Im Frankfurter Musterprozess liegt die beklagte Telekom in Führung

Das OLG Frankfurt hat den Musterprozess enttäuschter Kleinaktionäre für knapp drei Wochen vertagt. Dank ungewöhnlich offener Verhandlungsführung lassen sich wichtige Trends ablesen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christian Ebner
  • Martin Murphy
  • dpa

Im Frankfurter Musterprozess enttäuschter Kleinaktionäre gegen die Deutsche Telekom hat sich das Gericht für knapp drei Wochen vertagt, nachdem fast alle wichtigen Zeugen zum Komplex VoiceStream gehört sind. Wegen der ungewöhnlich offenen Verhandlungsführung des Senats lassen sich wichtige Trends im größten Anlegerprozess Deutschlands mit rund 16.000 Klägern bereits ablesen: Das Oberlandesgericht Frankfurt hält die umstrittene Immobilienbewertung des früheren Staatskonzerns nicht für erheblich, die Verteidigungslinie der Telekom bei VoiceStream steht und die Klägeranwälte suchen immer neue Wege, um für die Telekom hochnotpeinliche Komplexe in den Prozess einzuführen.

Bereits am zweiten Verhandlungstag hatte der Vorsitzende Richter Christian Dittrich die zunächst noch zahlreich erschienenen Klägeranwälte geschockt. Nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts sei an der Gruppenbewertung (Cluster) eines großen Teils der Telekom- Immobilien nichts auszusetzen, erklärte der 63-Jährige. Dabei sind die nachträglichen Abschreibungen von rund 2,5 Milliarden Euro auf den Immobilienbesitz neben dem milliardenschweren Erwerb des US- Mobilfunkanbieters VoiceStream einer der Hauptkritikpunkte der Kläger, die rund 80 Millionen Euro Schadensersatz für erlittene Kursverluste verlangen.

Das Gericht geht nach Dittrichs Worten bislang von einer Fehlbewertung der Grundstücke um etwa zwölf Prozent aus, was völlig im Rahmen liege. Dass die Telekom im Börsenprospekt nicht auf die von der üblichen Praxis abweichende Bewertungsmethode hingewiesen habe, sei ein Prospektfehler, der aber wohl nicht wesentlich gewesen sei. Klägeranwalt Ralf Plück will noch einmal genau nachrechnen: Unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Verkäufe habe sich die Telekom um etwa 30 Prozent verschätzt – ein Wert, den das OLG selbst als nicht mehr tolerabel bezeichnet hat.

Hilfreich bei der Beweisführung könnte ein Gutachten des Bundesrechnungshofes zur Immobilienfrage sein, das aber von der Bundesregierung sorgsam unter Verschluss gehalten wird. "Die Gegenseite mauert, wo es nach dem Prozessrecht möglich ist", sagt Plück. Gleichwohl haben die Klägeranwälte einige Lücken in das Abwehrbollwerk geschossen: Sie können zum Beispiel gezielt Unterlagen aus einem Vergleich heranziehen, den die Telekom in der selben Sache mit US-Anlegern geschlossen hat. Auch die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bonn, die bei den Telekom-Börsengängen Kapitalanlagebetrug und Falschbilanzierung für bewiesen gehalten hat, werden in Frankfurt noch eine Rolle spielen. "Das Tor ist offen auch für diese Ansprüche und Beweisthemen", sagt Anwalt Peter Gundermann von der Tübinger Kanzlei Tilp.

In der Causa VoiceStream steht die Telekom-Abwehrfront bislang fest, wenngleich Tilp in den dürren Zeugenaussagen des früheren Telekom-Vorstandschefs Ron Sommer Widersprüche zu früheren Ausführungen des Unternehmens entdeckt haben will. Bei der Rekonstruktion des zeitlichen Ablaufs des 39 Milliarden Euro schweren Geschäfts im Sommer 2000 kommt es auf Tage an, doch Sommer wurde im Zeugenstand pampig: "Ich bin doch kein lebender Kalender."

Sommer und in der Folge weitere Verantwortliche haben die Situation so dargestellt: Bis zu einem Treffen am 15. und 16. Juli 2000 im malerischen Skiort Sun Valley im US-Bundesstaat Idaho – und damit Wochen nach Ende der Zeichnungsfrist am 16. Juni – sei VoiceStream nur einer von vielen interessanten Übernahmekandidaten gewesen. Verhandelt wurde auch mit den US-Konzernen Qwest, SBC und einer Reihe von europäischen und asiatischen Firmen. Unstrittig ist, dass Sommer vor dem dritten Börsengang mindestens zwei Mal mit VoiceStream-Chef John Stanton zusammenkam. Auch gab es angeblich unverbindliche Angebote und vorläufige Buchprüfungen. Bereits am 23. Juli wurde nach der entscheidenden Aufsichtsratssitzung der unterschriebene Vertrag per Fax an VoiceStream geschickt.

"Es ist aus unserer Sicht nicht glaubhaft, dass der größte Zukauf der Telekom-Firmengeschichte mit einem Volumen von 39 Milliarden Euro innerhalb von acht Tagen durchverhandelt und abgeschlossen worden sein soll", sagt Gundermann. Er will Stanton selbst und den damals maßgeblich beteiligten Telekom-Manager Max Hedberg als Zeugen hören. Geschlagen gibt er sich so schnell nicht: "Wir sind immer noch am Anfang. Wenn das Ganze hier ein Fußballspiel wäre, dann wären wir jetzt vielleicht in der zehnten Minute und nicht in der Verlängerung beim BGH, die es ja ziemlich sicher geben wird."

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(Christian Ebner, dpa und Martin Murphy, dpa-afx) / (anw)