Kommentar: Das Verbrenner-Aus ab 2035 ist mutlos

Das EU-Parlament hat das Aus für neue Verbrenner beschlossen. Das wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Schritt in die richtige Richtung, meint Martin Franz.

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BMW Sechszylinder

Reihensechszylinder von BMW: Ich mochte diese charakterstarken Motoren immer gern, trotz ihrer Schwäche im unteren Drehzahlbereich. Doch in Neuwagen läuft die Zeit von Verbrennungsmotoren ab.

(Bild: BMW)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Nachdem am Nachmittag die Ausweitung des CO₂-Handels im EU-Parlament im kleinlichen Streit über Details auf irgendwann verschoben wurde, konnten sich die Verantwortlichen am Abend zumindest für ein Aus von Verbrennungsmotoren in Neuwagen durchringen – ab 2035. Das mag spontan auf manch einen Betrachter wie ein tatkräftiger Schritt wirken. In Wahrheit ist dieser aber derart ambitions- und zahnlos, als wäre er von der chinesischen Autoindustrie eingebracht worden. Im Reich der Mitte dürfte man angesichts dieser scheinbar industriefreundlichen EU-Politik begeistert sein.

Natürlich fehlte es in ersten Reaktionen nicht an den erwartbaren Kommentaren. Es sei "zu früh für eine derartige Zielsetzung", argumentiert allen Ernstes die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. Dabei müsste eine Politik, die langfristige Planungssicherheit bedeutet, im Interesse des VDA liegen. Selbst Hersteller, die sich bislang überhaupt noch nicht mit diesem Thema beschäftigt haben, hätten mit diesen EU-Plänen auch in industriellen Maßstäben gemessen ausreichend Zeit, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Das haben sie natürlich längst getan. Oder kennen Sie einen Massenhersteller, der erst jetzt damit beginnt, sich mit einem batterieelektrischen Antrieb zu befassen?

Die Einschätzung von Frau Müller lässt einen aber nicht nur aufgrund der realen Entwicklungsverhältnisse in der Autoindustrie ratlos zurück. Denn dort sind längst fast alle Weichen Richtung E-Antrieb gestellt. Keiner kann in die Zukunft schauen, doch es gibt schon mehr als nur ein paar Indikatoren dafür, wohin die Reise geht. Soll der Individualverkehr in irgendeiner Form überleben, muss er seinen Betrag zum Klimaschutz beitragen. Das ist bislang nicht der Fall.

Die Europäische Umweltagentur kommt in einem Bericht zu dem Schluss, dass der Verkehrssektor 2019 für rund ein Viertel der gesamten CO₂-Emissionen der EU verantwortlich sei. Davon entfielen knapp 72 Prozent auf den Straßenverkehr. Höchste Zeit also, hier endlich tätig zu werden.

Deshalb wäre es mutig gewesen, sich bis spätestens 2030 von einer Technik zu verabschieden, die in früheren Zeiten nicht grundlos "Wärmekraftmaschine" genannt wurde. Denn der Verbrennungsmotor produziert vor allem das: Wärme. Wer von der Quelle bis zum Rad bilanziert, sieht auf einen Blick, warum es eine denkbar schlechte Idee ist, Öl zu verbrennen, um ein Fahrzeug anzutreiben.

Von 100 kWh Primärenergie landen beim Verbrennungsmotor insgesamt bestenfalls 15 Prozent in dem, wofür das Auto geschaffen wurde. Der E-Motor setzt lässig etwa 70 Prozent der eingesetzten Energie in Bewegung um. Er mag nicht perfekt sein, ist aber die beste Lösung, die wir aktuell haben.

Natürlich ist das batterieelektrisch angetriebene Auto nicht die perfekte Antwort auf alle Fragen. Es ermöglicht aber eine zügige Dekarbonisierung des Verkehrssektors.

(Bild: Schwarzer)

Denn keine der aktuellen Alternative kann mithalten, so tapfer das auch immer wieder vorgetragen wird. Die Brennstoffzelle müsste grünen Wasserstoff für einen klimaneutralen Betrieb nutzen, doch der steht derzeit nirgendwo auf der Welt massenhaft zur Verfügung. Dazu kommt eine verflixt teure Infrastruktur, deren Finanzierung sich ein reicher Industriestaat vielleicht noch irgendwie leisten könnte. Global können wir das auf absehbare Zeit vergessen. Der knappe grüne Wasserstoff wird für Industrieprozesse gebraucht, für den Verkehr haben wir mit dem E-Antrieb eine viel bessere Lösung.

