Für die Kurven vor der Haustür: E-Motorrad Zero SR/S im Test

Zeros erstes großes Motorrad gibt es jetzt auch mit einer Verkleidung. Die SR/S bietet damit Wetterschutz und leicht erhöhte aerodynamische Effizienz.

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Booster Rocket: Test Zero SR/S
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die Presse nennt Zero gern das Motorrad-Äquivalent zu Tesla bei Autos. Die Parallelen sind unübersehbar: elektrische Fahrzeuge, kapitalgeberfinanziert in Kalifornien produziert, sehr schöne Konzepte stellenweise etwas unschön in den Details umgesetzt. Das Konzept ist dabei der springende Punkt. Obwohl Zero seit 2006 existiert, also sehr früh begann, elektrische Motorräder anzubieten, sind ihre Produkte bis heute auf interessante Art eigenständig.

Das Konzept der SR/S zeigt sich sofort beim ersten Ansehen an Chassis und Antrieb. Die 14,4-kWh-Batterie hängt teiltragend in einem Stahlrohrrahmen. Der E-Motor und die Schwinge sind koaxial gelagert. Federwegsreaktionen auf den Zahnriemen-Endantrieb gibt es also nicht (über den Drehwinkel hinaus). Der sonst nötige Zahnriemenspanner entfällt damit. Statt eines Getriebes gibt es einen großen Zahnriemen-Pulley auf dem Hinterrad. Und sowohl Motor als auch Batteriesystem werden nur von Luft gekühlt. Zero spart sich jedweden Kühlkreislauf, die damit einhergehende Komplexität, das Gewicht.

Überhaupt liegt die Stärke Zeros im Weglassen von Dingen, die wohl niemand vermisst. 229 kg Mindest-Leergewicht wären für einen vergleichbaren Verbrenner eher schwer, doch im E-Vergleich ist es regelrecht schlank. Harleys Livewire wiegt 249 kg, Energicas Eva (Test) wog auf der Waage der Fachzeitschrift Motorrad gar fette 301 kg. Nun sind das beides Motorräder mit DC-Lademöglichkeit über CCS-Stecker und größeren Akkus, doch auch hier hat Zero einen ganz eigenen Weg eingschlagen: Ein AC-Ladegerät mit bis zu 12 kW Leistung lädt das Motorrad an den viel zahlreicheren AC-Säulen schnell genug. Und hier ist ein guter Wendepunkt, um die Kehrseite von Zeros eigenwilligen Ideen zu betrachten.

Kunden können die Basisversion der Zero SR/F und SR/S mit einem Staufach in der Tankattrappe kaufen. Dann lädt das Motorrad allerdings nur mit 3 kW. Die "Premium"-Version lädt mit 6 kW (und wiegt schon 5 kg mehr). Für 12 kW Ladeleistung muss der Kunde das Staufach opfern, in dem weitere Ladegeräte untergebracht werden ("Charge Tank"), die weiteres Gewicht ins Spiel bringen.

Wer sich über die Staffelung wundert: Zero hat ein eigenes Ladegerät konstruiert, das sehr flach baut und sich modular installieren lässt, in 3-kW-Scheiben. Klingt gut, doch leider sind Zeros Ladegeräte dafür bekannt, schnell kaputtzugehen. Statt "Charge Tank" kann man auch einen "Power Tank" mitnehmen, das ist ein Zusatzakku von 3,6 kWh brutto. Wer längere Distanzen fahren will, ist mit dem Charge Tank allerdings stets besser bedient: Die viel kürzeren Standzeiten schlagen die paar Zusatzkilometer leicht beim Tagesschnitt.

