliarden Euro, während die Wolfsburger bei Rivian eingestiegen sind. Im Raum stehen bis zu fünf Milliarden Euro.
"Klar ist, jeder große Hersteller braucht kurzfristig attraktive elektrische Optionen in seinem Modellportfolio. Darüber hinaus arbeitet die Branche daran, die Software-Revolution, welche wir erleben, auch ins Auto zu bringen", weiß Peter Fintl von der Unternehmensberatung Capgemini und ergänzt: "Damit kehren sich die Verhältnisse um: Bei westlich-chinesischen Joint-Ventures im Reich der Mitte waren bisher immer die ausländischen Partner für Technologie- und Know-how zuständig und die einheimischen Konzerne kümmerten sich vorwiegend um die effiziente Produktion und den Vertrieb. Nun werden chinesische Elektrospezialisten plötzlich als Technologiepartner gesehen."
(Bild:Â Leapmotor)
Man könnte meinen, dass Stellantis wie eine Art Technologie-Vampir das Wissen aussaugt. Dem ist nicht so. Die Partnerschaft ist keine Einbahnstraße. "Durch den enorm intensiven Verdrängungswettkampf im chinesischen Automarkt gelingt es nur sehr wenigen Anbietern, ausreichend Gewinn zu erzielen. Daher sind neue Erlösquellen wie die Lizenzierung von Technologie oder Entwicklungspartnerschaften hochwillkommen.
Gleichzeitig verstehen westliche Konzerne ihre Heimatmärkte am besten und können neue Technologien in attraktiver Art für ihre Kunden zugänglich machen. Man kann durchaus von einem "Win-Win" sprechen", erklärt Peter Fintl. Also profitiert auch Stellantis. Falls Leapmotor auch in China zur Erfolgsstory wird und Carlos Tavares oberste Maxime der Profitabilität wäre Genüge getan.
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(fpi)