Netzneutralität: (K)eine Debatte in Europa

Auf einer Konferenz des Münchner Kreises diskutierten Branchen-Experten über die Notwendigkeit einer europäischen Debatte zur Netzneutralität.

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Von
  • Monika Ermert

Um die in den USA heftig geführte Debatte um Netzneutralität ging es auch bei einer Konferenz des Münchner Kreises zum Thema "Infrastruktur und Services – Ende einer Verbindung" am heutigen Dienstag in der bayerischen Landeshauptstadt. Diese Debatte werde man in Deutschland und Europa nicht führen; die Marktsituation und existierendes Wettbewerbsrecht mache die Diskussion – anders als in den USA – unnötig. Diese Auffassung teilten Vertreter der Deutschen Telekom (DTAG) und des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK). Auch Christoph Baudis von Google Deutschland äußerte sich zurückhaltend zur Notwendigkeit einer Debatte in Europa; in den USA gehört Google zu den Fürsprechern einer gesetzliche Neutralitätsregelung.

Barbara van Schewick, Juristin und Informatikerin von der TU Berlin, empfahl mit Blick auf die anstehende Überprüfung des EU Rechtsrahmens zur Telekommunikation dagegen, eine klare Entscheidung zur Frage zur Netzneutralität auch in EU-Netzen zu treffen. Bei der Debatte geht es laut van Schewik, die zum Thema Netzneutralität in den USA und Europa forscht, um drei große Fragen: Dürfen Netzbetreiber Anwendungen, die mit eigenen Angeboten konkurrieren, vom Transport durch ihre Netze ausschließen oder diskriminieren, etwa verlangsamen? Ist auch eine Privilegierung beim Transport durch die viel diskutierte Quality of Service schon eine unzulässige Diskriminierung? Und darf der Netzbetreiber auch den Serviceanbieter für Quality of Service zur Kasse bitten oder nur den Accesskunden? Gesetzesvorschläge dazu liegen in den USA nach dem Wechsel der Mehrheit im Kongress derzeit noch auf Eis.

In den USA sei durch den Abbau der sektorspezifischen Regulierung die Situation eine andere, hieß es dazu von anderer Seite. "Wir wollen keine Debatte in der aggressiven Form wie sie in den USA geführt wird," sagte Christopher Schläffer, Corporate Product and Innovation Officer der Telekom. Die DTAG bekenne sich klar zu einem "offenen Internet", so Schläffer. "T-Mobile war das erste Mobilfunkunternehmen, das das mobile Internet geöffnet hat. Wettbewerb erzeugt unserer Meinung nach Fortschritt und wir spielen auf dieser Seite." Damit trat Schläffer früheren Äußerungen aus dem DTAG-Management entgegen, große Internetplattformbetreiber sollten für die "Durchleitung" durchs DTAG-Netz neben den Kunden zur Kasse gebeten werden. Auf keinen Fall werde man die Debatte dadurch anheizen, dass man sich auf eine Seite stelle, die der Internet-Evangelisten oder die der US-Netzbetreiber, sagte Schläffer.

Karl-Heinz Neumann, Chef des WIK in Bad Honnef, erklärte: "Die Vertreter und Propagandisten der Netzneutralität haben offenbar Schwierigkeiten, Marktergebnisse zu akzeptieren." Wenn etwa die Mobilfunkunternehmen in Europa VoIP-Verbindungen über ihre Netze verböten oder blockierten, sei dies Ausdruck von Marktentscheidungen. "Das haben wir zu akzeptieren." Den VoIP-Sündenfall der Mobilfunker hatte van Schewick als Beispiel dafür angeführt, dass es auch hierzulande bereits Verstöße gegen das Prinzip eines Diskriminierungsverbotes gebe. Van Schewick mahnte zur Überlegung, ob das Internet als Infrastruktur nicht anders zu behandeln sei als andere Güter.

Denn schaden könnten eine Diskriminierung im Netz nicht in erster Linie den großen Anwendern wie Google oder eBay. Diese hätten letztlich ausreichend Marktmacht und Kapital. Das zeigt laut van Schewick nicht zuletzt der Rückzug der Bank of America aus der Neutralitätsdebatte in den USA. Die Banken hätten sich zunächst auf die Seite der Befürworter einer Regelung stellen wollen, da sie befürchteten für besonders sichere Verbindungen gesondert zur Kasse gebeten zu werden. Doch dann habe man sich mit At&T zusammengesetzt und erfahren, dass man sich doch durchaus einigen und damit viele kleine Wettbewerber vom Hals halten könnte. So könnte es auch für künftige Herausforderer von Google oder eBay kommen. Daher müsse die EU entscheiden, ob sie die Anwendungsinnovationen, die das Netz ermögliche, besonders schützen wolle. Und Innovationen, so sagte der Regensburger Innovationsforscher Michael Dowling, seien in den vergangenen Jahren nicht von den großen TK-Betreibern, sondern von den YouTubes der Welt gekommen.

Van Schewick kann durchaus nachvollziehen, dass die Netzbetreiber derzeit nicht an einer größeren Debatte in Europa interessiert seien. Denn sei die anstehende Überprüfung der europäischen TK-Rahmenrichtlinie erst einmal abgeschlossen, wäre "der Status Quo erst einmal zementiert."

Zum Thema Netzneutralität siehe auch:

(Monika Ermert) / (vbr)