Zero SR/S (3 Bilder)

Dekarbonisiertes Motorradfahren: Sehr schön, aber recht kurz
(Bild: Clemens Gleich)

Nun gibt es allerdings kaum AC-Lader mit fixem Ladekabel. Und auf dem Motorrad das sackschwere Typ-2-Kabel mitnehmen ist nicht so prickelnd, denn (wir erinnern uns) das Staufach ist ja bereits den 12 kW Ladeleistung geopfert. Für Fotos und Überführung transportierte ich es im Rucksack, als Besitzer würde ich eine Hecktasche verwenden und mich ärgern, dass ich meine Hecktasche nicht mehr richtig für mein Gepäck verwenden kann. An der Ladestation probiert: Die 12 kW erreichte die SR/S sowohl bei warmem als auch bei kaltem Akku zuverlässig.

Wer verstehen will, warum überhaupt jemand Zero fahren wöllte, gibt es keinen anderen Weg, als sich einmal draufzusetzen und zu fahren. Dabei ganz wichtig: Den Modus "Sport" einstellen. Was bei vielen Verbrennern egal bis (bei überbogenen Gasgriffkennlinien) leicht kontraproduktiv ist, gehört hier unbedingt zum Verständnis des Konzepts. Auf Sport produziert die Zero so viel Boost-Leistung, dass sie im Landstraßenbereich mit Superbikes und Power Nakeds mithalten kann, und wenn sich deren Fahrer auch nur einmal in der Drehzahlwahl vertun, schießt sie vorbei wie mit Rakete bestückt und angezündet. Ich bin der festen Überzeugung: Jeder, der sagt, die Zero sei langweilig, kann sie nicht gefahren sein, zumindest nicht auf Sport und mit dem Vorsatz, bei 50 am Ortsausgang diesen Griff an den Anschlag zu drehen.

Das schaltfreie Zoomen mit Vorspultastentempo macht irre Spaß. Schalten, Getriebe, Kupplung, weg damit! Wenn ich den Vergleich ziehen muss zum Verbrenner, würde ich sogar sagen: Die Zero ist das reinere Motorrad-Erlebnis, weil die großen, ganz eigenen Spaßbringer Schräglage und Flow umso deutlicher hervortreten, je weniger du dich Hebel ziehend um Belange des Antriebs kümmern musst. Einen Saugmotor per Getrieberädchen bei Laune halten, das gibts auch bei Porsche. Schräglage nicht. Apropos: Bis etwa 25 Grad Schräglage legt sich die Zero schön neutral, ab dann wird sie störrisch mit deutlichem Aufstellmoment selbst ohne Bremsung. Am liebsten mag sie daher Hängen, Legen naja, Drücken mag sie am wenigsten.

Zero gibt auf "Sport" alles in Sachen Boost-Leistung, was Batterie und Dauerhaltbarkeit hergeben. Das bedeutet jedoch auch, dass du am Gasgriff direkt bemerkst, wie stark die Batteriespannung noch ist. Schon bei 60 Prozent SoC lässt die Zero merklich nach. Bei 30 Prozent käme sie kaum noch mit meiner KTM 690 Duke R mit, bei 20 Prozent wird sie wirklich schwach. Zero versteckt die physikalischen Eigenheiten nicht. Mir gefällt das ganz gut, doch man sollte es verstehen, bevor man sich mit halbem Akkustand noch mit Superbikes anlegt. Kehrseite der Luftkühlung auch: In anderen Test überhitzte der Antrieb bei sommerlichen Bergauffahrten. Bei meinen herbstlichen Testtemperaturen blieb alles im grünen Bereich, selbst bei Dauervollstrom auf der Autobahn.

Die Zero hat bei mir auf der Landstraße zwischen 9 und 10 kWh (brutto) auf 100 km verbraucht, mit Autobahnanteil trotz der Verkleidung 14 kWh. Nettokapazität der Batterie: 12,6 kWh. Grobe Daumenregel: Gib Gas mit Spaß, dann entspricht ein Prozent SoC einem Kilometer. Motorradschreiberkollege Jürgen Theiner (Motorprosa) hat sich eine Zero SR/F gekauft (gleicher Antrieb) und rechnet ebenfalls mit 100 bis 120 km Reichweite bei beschleunigungsfröhlicher Landstraßenfahrt. Kollege Honsel von der Technology Review fuhr mit 7,5 kWh Verbrauch, hatte aber dabei wohl auch einen erheblichen Stadtverkehr-Anteil.

