Elektroauto Audi Q6: Aufholen durch Technik​
Audi stellt mit dem Q6 e-tron ein E-SUV vor, das mit 270 kW beim Laden zur absoluten Spitzenklasse gehören dürfte.
Wenn es um die Vorstellung eines neuen Autos geht, gehört geräuschvolles mediales Klappern dazu. Schließlich sucht der Hersteller die Aufmerksamkeit der Massen. Es scheint dennoch nicht übertrieben festzustellen, dass der Q6 e-tron zu den tatsächlich wichtigsten Premieren der Marke Audi in der jüngeren Vergangenheit gehört. Immer wieder gab es einzelne, unterschiedlich gewichtige Info-Happen, nun folgt, mit einiger Verspätung, endlich die Vorstellung.
Audi hat seit einigen Jahren ein Elektroauto im Sortiment, das bei der Spitzenladeleistung kaum Konkurrenz hat. Allerdings bewegt sich der e-tron GT mit einem Basispreis von 106.000 Euro auch in Sphären, in denen nur wenige Autokäufer oder Leasingnehmer schweben. Zumindest im Vergleich zu ihm erscheint der neue Q6 e-tron für mehr Menschen erreichbar, wenngleich natürlich auch er fern eines Massenartikels ist. Das vorläufige Einstiegsmodell mit 285 kW kostet schon 74.700 Euro – ohne jegliche Zusatzausstattung, versteht sich. Wer den SQ6 e-tron mit 380 kW haben will, muss 93.800 Euro einkalkulieren. Das sind ausgesprochen selbstbewusste Preise, die kaum nennenswert unter jenen eines Q8 e-tron liegen. Was bekommt der Kunde dafür?
Zunächst einmal darf er wohl davon ausgehen, dass Audi sich bei den klassischen Autowerten keinerlei Blöße geben wird. Eine erste kurze Proberunde mit einem Vorserienfahrzeug deutete bereits an, dass hier ein sehr gutes Fahrwerk gereicht wird. Der Q6 e-tron liegt straffer auf der Straße als etwa ein Nio EL6, ohne deshalb weniger Komfort zu bieten. Auch die Lenkung liefert im direkten Vergleich viel mehr Rückmeldung. Die Geräuschdämmung ist hervorragend. Audi hat all das mit einer lässigen Routine abgearbeitet.
Innen fein
Die Inneneinrichtung ist deutlich feiner als im Audi Q4 e-tron, was die Auswahl der Materialien anbelangt. Der ähnlich große Genesis GV70 Electrified darf hier als einer der Referenz-Kandidaten gelten. Es wäre eine Überraschung gewesen, wenn Audi im Bereich einer seiner Kernkompetenzen, der oberflächlichen Güte, schwächeln würde. Das ist nicht der Fall. Ein erstes Probesitzen ergab einen in dieser Hinsicht fast makellosen Innenraum. Wie ein Fremdkörper wirkt allein die Einfassung rund um den Türöffner, die aus hartem Kunststoff besteht und mit einer riesigen Blindtaste versehen wurde.
Audi Q6 e-tron Innenraum (10 Bilder)
(Bild: Audi)
Audi selbst definiert drei Bereiche, die in der Entwicklung im Fokus standen. Einer davon ist die Energieversorgung. Zwei Batterien wird es im Q6 e-tron geben. In den Modellen, die zum Start der Baureihe verkauft werden, ist ein Akku mit 94,9 kWh netto eingebaut. Nachgereicht wird ein Basismodell mit einer 83-kWh-Batterie (brutto), deren Netto-Energiegehalt Audi noch nicht kommunizieren wollte. Rund 78 kWh dürften nutzbar sein. Sie wiegt 498 kg, die große rund 570. Bei Zellchemie bleibt Audi bei einem Mischungsverhältnis von acht Anteilen Nickel und je einem Anteil Mangan und Cobalt (NMC811).
