Olympia vor dem Startschuss: Der Streit um Zensur und Menschrechte dauert an

So richtig Freude will bei vielen kurz vor dem Start der Olympischen Spiele angesichts von Doping, umfassender Kommerzialisierung der Spiele und der Situation der Menschenrechte in China nicht aufkommen. Proteste und Aktionen gegen Zensur gehen weiter.

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Von
  • Jürgen Kuri

Jetzt geht's lohos: So richtig Freude will allerdings bei vielen kurz vor dem Start der Eröffnungsfeier zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking nicht aufkommen. Doping, die umfassende Kommerzialisierung der Spiele und die Situation der Menschrechte in China lassen sich nicht hinter der glänzenden Oberfläche, die die Regierenden der Stadt Peking und das IOC den Spielen verpasst haben, verstecken. Und das größte Sportereignis der Welt wird weiter von politischem Streit zwischen Gastgeber China und dem Westen überschattet.

Chinas Präsident Hu Jintao sprach laut einem dpa-Bericht aus Peking von einem "historischen Moment". Bei einem Mittagessen mit US-Präsident George W. Bush und mehreren Dutzend weiteren internationalen Spitzenpolitikern sagte Hu, die Austragung in Peking sei ein langgehegter Wunsch des chinesischen Volkes. Bush jedoch pochte zuvor erneut auf die Verbesserung der Menschenrechte. Die USA würden weiterhin offen ihre Überzeugung vertreten, dass alle Menschen die Freiheit haben sollten, ihre Meinung auszusprechen und ungehindert ihre Religion zu wählen, sagte er bei der Eröffnung der neuen US-Botschaft in Peking. Gleichzeitig nannte Bush die Beziehungen zu China "konstruktiv, kooperativ und freimütig". Am Abend soll die dreieinhalbstündige Zeremonie um exakt acht Minuten nach acht Uhr chinesischer Zeit beginnen. Acht ist in China eine Glückszahl.

In der ganzen Stadt waren schärfste Sicherheitsmaßnahmen in Kraft; einige hunderttausend Sicherheitskräfte und Verkehrspolizei säumten die Straßen. Uniformierte bewachten jede Straße und jede Kreuzung. Der Verkehr war wegen zahlloser Straßensperren stark beeinträchtigt. Am Abend sollte auch der Pekinger Flughafen für mehrere Stunden stillgelegt werden. Eine angebliche uigurische Terrorgruppe warnte vor Anschlägen während der Spiele.

Das chinesische Olympia-Organisationskomitee BOCOG beharrte auf Internet-Zensur und weiteren Einschränkungen der internationalen Berichterstattung. Gesperrt seien Internetseiten, die der "nationalen Sicherheit" und dem "gesunden Wachstum der jungen Generation" schaden, sagte BOCOG-Generalsekretär Wang Wei. Damit ist weiter kein Zugang zu Online-Angeboten der chinesischen Demokratiebewegung, von Menschenrechtsorganisationen und Minderheiten wie Tibetern und Uiguren möglich. Behindert wird in Peking auch die Arbeit der internationalen Fernsehanstalten, die die Übertragungsrechte gekauft haben. Sie dürfen auf dem Platz des Himmlischen Friedens keine Interviews durchführen oder Interviewgäste mitbringen. "Wir ermutigen die Leute nicht, dort Interviews zu führen", sagte Wang. Von einem Verbot wollte er nicht sprechen.

Also Protest gegen die Zensur hatte sich die Organisation Reporter ohne Grenzen, die für den heutigen Freitag, 13 Uhr, auch zu einer Demonstration vor der chinesischen Botschaft in Berlin und zu einer "virtuellen Demonstration" vor dem Pekinger Olympia-Stadion aufruft, noch etwas Besonderes einfallen lassen: Sie ist mit einem Piratensender in Peking auf Sendung gegangen. Um 8.00 Uhr Ortszeit (2.00 Uhr CEST), genau zwölf Stunden vor dem Beginn der Eröffnungszeremonie, wurde die Sendetätigkeit auf UKW-Frequenzen aufgenommen. In einer 20-minütigen Sendung forderten Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, und chinesische Menschenrechtsaktivisten von der chinesischen Regierung, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu akzeptieren.

Derweil hat sich das Satire-Magazin "Extra 3" des NDR etwas einfallen lassen, um zumindest die Sperrung von Webseiten im Pekinger Pressezentrum zu umgehen. Sie verweisen dabei auch auf die Hilfestellungen zur Umgehung der Internet-Sperren für Journalisten, wie sie der Chaos Computer Club seit einigen Tagen bereitstellt. Darüber hinaus veröffentlicht die "Extra 3"-Redaktion über die eigene Website, die nicht gesperrt ist, auch die in China eigentlich zensierten Seiten von Menschenrechtsorganisationen. Da die Seiten als PDF-Dateien innerhalb eines Containers der NDR-Site angezeigt werden, dürfte es den chinesischen Zensoren auch nicht so leicht fallen, diese Seiten gezielt zu sperren.

An der Eröffnungsfeier werden nach Angaben des BOCOG "ungefähr 86" Staatsgäste aus dem Ausland teilnehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist nicht dabei. Wer das olympische Feuer entzünden wird, soll bis zuletzt ein Geheimnis bleiben. Neben dem Einmarsch der 11.000 Athleten werden etwa 15.000 Akrobaten und Tänzer mitwirken. Allein für den Einzug und das Hissen der chinesischen Nationalfahne sind 14 Minuten veranschlagt. Die Eröffnungsworte wird Chinas Präsident Hu sprechen.

Das Pekinger Wetteramt sagte für den Abend Temperaturen von 29 Grad und leichte Schauer voraus. "Wir sind sehr besorgt, dass diese Wolken einen Einfluss auf die Eröffnungszeremonie haben könnten", sagte Guo Hu, Direktor des Pekinger Wetter-Observatoriums. Am Morgen lag wieder Smog über der Stadt, die Sicht betrug wenige hundert Meter. Die chinesischen Behörden setzten deshalb offenbar einen mehrfach angekündigten Notfallplan in Kraft – ohne dies jedoch so zu nennen. "Wir haben zuletzt feuchte, heiße Tage und Nebel gehabt. Deshalb ergreifen wir vorübergehende Maßnahmen, um die Luftqualität in Peking zu verbessern", sagte Du Shaozhong, Vizedirektor des Pekinger Umweltamts. Auch umliegende Provinzen seien beteiligt. Einzelheiten nannte er nicht.

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(jk)