Die Wasserstoff-Zukunft

Ähnlich gelagert ist der Fall eFuels. Immer wieder wird behauptet, dass sich mit ihnen der Fahrzeugbestand klimaneutral betreiben ließe, wie auch der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) es nun wieder verbreitet. Schon möglich, nur grätschen da ein paar Argumente unschön in diese These. Synthetischer Kraftstoff braucht, um klimaneutral in Verbrennungsmotoren verarbeitet zu werden, reichlich Ökostrom in der Vorkette. Wer also argumentiert: "Wo soll denn der ganze Strom für E-Autos herkommen?" und gleichzeitig für eFuels trommelt, muss sich die Frage gefallen lassen, warum er die Öffentlichkeit offenkundig täuscht. Denn wenn nicht genug regenerativ erzeugte elektrische Energie für die Elektroautos da ist, wie soll er dann erst für synthetischen Kraftstoff reichen, der – je nach Quelle – zwischen drei- bis fünfmal so viel davon benötigt?

Hinzu kommen sehr teure Produktionsanlagen. Bis aus dem Drei-Milliarden-Euro-Projekt, das unter anderem Siemens und Porsche gerade in Patagonien vorantreiben, nennenswerte Mengen an eFuels fließen, gehen noch Jahre ins Land. Doch diese Zeit haben wir nicht mehr. Im Klimaschutz geht es darum, jetzt tatsächlich große Schritte zu unternehmen.

Was sich zudem schon sagen lässt: Billig wird dieser Sprit eher nicht, wenn er denn irgendwann zu haben sein wird. Wer also argumentiert, mit eFuels könnten alle, die sich keinen Neuwagen leisten können, einfach weiterfahren wie bisher, ist günstigstenfalls unwissend. Das ist eine Nische, und wo Skaleneffekte fehlen, um Kosten breit zu verteilen, ist und bleibt der Einzelpreis hoch. Wie grüner Wasserstoff werden auch eFuels die Lücken füllen, die der batterieelektrische Antrieb auf absehbare Zeit nicht bedienen kann.

Schauen Sie sich die Entwicklungen bei den Batterien, Ladeleistung und Infrastruktur in den vergangenen fünf Jahren an: Wenn das auch nur im ähnlichen Maßstab so weitergeht, werden die Szenarien, in denen ein Elektroauto nicht das individuell geforderte Profil erfüllt, denkbar klein sein. Mein Kollege Clemens Gleich hat das in einem Podcast sehr treffend zusammengefasst:

Aus all diesen Gründen ist es im Prinzip schon richtig, in Neuwagen keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Nur: Bis 2035 hätte das vermutlich ohnehin nur noch eine geringe Zahl an Herstellern überhaupt getan. Zahlreiche Konzerne haben sich weit frühere Ausstiegsziele gesetzt. Von Opel beispielsweise soll es ab 2028 keinen Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr geben. Das Europaparlament ist dagegen ernsthaft der Ansicht, sich noch mehr als zehn Jahre Zeit lassen zu können, bevor es diesen ineffizienten Antrieb zumindest in neuen Autos endlich in den Ruhestand schicken will.

Sicher, wir sollten die Tragweite der Entscheidung nicht allein an einem Ausstiegsjahr festmachen. Doch welchen Eindruck hinterlässt es, wenn relevante Teile der so wichtigen Schlüsselindustrie sich längst auf ein deutliches früheres Ende dieses Antriebs eingestellt haben? Es ist an der Zeit, endlich damit aufzuhören, im Klimaschutz immer wieder mit dem Finger auf andere zu zeigen, mit der Bemerkung, man selbst stoße ja global betrachtet nur einen winzigen Teil der CO₂-Emissionen aus.

Das ist aus zweierlei Gründen zu kurz gedacht: Unser gesamter Lebensstil verursacht CO₂-Emissionen auf der ganzen Welt. Mit unserem Konsum, beispielsweise im Bereich Elektronik aus Asien, sind wir für einen Teil des dortigen CO₂-Ausstoßes mitverantwortlich. Zweitens sind wir in Deutschland mit unserer Wirtschaftskraft in Lage, beim Klimaschutz voranzugehen.

Das sollten wir dringend auch im eigenen industriepolitischen Interesse tun. Denn gerade im Automobilsektor überrollen uns andernfalls chinesische Elektroautos, die für vergleichsweise wenig Geld angeboten werden. Das ist keine vage Zukunftsvision, sondern längst in konkreter Vorbereitung. Wer Verbraucher und Industrie einlullen will mit der Aussicht, die gewaltigen Umwälzungen in diesem Bereich ließen sich entspannt bis gemächlich angehen, könnte sich rasch im politischen Abseits befinden.

Konsumenten wie Konzerne sind sich in weiten Teilen längst darüber einig, das fossile Zeitalter zügig hinter sich zu lassen. Die Zielsetzung des EU-Parlaments wirkt zeitlich gesehen so wenig ambitioniert, dass wir festhalten können: Die Adressaten dieser fragwürdigen Politik sind vielfach schon weiter.

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(mfz)