In 21 Minuten 67 kWh nachgeladen
Bei der Vorstellung wurde deutlich, dass Audi bei der Ladeleistung viel dafür getan hat, mehr als nur einen zwar fürs Datenblatt spektakulären, aber kurzen Spitzenwert zu bieten. Die Batteriekonditionierung versucht, die Zelltemperatur in ein Fenster zwischen 25 und 55 Grad zu schieben. Der Temperaturunterschied zwischen den Zellen soll 5 Grad nicht überschreiten. In diesem Temperaturrahmen ist an einer Ladesäule mit 800 Volt die volle Ladeleistung nutzbar, die bei 270 kW liegt. Viel entscheidender ist in der Praxis, dass es in einem Bereich zwischen 10 und etwa 45 Prozent ein Plateau gibt, das bei deutlich über 250 kW liegt. 21 Minuten sollen ausreichen, um den Ladestand von zehn auf 80 Prozent zu heben. In dieser Zeit werden also rund 66,5 kWh nachgeladen, was einer durchschnittlichen Ladeleistung von fast 190 kW entspricht. Damit spielt Audi in diesem Segment zumindest momentan ganz vorn mit.
Audi Q6 e-tron Batterie (12 Bilder)
(Bild: Audi)
Geteiltes Laden
Sollte die Ladesäule nur 400 Volt bereitstellen, kann die Batterie gewissermaßen in zwei Einheiten geteilt werden, die mit jeweils bis zu 135 kW geladen werden können. Ein paar Einschränkungen gibt es allerdings. Zum einen müsste die Ladesäule dafür 675 Ampere liefern, vielerorts sind es aber nur maximal 500 A. Im Verbund würde die Ladeleistung in der Spitze damit immer noch bei 200 kW liegen. Auf Nachfrage bestätigt Audi dann auch, dass die Ladezeit bei theoretisch zweimal 135 kW nicht ganz auf dem Niveau von einmal 270 kW liegt. Allerdings sollen es im Fenster zwischen zehn und 80 Prozent noch immer weniger als 30 Minuten sein. Angesichts der "Menge", die da nachgeladen wird, wäre das noch immer ein Spitzenwert.
22 kW AC-Laden: Kommt später als Extra
Für den Alltag entscheidender dürfte für viele Fahrprofile das AC-Laden sein. Hier bleibt Audi vorerst bei 11 kW an drei Phasen. Später soll es gegen Aufpreis die Möglichkeit geben, an Wechselstrom mit bis zu 22 kW laden zu können. Angesichts dessen, dass diese Ladeoption derzeit dominiert, wäre eine rasche Einführung zu wünschen. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man ohne eine Blockiergebühr, die meist ab einer Ladezeit von mehr als vier Stunden fällig wird, 40 oder 80 kWh bekommen kann.
Zwei Antriebsstränge soll es zum Start geben, die beide als Allrad mit zwei Motoren ausgelegt sind. Der Q6 leistet bereits 285 kW, der SQ6 legt mit 360 kW nochmals nach. Zwei Ausführungen mit Heckantrieb werden folgen, und auch wenn Audi zu ihnen noch nichts kommuniziert, lassen sich die Eckdaten bereits erahnen. Beide werden den 280 kW-Heckmotor bekommen, der auch in den Allradlern steckt. Im Basismodell wird er kombiniert mit der 83-kWh-Batterie, im Modell, das als besonders reichweitenstark vermarktet wird, mit dem 100-kWh-Speicher.
Fahrleistungen
Schon der Q6 braucht nur 5,9 Sekunden im Standardsprint, der SQ6 erledigt das in 4,3. Die Höchstgeschwindigkeit ist in beiden Fällen elektronisch begrenzt und liegt bei 210 bzw. 230 km/h. Im WLTP nennt Audi für das weniger kräftige Modell 17 bis 19,4 kWh und eine Reichweite von 625 km. Im SQ6 sollen es 17,5 bis 18,5 kWh und 598 km sein. Rekuperiert werden kann unter idealen Bedingungen mit bis zu 220 kW. Dafür nutzt Audi den vorrangig Heckmotor. Der vordere wird erst hinzugezogen, wenn eine stärkere Verzögerung das Heck instabil machen würde.
Audi Q6 e-tron Antrieb (13 Bilder)
(Bild: Audi)
Auch die größten Anhänger von Volkswagen werden zugestehen, dass der Start des Konzerns in das Zeitalter der softwaredefinierten Fahrzeuge nicht optimal gelaufen ist. Mit dem Q6 e-tron will Audi das alles endlich endgültig hinter sich lassen. Also verbaut man eine potente Hardware im Auto und koppelt sie mit einer 5G-Verbindung ins Netz. In einem ersten Versuch wurde eine probeweise angeforderte Route von München nach Kiel inklusive Ladestopps und Alternativen rasch ausgegeben. Auch bei der Sprachsteuerung scheint es fühlbare Fortschritte zu geben. 800 Befehle soll das System verstehen, sagt Audi.
Zusätzlich lässt sich natürlich auch Audi das Geschäft mit nachträglich freischaltbaren Funktionalitäten nicht entgehen. Der Kunde hat die Wahl, ob er sie dauerhaft erwerben oder mieten möchte. Audi öffnet den eigenen Appstore für Drittanbieter, überwacht aber, was der Kunde freischalten kann. Früher oder später wird auch ChatGPT dazugehören. Die Softwareschmiede Cariad von Volkswagen hat eine Integration bereits angekündigt. Davon erhofft man sich einerseits, schneller auf neue Trends reagieren zu können, andererseits natürlich auf eine Teilhabe am Geschäft und eine Aktualität des Systems über die gesamte Lebensdauer. Wie lange man eine Systempflege betreiben möchte, wollte Audi auch auf Nachfrage nicht sagen. Ausschlaggebend dafür dürfte sein, ob auch Käufer von gebrauchten Autos bereit sind, für Services Geld zu bezahlen.
Aussichten
Audi kann in Ingolstadt pro Tag künftig bis zu 1000 Batterien fertigen. Der Automatisierungsgrad liegt bei 90 Prozent. Damit ist grob vorgezeichnet, was Audi nach derzeitigem Stand maximal bauen kann. Nur der SQ6 e-tron wird nach China exportiert. Ein Q6 e-tron mit langem Radstand startet dort Ende des Jahres. In Deutschland dürften die Modelle mit der größten Reichweite und dem kleinsten Preis noch in diesem Jahr folgen. Ziemlich sicher wird dabei zumindest die Marke von 70.000 Euro unterboten. Inklusive der üblichen Ausstattung in diesem Segment dürfte die Grenze aber praktisch immer mehr oder minder deutlich überschritten werden. Die Zielgruppe scheint global groß genug, zumal man bei Audi hofft, auch viele Fahrer des Q5 zu überzeugen.
Audi Q6 e-tron auĂźen (7 Bilder)
(Bild: Audi)
In einem Interview mit der FAZ betonte Audi-Chef Gernot Döllner, dass es für ihn keine absehbare Alternative zum batterieelektrischen Antrieb gibt: "Wir dürfen uns durch die Diskussionen, die derzeit geführt werden, nicht verunsichern lassen. Die Zukunft des Autos ist ganz klar elektrisch!" Der Q6 e-tron ist kein Beitrag dazu für die breite Masse, in seinem Zuschnitt auf die Zielgruppe aber durchaus stimmig. Audi dürfte gute Chancen haben, sich in diesem Segment seinen Anteil zu sichern. Wer sich mit dem Format SUV nicht anfreunden kann, bekommt mit dem A6 e-tron noch in diesem Jahr eine Alternative geboten.
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(mfz)