Zero SR/S Details (21 Bilder)

Aus mir unerfindlichen Gründen hat Zero den Lenker im Vergleich zur SR/F erhöht. Passender zum Sporttouring-Konzept hätte ich niedrigere Stummellenker gefunden.
(Bild: Clemens Gleich)

Kurz: Entweder, du hast Kurven vor der Haustür oder du wirst nicht viel Freude an diesem Motorrad haben. Zu allem mit nennenswert Anfahrt ein guter Rat: Vergiss es. Ja, es gibt einen Eco-Modus, ja, man kann die Reichweite selbstverständlich strecken, aber ganz ehrlich: warum? Die SR/S ist ein teures Spaßfahrzeug. Niemand bei Verstand würde sie zum Pendeln den dünnbeinigeren älteren Zero-Modellen oder einem E-Roller vorziehen.

Achtung, Winterfahrer: Das Motorrad lädt bei 0° C Akkutemperatur oder darunter (oder bei über 50° C) nicht mehr. Fahren kann man von -20° bis +60° C Akkutemperatur. Achtung, Seltenfahrer: Steht die Maschine mehr als 30 Tage ohne Anschalten, wechselt das Batteriemanagementsystem (BMS) in den "long term storage mode" und entlädt die Traktionsbatterie auf 60 Prozent SoC, ob das Ladekabel nun drinsteckt oder nicht. Das BMS tut das, um die Batterie zu schonen.

Leider ist die SoC-Anzeige unzuverlässig. Wenn ich das Motorrad abstelle und später wiederkomme, stehen 10 bis 11 Prozent mehr drauf. Die Anzeige bildet also recht direkt die Spannungsverhältnisse der Batterie ab, was eher das Niveau von E-Skateboards als das von Kraftfahrzeugen ist. SoC-Anzeige und Reichweitenschätzeisen sind damit "worse than useless". Ich bin es von der Duke und ihrer krummen Benzinuhr gewohnt, mich rein nach Tageskilometerzähler zu orientieren, was man auch auf der Zero tun muss. Dazu wirft das Display häufig kryptische Fehlermeldungen wie einen "Ladefehler", obwohl der Akku voll geladen wurde. Ob das Kunden in den 2020er-Jahren noch so akzeptieren, muss die Zeit zeigen.

Die SR/S mit ihrem Zahnriemen ist leiser als die Harley Livewire und wesentlich leiser als Energicas lauter Zahnarztbohrer. Es gibt in der Motorradszene die beliebte, wenn auch wissenschaftlich unbelegte These "loud pipes save lives". Diese Behauptung warf einige Leserfragen auf. Ich habe folglich beobachtet, ob die Zero aufgrund geringer Lautstärke für Unfallpotenzial sorgte. Mir fiel keines auf.

Der Zahnriemen ist zwar nicht laut, aber laut genug und vor allem als Geräusch sehr ungewöhnlich, sehr technisch. Es fällt auf. Rehe springen schon 50 Meter vorher weg, Vögel auf der Straße mindestens 20 Meter vorher (Ja, ich lebe sehr ländlich.). Das ist mit dem Einzylinder nicht anders. Selbst Menschen in Unterhaltung vertieft auf Weinbergwanderung drehten sich in fünf Meter Entfernung nach mir um, obwohl ich Schrittgeschwindigkeit fuhr. Der Zahnriemen singt in Eigenerregung, man hört ihn eigentlich in jedem Drehzahlbereich zumindest ein bisschen. Mit Regendreck drin war er sogar kurzzeitig relativ laut bei Innenstadtgeschwindigkeiten unter 30 km/h.

