BDI-Präsident: Politiker sollten mit Nokia-Fall keine Globalisierungsangst schüren

BDI-Präsident Jürgen Thumann meint, die Stimmung sei geprägt von einer Skepsis gegenüber der sozialen Marktwirtschaft. Derweil haben sich heute Nokia-Spitzenmanager mit Bochumer Betriebsräten und Vertretern der IG Metall zu einem Gespräch getroffen.

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Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, hat die Politik davor gewarnt, die Angst vor der Globalisierung zu schüren. Nach der Ankündigung der Schließung des Bochumer Nokia-Werks sei die Stimmung geprägt von "einer neuen Staatsgläubigkeit, von Skepsis gegenüber der sozialen Marktwirtschaft und der Globalisierung", sagte Thumann laut dpa heute in Berlin. Die Politik müsse aufklären und dürfe die Skepsis nicht vergrößern. Er nehme die Ängste der Nokia-Mitarbeiter in Bochum sehr ernst. Einen Strukturwandel werde es aber immer geben, sagte Thumann. Die Politik sollte die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken, statt über Mindestlöhne, Subventionen oder Umverteilung zu reden.

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte: "Eine standardisierte Produktion von Handys oder Hemden ist in Deutschland nicht zu halten." Die Parole einer drohenden Deindustrialisierung sei aber falsch. Die Industrie sei eindeutig ein Gewinner der Globalisierung.

Derweil haben sich heute Nokia-Spitzenmanager in Finnland mit Bochumer Betriebsräten und Vertretern der IG Metall zu einem Gespräch getroffen. An dem Treffen nahm auch Konzernchef Olli-Pekka Kallasvuo teil. Das teilte Nokia der dpa auf Anfrage mit. Über den Inhalt wurden keine Angaben gemacht.

Nokia hatte vorige Woche Dienstag bekannt gegeben, den Standort dicht machen zu wollen. Nach Informationen der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung könnte dies die teuerste Werksschließung in der Geschichte Deutschlands werden. Das berichtet die Zeitung unter Berufung auf unternehmensnahe Kreise. Die Kosten für die Schließung des Werks dürften sich auf mehrere hundert Millionen Euro summieren. Hauptposten wäre ein Sozialplan, der beispielsweise Abfindungen und die Gründung von Beschäftigungsgesellschaften regelt. Nokia müsste auch selber dafür tief in die Tasche greifen, da das Unternehmen nicht insolvent ist, sondern glänzende Gewinne macht.

Heute wurden vor dem Bochumer Nokia-Werk Kunst- und Musikaktionen aus Solidarität für die Beschäftigten veranstaltet worden. Zu einem Schichtwechsel trat am Mittag der Düsseldorfer Cellist Thomas Beckmann auf. "Ich möchte mit meinem Spiel darauf hinweisen, dass Arbeitslosigkeit der erste Schritt in die Armut ist", sagte Beckmann. Der Cellist hat vor Jahren die Aktion "Gemeinsam gegen Kälte" gegründet, die sich bundesweit gegen die Folgen von Obdachlosigkeit engagiert. Der koreanische Maler Jinmo Kang zeigte vor dem Werkstor ein Bild, das dem Edvard Munch-Gemälde "Der Schrei" nachempfunden war und die Aufschrift "No! Nokia" trug.

Als "eiskalt" bezeichnete Finnlands größte Zeitung Helsingin Sanomat die Art, in der Nokia sich geäußert habe: "Der Vorstandschef fand es nicht wichtig genug, um nach Deutschland zu reisen und sich zu äußern. Es gibt 80 Millionen Menschen in Deutschland. Und Nokia hat jetzt dort einen wichtigen Verkaufsposten verloren." Die Zeitung Ilta-Sanomat hob heute in einer Kolumne heraus, dass Konzernchef Olli-Pekka Kallasvuo auf kritische Äußerungen und Fragen aus der fast kompletten politischen Führungsspitze in Deutschland mit Schweigen reagiert: "Kallasvuo hat die Entscheidung zur Schließung von Bochum immer noch nicht kommentiert, obwohl ihn Deutschlands politische Spitzenkräfte einschließlich Kanzlerin Angela Merkel dazu auffordern."

Der Ökonom Eero Lehto vom Wirtschaftsforschungsinstitut des finnischen Gewerkschaftsverbandes in Helsinki meinte über die Hintergründe: "Wir sind wirklich überrascht, wie Nokia das angeht. Eigentlich hätten wir sie für ein modernes Unternehmen gehalten." Der Konzern habe den Schließungsbeschluss für Bochum "in der Art von Ingenieuren gefasst und vermittelt, ohne die gewaltigen sozialen und regionalen Dimensionen zu bedenken".

Nokia sei als großer, finanziell potenter und global handlungsfähiger Konzern in der Lage, der hart betroffenen Region Bochum Ersatz anzubieten. Dies könne zum Beispiel das Betreiben von eigenen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen am Ort sein. Lehto meinte über die Gespräche über die Abwicklung der angekündigten Schließung: "Nokia kann hier immer noch solche Angebote unterbreiten."

Zur geplanten Schließung des Nokia-Werks in Bochum siehe auch: