Wie Sie verlorene Kunden zurückgewinnen

Neue Kunden zu gewinnen ist teurer, als alte zu halten. Weiß jeder, hilft aber nichts: Bevor sie einen Fehler zugeben, lassen viele Unternehmen die Kunden lieber ziehen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Als Händler oder Dienstleister steht man täglich immer vor zwei großen Herausforderungen: Neue Kunden zu gewinnen und alte nicht zu verlieren. Mit diesen Themen beschäftigt sich auch Anne M. Schüller als Autorin ("Come back! Wie Sie verlorene Kunden zurückgewinnen" und "Effiziente Kundenrückgewinnung – Die 25 wertvollsten Erfolgsrezepte für das Rückgewinnen verlorener Kunden") und Unternehmensberaterin. Ihre Hauptbotschaft lautet: Bestandskundenpflege ist einfacher als Neukundengewinnung. Warum die meisten Firmen ihren Schwerpunkt dennoch auf die Neukundenaquise legen und was sie tun können, um doch noch die verlorenen Käufer zurückzugewinnen, erklärt sie im Interview mit Heise resale.

Was ist wichtiger: die Neukundengewinnung oder die Pflege von Bestandskunden?

Schüller: Das kommt auf die Branche an – und natürlich auch darauf, wie lange es ein Unternehmen am Markt bereits gibt. Vor allem in übersättigten Märkten ist die Hege und Pflege bestehender Kunden wichtiger als die immer aufwändiger und mühsamer werdende Jagd nach neuen Kunden . Denn nur loyale Fankunden werden einen Anbieter vehement weiterempfehlen. Und das ist der beste Weg zu neuen Kunden.

Anne M. Schüller ist Management-Consultant und Expertin für Loyalitätsmarketing. Sie hat über 20 Jahre lang in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen internationaler Dienstleistungsunternehmen gearbeitet. Die Diplom-Betriebswirtin und neunfache Buch- und Bestsellerautorin ist heute eine gefragte Keynote-Rednern im deutschsprachigen Raum, arbeitet auch als Business-Trainerin und lehrt an mehreren Hochschulen.

Viele Unternehmen legen ihr Hauptaugenmerk aber auf die Neukundengewinnung. Warum kann das ein Fehler sein?

Schüller: In übersättigten Märkten geht Neukundengewinnung so: Man kauft der Konkurrenz die Kunden ab. Das ist teuer – und oft zunächst ein Verlustgeschäft. Schlimmer noch: Nur neue Kunden bekommen die Lockvogelangebote – während die treuen Bestandskunden , die eigentlich die beste Behandlung verdient hätten, leer ausgehen. Doch Melkkühe und treudoofe Goldesel, die sich still und brav mit dem Zweitbesten begnügen, die sterben langsam aus. Niemand will ein Blödmann sein. So laufen den Anbietern, während sie vorne fleißig mit Baggern beschäftigt ist, hinten die eigenen Kunden weg. Die haben nämlich inzwischen bemerkt: Treue zahlt sich nicht aus. Nur wer rabiat ist, kommt auf seine Kosten. "Was ist drin, wenn ich kündige, und wie hole ich am meisten dabei raus?" – das ist heute eine gängige Frage an die Web-Community. Wir alle haben gelernt: Wenn wir den Quengelfaktor erhöhen, gibt’s Gutes. Ergo: Die Anbieter selbst haben uns Kunden zur Untreue erzogen. Und zu Schnäppchen-Nomaden gemacht.

Aber ist es tatsächlich nicht viel einfacher, neue Kunden zu gewinnen, statt sich um die zu kümmern, die verärgert abgewandert sind? Bei letzteren hat man schließlich schon Minuspunkte gesammelt.

Schüller: Manchmal ist es einfacher, manchmal auch nicht. Doch meist ist die Kundenreanimierung kostengünstiger als die Hatz nach neuen Kunden. Und oft ist sie auch sehr viel ergiebiger. Fast neun von zehn Kunden sind nämlich, wie Untersuchungen zeigen, rückkehrbereit.

Und warum legen dann in der Praxis die Unternehmen nicht den Schwerpunkt darauf?

Schüller: Kundenverluste werden, wenn überhaupt registriert, meist tabuisiert oder als Bagatellschaden abgetan. Ein Computer fehlt beim Inventar: großes Trara! Ein Kunde – und damit ein Vielfaches an Wert – fehlt am Ende des Jahres: Schulterzucken! Da kann man nichts machen, passiert halt, suchen wir uns eben neue. Über verlorenen Kunden redet man nicht. Sie sind offensichtlich der lebende Beweis für eine Niederlage. Und wer gibt schon gerne Niederlagen zu? Lieber beschäftigt man sich mit zweifelhaften Siegen im Neukunden-Geschäft – selbst wenn diese mit hohen Streuverlusten erkauft wurden.

Welches sind die häufigsten Gründe dafür, dass sich Kunden von einem Unternehmen abwenden?

Schüller: Hinter den meist rational vorgetragenen sachlichen und fachlichen Wechsel-Anlässen stecken oft ganz andere, die eigentlichen Gründe. Viele Kunden beenden eine Geschäftsbeziehung in Wahrheit aufgrund zwischenmenschlichen Fehlverhaltens:

  • weil man sich um ihr Wohlbefinden nicht gekümmert hat.
  • weil man unfreundlich oder unhöflich zu ihnen war.
  • weil sie keine Aufmerksamkeit bekommen haben.
  • weil sie nie ein Danke hörten.
  • weil nie gesagt wurde, wie wichtig sie als Kunde sind.
  • weil sie einfach vergessen wurden.

Solche emotionalen Aspekte können durch Standardbefragungen kaum offen gelegt werden. Was man offiziell von sich gibt, soll schließlich vernünftig klingen und plausible Erklärungen liefern. Um den eigentlichen Abwanderungsgründen auf die Spur zu kommen, sollte man besser – wenn‘s irgendwie geht – behutsam und persönlich fragen.

Es geht also nicht immer nur um den günstigsten Preis?

Schüller: Kundenverluste haben viel seltener etwas mit Preisen zu tun, als allgemein angenommen wird. ‚Zu teuer’ ist ein wunderbarer Vorwand für beide Seiten: Für den Kunden, damit er seine emotionale Verletztheit nicht offen legen muss. Und für den Betreuer, um sich aus der persönlichen Verantwortung zu stehlen. Doch nur, wer die wahren Fluktuationsursachen herausbekommt, kann die richtigen korrigierenden Maßnahmen einleiten.

Warum ist es Ihrer Ansicht nach so wichtig, zeitnah auf Kundenverluste zu reagieren?

Schüller: Je eher die mit der Aktion betrauten Mitarbeiter die Unterlagen zur Verfügung haben, desto besser. Dann ist das Adressmaterial noch aktuell und die Erinnerungen sind frisch. Und nicht immer hat sich der Abtrünnige bereits für einen neuen Anbieter entschieden, wenn er den alten verlässt. Schließlich hatte man sich früher ja auch einmal gut vertragen. Daran lässt sich anknüpfen. Eine Restloyalität und damit Gesprächsbereitschaft ist oft noch vorhanden. Und: Viele Menschen vergessen schnell und verzeihen gern. Also: Jeder Tag zählt! Sind hingegen die emotionalen Verbindungslinien endgültig gekappt, wird das Zurückgewinnen schwierig. Man hat sich nun einem neuen Partner zugewandt, hofft auf das Beste und rückt die positiven Seiten der neuen Beziehung in den Vordergrund. Da wird das Loseisen schwer – oder kostspielig.

Was können Unternehmen tun, damit die Kunden erst gar nicht auf den Gedanken kommen, den Anbieter wechseln zu wollen?

Schüller: Eine wichtige Frage! Denn die systematische Kundenrückgewinnung verfolgt immer zwei Zielrichtungen: Reaktivierung und Prävention. Oberstes Ziel ist es, ein Maximum an profitablen verlorenen Kunden zurück zu gewinnen. Daneben sollen die gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden, um zukünftige Kundenverluste weitestgehend zu vermeiden. Dabei geht es oft um eine Summe von Details - und nicht selten um eher banale Dinge. Wer die im Griff hat, ist seiner Konkurrenz in Sachen Kundentreue schon um Einiges voraus. Ich nenne hier mal ganz konkret fünf Punkte:

  1. Ihre Stammkunden sind Ihre wichtigsten Kunden. Diese – und nicht die Neukunden – bekommen also die besten Angebote, Sonderpreise, Gutscheine, Exklusives und Privilegien. Denn wer treue Kunden will, muss Kundentreue belohnen.
  2. Kunden fehlt oft die so wichtige emotionale Aufmerksamkeit. Zeigen Sie daher Akzeptanz, Anerkennung, Wertschätzung und Respekt. Bedanken Sie sich ausdrücklich, persönlich und ehrlich für jeden Kauf beziehungsweise für jede Transaktion. Legen Sie öfter mal einen ‚Danke-Tag‘ ein. Und starten Sie Gratulationsmaßnahmen für Kundentreue.
  3. Ganz wichtig: Dem Kunden nichts aufzwingen. Lassen Sie ihn vielmehr selbst entscheiden, wer ihn wie oft und auf welchem Weg kontaktieren darf. Aktualisieren Sie kontinuierlich alle kundenrelevanten Informationen in Ihrer Datenbank und ergänzen sie diese sukzessive um emotionale Details.
  4. Bei jeder Unzufriedenheit denken Kunden sofort über einen Wechsel nach. Beugen Sie also Unmut vor, indem Sie fokussierende Frage stellen, etwa wie folgt: "Wenn es eine Sache gibt, lieber Kunde, die wir in Zukunft für Sie noch ein wenig besser machen können, was wäre da das Wichtigste für Sie?" Entwickeln Sie ein Frühwarnsystem mit den typischen Anzeichen für Abwanderungsbereitschaft.
  5. Gehen Sie mit Reklamationen professionell um ("Danke, dass Sie uns auf … hinweisen. Wir wissen das sehr zu schätzen."). Schlecht oder gar nicht bearbeitete Reklamationen sind ein Hauptgrund für Kundenfluktuation. Denken Sie nicht nur an den Ausgleich des tatsächlichen Schadens, kümmern Sie sich auch eine emotionale Wiedergutmachung. Denn der Kunde hatte Ärger und Stress, und das kommt einer Körperverletzung gleich.

(masi)