Wenn Sie diese Passage nicht beruhigen konnte und Sie überhaupt das Geräusch eines Hubkolben-Ottomotors beim Motorradfahren als unabdingbar betrachten, dann ist dieses Motorrad schlicht nichts für Sie. Das sagt nichts Besonderes über Sie aus, Sie gehören zu einer Mehrheit.

Die Zero zeigt schön, wo das Problem des elektrischen Einspur-Roadsters liegt: Der typische Motorradfahrer hat (mit Glück) einmal die Woche Zeit, eine schöne Runde zu fahren. Er nimmt dabei etwas Anfahrt zu Kurven in Kauf. Er liebt Motorenlärm. Er zieht kräftig am Kabel. Er plant seine Tankstopps selten vorher. Der typische Motorradfahrer wird also selten ein E-Motorrad kaufen. Darüber müssen wir nicht traurig sein, die paar Motorradkilometer sind in Sachen Dekarbonisierung gut anderweitig zu lösen.

Es gibt aktuell keinen stabilen Markt für elektrische Motorräder im ökonomischen Sinne. Die Hersteller verdienen kein Geld damit. Das gilt für Harley, KTM und Energica. Bei Zero fehlen mir die Daten, bitte gern ergänzen per E-Mail an mich. Bei 3000 verkauften Motorrädern weltweit in 2019 ist eine schwarze Null bei entsprechend hohen Margen zumindest möglich. Ob sich die schwierige Marktsituation ändert, wird die Zeit zeigen.

Groß wird der Markt batterieelektrischer Motorrad-Roadster auf absehbare Zeit nicht werden. Nischen haben aber stets ihren eigenen Reiz. Der erwähnte Kollege Jürgen lebt nahe des Stilfser Jochs. Er kann jeden Tag fahren, nicht nur am Wochenende, es gibt keine nennenswerten Anfahrtswege. Solche Wohnorte gibt es, zum Beispiel in unseren Mittelgebirgen. Und wenn jeder so lebende Motorradfahrer wüsste, wie die Zero abgeht, gäbe es wahrscheinlich schon heute einen stabilen Nischenmarkt.

Die Zero SR/S kostet ab 20.990 Euro.

Hinweis in eigener Sache: Die Harley Livewire ist schon zum Test bestellt und wird dann eine längere Tagestour mit DC-Nachladungen fahren. Die für Touren sehr interessante Energica mit der 21-kWh-Batterie ist schwer zu bekommen, wird also dieses Jahr wohl nicht mehr getestet.

Hersteller Zero
Modell SR/S
Motor und Antrieb
Motorart Permanenterregter Elektromotor
Boost-Leistung in kW (PS) 82 (110)
bei U/min 5000
Drehmoment in Nm 190
Dauerleistung in kW (PS) 40 (54)
Antrieb Zahnriemen
Fahrwerk
Rahmen Stahlrohr-Gitterrahmen, Akkupack mittragend
Radaufhängung vorn Upside-Down-Telegabel, 43 mm Standrohr
Radaufhängung hinten Aluminium-Zweiarmschwinge mit Monofederbein
Reifengröße vorn 120/70 ZR 17
Reifengröße hinten 180/55 ZR 17
Bremsen vorn Doppelscheibe, 320 mm, Vierkolben-Festsättel, radial montiert
Bremsen hinten Einzelscheibe, 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel
Lenkkopfwinkel in Grad 65,5
Nachlauf in mm 94
Federweg in mm v/h 120/140
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1450
Leergewicht in kg ab 229
Zuladung in kg bis 225
Akkukapazität brutto/netto in kWh 14,4/12,6
Sitzhöhe in mm 787
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 3,3
Höchstgeschwindigkeit kurzzeitig in km/h 200
Höchstgeschwindigkeit dauerhaft in km/h 175
Verbrauch
Testverbrauch in kWh / 100 km brutto 9 bis 14
Daten Stand Oktober 2020

(cgl)