E-Lkw: Nikola-Gründer wegen Betrugs verurteilt

Seite 2: Der Fake-Pickup mit Trinkbrunnen

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Bereits Anfang März 2020 behauptete Milton, der Badger sei "echt" und "voll funktionsfähig" und habe eine realistische Reichweite von 700 Meilen. Anfang Juni begann der Börsenhandel von Nikola-Aktien. Milton intensivierte seine PR-Bemühungen. Er kündigte an, alsbald Badger-Bestellungen entgegenzunehmen, und bereits einen fertigen Prototyp zu haben, obwohl es nur Zeichnungen gab. Weil das die Anleger nicht wussten, explodierte der Aktienkurs.

Am 25. Juni 2020 dürfte Milton eine Eingebung gehabt haben: Er twitterte, dass der Badger das bei der Verbrennung von Wasserstoff entstehende Wasser wiederverwenden würde: für die Scheibenwaschanlage und als Trinkwasser für Fahrzeuginsassen. Mit seiner Entwicklungsabteilung dürfte er darüber nicht gesprochen haben. Einige Tage später googelte Milton, wie die Anklage ermittelt hat: "Can you drink water from a fuel cell?"

Als Nikola später tatsächlich einen Prototyp bauen ließ (der nie verkehrstüchtig wurde), kaufte die Firma mehrere Ford F150 und beauftragte Dritte damit, aus F150-Teilen einen Badger-Prototyp zu basteln. Milton soll dabei wichtig gewesen sein, die Umstände geheim zu halten. Außerdem ordnete er an, Wasserstoff-Tankzugänge sowie einen Trinkbrunnen einzubauen. Das sollte den Eindruck eines Wasserstoff-Pickups erwecken, obwohl keine Wasserstofftechnik verbaut wurde.

Kurz nach Aufnahme der ersten Bestellungen behauptete Milton fälschlich, die Topversion sei bereits ausverkauft. Das könnte dazu verholfen haben, General Motors (GM) im August 2020 als Partner für die Produktion eines Pickup-Trucks unter der Marke Nikola zu gewinnen. Entgegen Miltons Behauptung, dass etwa 70 Prozent des Serienfahrzeugs Nikola-Technik sein würden, hatte GM ganz andere Pläne: Bis auf ein paar optische Details und vielleicht das Infotainmentsystem sollte alles von GM stammen. Laut Staatsanwaltschaft hat sich GM nie einen Badger-Prototyp auch nur angesehen.

Ähnliche haltlose Geschichten hat Milton laut Anklage über die angebliche eigene Wasserstoffproduktion zu angeblichen Kosten eines Bruchteils des Marktpreises, angebliche gekaufte Grundstücke entlang von Autobahnen für Wasserstofftankstellen mit angeschlossener Elektrolyse sowie angeblich mit Stromversorgern geschlossene Verträge über Stromlieferungen zu radikal reduzierten Preisen erzählt. Immerhin stellte Nikola am Firmensitz in Arizona eine Wasserstofftankanlage auf, die jedoch der Hitze Arizonas nicht gewachsen war. Der Wasserstoff kam nicht aus eigener Produktion, sondern von einem Lieferanten.

Auszug aus der Anklage

During an interview broadcast on YouTube on or about June 1, 2020, MILTON described the Badger as a "fully functioning vehicle inside and outside, HVAC [heating ventilation and air conditioning], and everything, windows, all of it works . . . a real, real truck . . . not just some mock-up thing that other people have done."

Überdies hat Milton behauptet, 14.000 verbindliche Bestellungen für seine Sattelschlepper zu haben, vorwiegend für den wasserstoffbetriebenen Nikola One. Tatsächlich gab es nur etwa 800 Bestellungen, die bei Erreichen gewisser Entwicklungsziele verbindlich geworden wären. Das hinderte Milton nicht, sein Unternehmen mit Boeing und Airbus zu vergleichen, weil Nikola "auf viele, viele Jahre ausverkauft" sei. Ende Juli 2020 behauptete er faktenwidrig, geschlossene Verträge summierten sich auf "Milliarden und Milliarden von Dollar".

Zitat Trevor Milton

"So I want to be clear about that ‘cause a lot of people have thought that it’s just like, a non-committal thing, it’s not. These are like, sign on the dotted line, billions and billions and billions and billions of dollars in orders." Trevor Milton am 31. Juli 2020 in einem Podcast-Interview

Als ein Leerverkäufer Anfang Juni 2020 öffentlich machte, dass der 2016 gezeigte Prototyp tatsächlich funktionsunfähig war, stellte Milton die Vorwürfe in Abrede und drohte mit Klage. Dann berichtete der dem Verwaltungsrat stolz, dass seine Reaktion den Nikola-Aktienkurs auf Rekordhöhe angetrieben habe. Doch im September musste der Mann den Chefposten räumen, im Dezember 2020 die Firma verlassen. Im selben Monat blies GM die Pickup-Partnerschaft mit Nikola ab.

Ende Juli 2021 machte die Bundesstaatsanwaltschaft des südlichen New York ihre Anklage gegen den damals 39-Jährigen öffentlich. Im Laufe des Verfahrens gesellte sich noch ein weiterer Vorwurf hinzu: Milton soll sich eine große Immobilie ergaunert haben. Zunächst unterbreitete er ein zu geringes Anbot. Dann erhöhte er seine Offerte auf mehr als das Doppelte, wollte die Hälfte aber nur in Nikola-Aktienoptionen zahlen. Der Verkäufer war dazu zunächst nicht bereit, doch soll Milton ihn mit weiteren Lügen über Nikolas angebliche Errungenschaften weich geklopft haben. Das Grundstück wechselte den Eigentümer, doch als die Aktienoptionen schlagend wurden, lag ihr Ausübungspreis über dem Aktienkurs. Damit waren sie für den früheren Grundstückseigentümer wertlos.

Das Unternehmen Nikola hat die Skandale vorerst überlebt. Im September 2021 startete tatsächlich die Produktion: Der Nutzfahrzeughersteller Iveco eröffnete in Ulm eine Produktionshalle für elektrisch betriebene Nikola-Lastwagen für den US-Markt. Inzwischen konnten 93 Nikola-Fahrzeuge ausgeliefert werden. Die unwahren Angaben führten zu einem SEC-Verfahren, das Ende 2021 gegen Strafzahlung von 125 Millionen Dollar ohne Schuldeingeständnis eingestellt wurde.

Diesen August stemmte die Firma sogar eine Übernahme: Nikola kaufte seinen kriselnden Akku-Lieferanten Romeo Power, zahlte aber vorwiegend in eigenen Aktien. Diese notieren derzeit bei etwa drei Dollar. Der allererste Eröffnungskurs am 4. Juni 2020 lag bei 33,69 Dollar, fünf Tage später sogar bei 93,13 Dollar. Da hatte Nikola sogar eine höhere Börsenbewertung als Ford.

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(ds)